AfD profitiert vom Zeitungssterben

Vielerorts immer weniger Lokalredaktionen: In der Nachrichtenwüste blühen nur die Populisten auf

Michael Husarek

Chefredakteur Nürnberger Nachrichten

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3.5.2024, 11:00 Uhr
Zeitungen tragen zur Stabilisierung der Demokratie bei - und dämmen Wahlerfolge von Populisten offenbar ein.

© imago images/Steinach/imago images/Steinach Zeitungen tragen zur Stabilisierung der Demokratie bei - und dämmen Wahlerfolge von Populisten offenbar ein.

Der Befund ist nicht neu: Die Lektüre von Lokalzeitungen macht etwas mit den Leserinnen und Lesern. Wer sich informiert, kann anschließend bewusster urteilen. Anders formuliert: Gibt es Zeitungen nicht mehr, fehlt eine wesentliche Informationsquelle. Und das hat Folgen für das politische Geschehen.

Studien haben dies bereits vor mehr als einem Jahrzehnt am Beispiel der USA dokumentiert. Dort lautet das Ergebnis so: Verschwindet die Lokalzeitung, nimmt die Korruption in den kommunalen Verwaltungen zu, häufen sich zudem die Umweltskandale.

Ohne Reporterinnen und Reporter sieht keiner mehr so richtig hin

Warum? Weil offenbar keiner mehr so genau hinsieht, wie das vorher die lokalen Reporterinnen und Reporter getan haben. In den Vereinigten Staaten hilft diese Erkenntnis ohnehin nicht mehr, denn dort ist das Zeitungssterben im Lokalen längst flächendeckend erfolgt.

Ein Viertel aller Titel ist zwischen 2005 und 2020 vom Markt verschwunden. In der Summe sind davon mehr als 1500 Gemeinden betroffen – dort gibt es schlicht keine Lokalpresse mehr.

Doch wie sieht es in Deutschland aus? Noch, das ist die erste Erkenntnis, ist der Medienpluralismus in der Bundesrepublik groß. Doch Fusionen lokaler Titel, Aufkäufe ehemals unabhängiger Lokalzeitungen durch große Gruppen sind längst an der Tagesordnung.

Und auch die ersten printfreien Presselandschaften im Osten der Republik sind entstanden – weil es für viele Verlagshäuser schlicht wirtschaftlich nicht mehr darstellbar ist, in ländlichen Räumen die Zustellung weiterhin aufrecht zu erhalten. Der gestiegene Mindestlohn, die sinkenden Auflagen - all das macht die Logistik zu einer großen Herausforderung.

Was passiert in den Gegenden, in denen die ehemals vorhandene Lokalredaktion nicht mehr existiert? Noch gibt es dazu kaum wissenschaftliche Arbeiten. Einen Anfang aber hat Maximilian Flößer gemacht. In seiner Masterarbeit für die Uni Stuttgart untersuchte er die Landtagswahlen 2021 in Baden-Württemberg. Das alarmierende Fazit des Autors: Wählerinnen und Wähler "in Gemeinden ohne Lokalzeitung stimmten häufiger für die AfD als in Gemeinden mit mindestens einer lokalen Zeitung."

Die Ausgangsthese des Studenten, wonach Menschen in Nachrichtenwüsten, also in Gemeinden ohne eine Lokalzeitung, eher dazu neigten, der AfD ihre Stimme zu geben, hat sich somit bestätigt.

4400 Gemeinden sind vom Verlust ihrer Lokalzeitung bedroht

Und das bedeutet: Gefahr im Verzug. Flößer zitiert in seiner Masterarbeit folgende Prognose: "Während es in Bayern mehr als 50 Lokalzeitungen gibt, berichten in Thüringen gerade mal sechs Blätter vor Ort. Der deutsche Bundesverband der Digitalpublisher und Zeitungsverleger warnt bereits, dass bis 2025 bundesweit rund 4.400 Gemeinden vom Verlust ihrer Lokalzeitung bedroht sein könnten. Diese Entwicklung könnte maßgeblich zum Erfolg der AfD beitragen."

Insbesondere im Osten Deutschlands wird sich zeigen, ob bereits 2024 erste Folgen zu spüren sind. Offenbar ist die den Medien zugedachte Rolle einer Vierten Gewalt von enormer Bedeutung. Autor Flößer sagt jedenfalls: "Lokalmedien haben eine Vielzahl positiver Effekte für die Demokratiezufriedenheit" und beruft sich auf etliche Studien.

Flößer mahnt angesichts der sich abzeichnenden Schließung weiterer Lokalressorts: "Was lässt sich also daraus schließen? Lokalzeitungen bilden ein Band, das die demokratische Gesellschaft zusammenhält. Sie haben einen Einfluss darauf, wie stark die AfD bei Wahlen abschneidet. Eine Erkenntnis, die gerade 2024 von allergrößter Wichtigkeit ist." Denn 2024 ist Wahljahr, übrigens auch in Baden-Württemberg, dort stehen Kommunalwahlen an.

Übrigens: Der Unterschied bei den AfD-Stimmenanteilen in Orten mit und ohne Lokalzeitung betrug bereits 2021 bei den dortigen Landtagswahlen statistisch immerhin 0,6 Prozentpunkte, unabhängig von Faktoren wie Arbeitslosigkeit.

Professor André Bächtiger, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Sozialwissenschaften an der Universität Stuttgart, überrascht dieses Ergebnis nicht: "Denn Studien aus den USA zeigen das gleiche: In Nachrichtenwüsten wächst das Bedürfnis, extremere Parteien zu wählen."

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