Wenn die Angst groß ist

Panik im Kopf: Von der Überwindung, sich zum ersten Mal gegen Corona impfen zu lassen

22.1.2022, 05:46 Uhr
Über die Hälfte der bis dato Ungeimpften haben Angst vor der Corona-Impfung. Die Angst ist vielschichtig und treibt die Menschen oftmals in die Ecke der radikalen Gegner der Corona-Maßnahmen. Es gibt jedoch Hilfe für Betroffene.

© Sebastian Kahnert, NN Über die Hälfte der bis dato Ungeimpften haben Angst vor der Corona-Impfung. Die Angst ist vielschichtig und treibt die Menschen oftmals in die Ecke der radikalen Gegner der Corona-Maßnahmen. Es gibt jedoch Hilfe für Betroffene.

Einen Tag vor Weihnachten endete für Henry Reinhardt das "Martyrium", wie er es nennt. Die endlosen Diskussionen mit seiner Familie, die haltlosen Anschuldigungen von Bekannten und auch der Druck, den der 32-Jährige sich selbst machte - und der auf ihn von allen Seiten ausgeübt wurde. Der dreifache Vater ließ sich das erste Mal gegen Covid-19 impfen.

Henry Reinhardt heißt eigentlich anders aber er will nicht mit seinem richtigen Namen in der Zeitung stehen. Die "Panik im Kopf", sie hat alles überlagert. Sachlich richtige Informationen wurden nach kürzester Zeit wieder zunichte gemacht durch Falschmeldungen von unseriösen Quellen. Für die war der 32-Jährige sehr empfänglich, denn sie bestätigten ihn in seinen Ängsten. Trotzdem blieb er gegenüber diesen Quellen kritisch. Aber auch gegenüber der Impfung. "Ich bin kein Mediziner und die vielen Informationen haben mich verunsichert", sagt er.

Ein Umstand, den Professor Winfried Rief von der Universität Marburg nur zu gut nachvollziehen kann. "Man hätte die Menschen in vielerlei Hinsicht besser auf die Impfung einstellen können", sagt der Experte. Und: Die Ängste in der Bevölkerung hätten viel früher ernster genommen werden müssen, ist er sich sicher. "Wenn man bereits frühzeitig mögliche Impfreaktionen transparent kommuniziert und nicht erst damit gewartet hätte, bis diese tatsächlich auftreten, hätten Verschwörungstheorien nicht so viel Raum einnehmen können." Seit Beginn der Pandemie gibt es rund 130.000 seriöse Publikationen zum Thema. Die Zahl der Falschinformationen und Verschwörungstheorien stehen dem gegenüber.

Gegner der Coronamaßnahmen als Bezugspersonen

Der Psychologe Winfried Rief beschäftigt sich seit Jahren mit Impfangst. "Die Corona-Impfung schürt wesentlich mehr Angst als andere", resümiert er. Die Impfkampagne sei mit viel Druck angegangen worden. Und auch mit viel Euphorie. Darüber vergaß man diejenigen, die skeptisch gegenüber der Impfung eingestellt waren und sind. "Diese Menschen finden meist in den radikalen Gruppen, die Corona leugnen und gegen das Impfen sind, eine Bezugsgruppe, von der sie sich verstanden fühlen." Dann tue man sich zunehmend schwer, diese Leute wieder von der Impfung zu überzeugen, so der Experte.

Henry Reinhardt ist ebenfalls empfänglich für Informationen, die seine Skepsis gegenüber der Impfung untermauern. Doch er vergleicht diese auch mit Berichten seriöser Medien. Die Flut an Informationen macht ihm eine Entscheidung unmöglich. Sein Alltag ist geprägt vom ständigen Hin und Her, einem Wegducken und sich rechtfertigen müssen, weil er sich lange gegen die Impfung entschied.

Immerhin habe er drei kleine Kinder und eine Frau, die ihn bräuchten und für die er Verantwortung übernehmen müsse, sagten ihm befreundete Impfbefürworter. Impfskeptiker und Impfgegner in seinem Freundeskreis argumentierten dagegen - und fütterten ihn reichlich mit zweifelhaften Neuigkeiten aus der Verschwörungsszene. Er steht zwischen den Stühlen, der Druck wird immer größer.

Die Angst um seine Gesundheit nach einer Corona-Impfung überlagert trotzdem die Angst vor den Langzeitfolgen nach einer Covid-Infektion und auch vor einem möglichen schweren Verlauf. "Ich bin ja noch relativ jung und lebe gesund. Ich bin mir sicher, dass ich keinen schweren Verlauf bekommen würde." Eine falsche Sicherheit, in der sich viele Ungeimpfte wiegen.

Reinhardt hatte vor sechs Jahren eine Herzmuskelentzündung. Er stellte sein Leben nach der schweren Erkrankung komplett um. Verzichtete weitgehend auf Alkohol, machte regelmäßig Ausdauersport. Dann begann die Corona-Epidemie, etwas später folgten erste Meldungen einer möglicher Herzmuskelentzündung als Impfreaktion. "Ab da war für mich klar, dass ich mich nicht impfen lasse", sagt Reinhardt. Das war im Sommer 2021.

Für Oberarzt Matthias Baumgärtel vom Klinikum Nürnberg ist die Angst vor der Impfung fast alltäglich. Er arbeitet auf der Covid-Intensivstation im Nordklinikum und lässt nichts unversucht, unschlüssige Mitarbeiter von der Impfung zu überzeugen. Er betont, dass nicht die Mitarbeiter, die täglich mit Covid- oder anderen Patienten arbeiteten, ein Problem mit der Impfung hätten. Je näher sie am Menschen seien, desto mehr drängten sie auf die nächste Impfung, so Baumgärtel.

Menschen erreicht man über Emotionales

Trotzdem gibt es noch viele Klinik-Mitarbeiter, denen ab 15. März 2022 die Kündigung droht, wenn sie sich nicht impfen lassen. "Die Ängste sind vielschichtig. Zum einen besteht da die Angst vor der Nadel. Andere wiederum haben Sorge, dass sie durch die Impfung schwer krank werden oder sterben." Alle Ängste hätten die Gemeinsamkeit, dass die Personen für verlässliche Informationen nicht mehr empfänglich seien, so Baumgärtel. "Da kann man dann nur noch über die emotionale Schiene gehe."

Eine Putzkraft, die auf Drängen ihrer Kolleginnen und Kollegen zu ihm kam, hatte er überzeugen können, weil die Frau aus seinem Lieblings-Urlaubsland stammt. "Wir haben uns lange über ihre Heimat unterhalten und sie wurde zunehmend entspannter." Als er dann mit ihr über die Impfung gesprochen habe, seien bei ihr auch die Informationen angekommen, die sie für sich brauchte, um sich für die Impfung entscheiden zu können. Mit einer anderen Mitarbeiterin habe er rund eine Stunde gesprochen, um ihr die Angst vor der Nadel zu nehmen. "Es war ein harter Kampf, in einer Zeit, wo einem eigentlich jede Zeit fehlt. Aber als sie sich überwunden hatte, war sie sehr erleichtert - und ich auch."

Eine Krankenschwester, die Baumgärtel vor Weihnachten das erste Mal impfte, war zunächst verstimmt, als der Arzt ihr nach längerer Diskussion doch die Spritze verabreichte. "Zur zweiten Impfung kam sie gut gelaunt und fragte anschließend gleich, wann sie die Boosterimpfung bekommen könne."

Matthias Baumgärtel und auch Winfried Rief sind sich sicher, dass eine mögliche Impfpflicht solchen Menschen helfen könnte. "Ab diesem Moment gibt man die Verantwortung ab und kann andere dafür verantwortlich machen, wenn es einem schlecht geht", sagt Baumgärtel. Die Verantwortung für den eigenen Körper, die Verantwortung, sich selbst für oder gegen etwas zu entscheiden, laste schwer bei manchen Impfskeptikern, so Rief. "Diese dann abzugeben, kann da sehr hilfreich sein", so der Psychologe.

Zurück zu Henry Reinhardt: Über alle Zweifel hinweg macht er zusammen mit seiner Frau im Dezember einen Impftermin aus. "Bis zum Schluss haben viele nicht daran geglaubt, dass ich gehe", sagt der 32-Jährige mit einem Lächeln. "Ich übrigens auch nicht." Er legt den Impftermin so, dass er in den darauffolgenden 14 Tagen nicht arbeiten gehen muss und auch sonst keine anstrengende Zeit vor ihm liegt. Er nimmt die Sache sehr ernst. "Ich will kein Risiko eingehen."

Impfaufklärung ist das A und O

Dass er sich am Ende tatsächlich die Impfung verabreichen ließ, lag an der Ärztin Dorothea Hartmann im Impfzentrum, die Verständnis zeigte für seine Zweifel und ihm trotz vollem Wartebereich auch die Zeit gab, die er brauchte. Hartmann arbeitet in der Diakoneo Klinik Hallerwiese als Anästhesistin und hatte sich an ihrem freien Tag für den Dienst im Impfzentrum gemeldet. "Der schlechteste Weg ist, auf solche Menschen konfrontativ zuzugehen und mit Druck zu versuchen, sie zu überzeugen", erzählt sie aus ihrer Erfahrung mit "Erstimpflingen". Eine Aufklärung sei das A und O vor der Impfung.

"Man muss ganz klar sagen, mit welchen Symptomen die Geimpften zum Arzt gehen sollten und welche Symptome normal sind." Sie rät Sportlern grundsätzlich, nach der Impfung einige Tage keinen Sport zu treiben und gut auf den Körper zu hören. Sollte man sich nach einer Impfung ins Krankenhaus begeben, wird der Fokus der Untersuchungen auf eine mögliche, schwere Impfreaktion gelegt, versichert die Oberärztin. "Die Ärzte sind sensibilisiert."

Reinhardt verträgt die Impfung gut. Nur sein Arm schmerzt, sein Kopf einige Tage auch. Seine Haltung zur Impfung ist nach wie vor begleitet von einer großen Skepsis. Auch vor der zweiten Impfung hat er Angst. "Ich glaube nach wie vor, dass ich Corona auch ohne Impfung gut überstanden hätte. Aber am Ende habe ich es für die Familie getan." Gesetzt den Fall, eines seiner Kinder oder ein Familienangehöriger müsste ins Krankenhaus, dürfte er sie nicht besuchen kommen. Eine Tatsache, die seine Zweifel am Ende überwiegt.

Diese Tipps geben die Experten bei Impfangst

- Verweigert ein Betroffener die Impfung, weil er Angst vor der Spritze hat, ist es wichtig, ihn zur Impfung zu begleiten und mit dem Impfarzt offen darüber zu sprechen. Die Ärzte sind geschult und wissen, auf seine Angst einzugehen. Bei schweren Angststörungen informiert unter anderem das Klinikum Nürnberg über mögliche Therapien. Auch Psychologen helfen weiter.

- Nehmen Sie die Angst als Angehöriger oder Freund ernst und schätzen Sie diese auch wert.

- Bleiben Sie im Gespräch mit der Person und fragen Sie: Was könnte Dir helfen, um Dir die Angst zu nehmen?

- Menschen, die sich gegen eine Impfung entscheiden, entwickeln Gedankenstrategien, um sich zu verteidigen. Neue Informationen, die dieser Strategie widersprechen, erreichen den Betroffenen nicht. Versuchen Sie es deswegen mit der Frage: Bist du dir sicher, dass die Information stimmt, die Du hast? Wichtig ist, auf Diskrepanzen zwischen den eigenen und Informationen des Betroffenen hinzuweisen und so Zweifel beim Betroffenen aufkommen zu lassen.

- Als Basis für oft gestellte Fragen und auch, um Falschinformationen widerlegen zu können, empfiehlt sich die Seite des RKI zur Coronaimpfung, die unter diesem Link zu erreichen ist. Einen guten Überblick bietet auch das Handbuch der Universität Erfurt zur Bekämpfung von Falschinformationen und besseren Kommunikation zur Covid-19-Impfung, das Sie unter diesem Link erreichen.

- eine vorab vereinbarte engmaschige Betreuung durch den Hausarzt könnte die Angst vor der Impfung ebenfalls mindern. Ist es möglich, dass der Betroffene jederzeit zum Arzt seines Vertrauens gehen kann, um sich untersuchen zu lassen, schmälert das die Angst, eine mögliche schwere Impfreaktion alleine durchstehen zu müssen bzw zu erleiden.

- Ein Tipp an Unternehmer: Die Motivation zur Impfung funktioniert gut über Gruppen und Abteilungen. Man könnte Abteilungen mit einem zusätzlichen freien Tag oder ähnlichem belohnen, wenn sie es intern schaffen, eine hundertprozentige Impfquote im Team zu erreichen. Von einem Bonus an Einzelne rät der Psychologe Winfried Rief ab. "Dann fühlen sich andere innerhalb des Teams benachteiligt, das erzeugt Unmut."

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