"Sie sind ein Kämpfer!"

Peinliche Panne? Hubert Aiwanger lobt Hubert Aiwanger auf Twitter - und kassiert Spott und Häme

Roland Englisch

Nürnberger Nachrichten

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30.9.2022, 12:25 Uhr
In den sozialen Netzen teilt Hubert Aiwanger gerne aus. Einstecken ist weniger sein Ding.

© IMAGO/Rolf Poss In den sozialen Netzen teilt Hubert Aiwanger gerne aus. Einstecken ist weniger sein Ding.

Wenn Hubert Aiwanger in die Tiefen der sozialen Netzwerke abtaucht, kann das schon mal schiefgehen. Der bayerische Wirtschaftsminister, stellvertretende Ministerpräsident, Landes- und Bundesvorsitzende der Freien Wähler verliert dort gerne die Contenance. Und gelegentlich, so scheint es, auch den Überblick.

Gewaltige Häme

Als dieser Tage der Klimaforscher Christian Scharun auf Twitter den Niederbayer anging, weil der in einem Interview gefordert hatte, Deutschland solle jetzt neue Brennstäbe ordern für seine Atomkraftwerke und Gas fördern, konterte Aiwanger mit einem Tweet. Der allerdings sorgt für gewaltige Häme im Netz.

"Herr Aiwanger", schreibt Aiwanger an Scharun, "wir bräuchten mehr Politiker wie sie, mit Verstand und Pragmatik. Mit dem Ohr am Bürger und nicht wie viele andere weltfremd im Wolkenkuckucksheim! Sie sind ein Kämpfer und haben sich ihren Posten als bayerischer Wirtschaftsminister hart erarbeitet gegen Widerstände!" Ob da einer vergessen habe, in seinen Fake-Account zu wechseln, fragen sie sich jetzt. "Persönlichkeitsabspaltung", mutmaßt ein User, "gute Besserung" wünscht ein anderer. Niemand solle "seine Stimmen im Kopf veröffentlichen", rät eine Twitterin.

SPDler zurückgetreten

Es gibt Politiker, die sich einen Account unter falschem Namen zulegen und die eigene Arbeit loben. Es ist erst zwei Monate her, dass deswegen der Bamberger SPD-Fraktionschef seinen Posten verloren und Fraktion und Partei verlassen hat. Aiwanger allerdings legt größten Wert darauf, dass er so nicht tickt. "Viele von denen, die mir einen Zweitaccount andichten wollen, haben wahrscheinlich selbst einen. Ich hab keinen", schreibt er in seinem echten Account. Darunter zitiert er das Zitat, das er Scharun geschickt hat. Es war die Reaktion eines Users auf einen Tweet von Aiwanger.

Das postet er dann auch bei Scharun, garniert mit dem Hinweis: "Damit auch Sie es verstehen." Er habe, schreibt er an anderer Stelle, "nur weitergeleitet wie andere kommentieren". Doch das Kind ist längst im Brunnen. "Ja, sie sind so toll", schreibt ein Twitter-User. "Darf ich Sie anbeten?" Manche schieben Aiwangers Ausrutscher schlicht aufs Oktoberfest ("dauerbetrunken in Bayern"), andere finden es nur noch "zum Fremdschämen".

Scharfe Attacken

Dass Aiwanger sich auf Twitter vergaloppiert, passiert eher selten. Die kurzen Nachrichten taugen dafür nur begrenzt. Gefährlicher ist für ihn Facebook, das keine Zeichenlimits kennt. Da greift er schon mal Journalisten an, scheut auch vor falschen Behauptungen über sie nicht zurück und geht Kritiker gerne scharf und gelegentlich unter der Gürtellinie an. Es sind Momente, in denen er ausblendet, welche Anforderungen an die Umgangsformen die Posten als Minister und Vize-Ministerpräsident so mit sich bringen.

Dass angeblich die Karl-May-Bücher verboten werden sollen, wie Hubert Aiwanger nahelegt, der deshalb Winnetou auf die Bühne holt, finden manche zum fremdschämen.

Dass angeblich die Karl-May-Bücher verboten werden sollen, wie Hubert Aiwanger nahelegt, der deshalb Winnetou auf die Bühne holt, finden manche zum fremdschämen. © Daniel Karmann, dpa

Als ihm auf Facebook ein User in der Diskussion um Karl May und Winnetou zwar recht gibt, es aber zum "Fremdschämen" findet, wenn Aiwanger auf dem Gillamoos dafür Cowboy und Indianer auf die Bühne holt, feuert der Niederbayer zurück. "Es reicht wenn Sie sich über sich selbst schämen", schreibt Aiwanger. "Sie müssen nicht so tun als würden Sie sich für andere schämen. So ethisch hochstehend sind Sie auch wieder nicht, das ist arrogant! Oje, ich lese gerade, dass Sie SPDler sind. Ja, da haben Sie durchaus Anlass, sich für andere zu schämen."

Beifall von der falschen Seite

Später attestiert er dem Mann noch, er sei "selbstgerecht bis in die Haarspitzen der Herr von der SPD" und schließt ab mit "Hauptsache Gelabert?" Zorn ist selten ein gute Ratgeber. Es ist nicht das erste Mal, dass Aiwanger in den sozialen Netzen aus der Rolle fällt. Seiner Fangemeinde dort freilich gefällt der Ton. Für sie ist Aiwanger einer, der redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Dass er dabei auch Beifall von Verschwörungstheoretikern wie AfD-Anhängern bekommt, nimmt er hin. Und so können sie unter seinen Posts unwidersprochen fantasieren, dass die Anschläge auf die Pipelines ein Werk der Klimaaktivisten von Fridays for Future sein dürften.

In seiner Partei und seiner Fraktion wissen sie natürlich, welche Geister Aiwanger ruft. Doch sie ducken sich weg. Der Chef, heißt es dort resigniert, lasse sich da nicht reinreden. Das war schon mal anders, liegt allerdings lange zurück. Da hatte Aiwanger platte Blondinen-Witze gepostet, einen Shitstorm ausgelöst, es erst auf einen Mitarbeiter geschoben und dann den Account vorübergehend gelöscht.

Dergleichen käme ihm heute nicht mehr in den Sinn. Inzwischen postet er schon mal wie am Wahlabend im September 2021 gegen jede Regel (falsche) Prognosen auf Twitter und garniert sie mit dem Zusatz, wer das verhindern wolle, müsse jetzt noch schnell die Freien Wähler wählen.

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