Deutlich mehr tödliche Unfalle als zuvor

Wanderer-Leichtsinn in Bayerns Alpen: "18 Tote nur bei uns - für uns war es ein Wahnsinn"

9.1.2022, 05:55 Uhr
Deutlich mehr tödliche Unfälle als zuvor gab es 2021 in den bayerischen Alpen.

© Matthias Balk, dpa Deutlich mehr tödliche Unfälle als zuvor gab es 2021 in den bayerischen Alpen.

Volle Parkplätze, Stop-and-go auf den Straßen, Müll und andere Hinterlassenschaften in Wiesen und Wäldern - der Ansturm auf die bayerischen Alpen hat in der Pandemie neue Rekorde erreicht. Zugleich stieg auch die Zahl der Unfälle 2021 nach Daten der Bergwacht Bayern auf einen Höchststand. Im Sommer mussten die Bergretter 3650 Mal ausrücken, rund 250 Einsätze mehr als im Vorjahr und 800 mehr als noch 2017.

"Sehr großer Druck auf die bayerischen Alpen"

"Die Vielzahl der Menschen im Gebirge ist wohl der wesentliche Grund für die Steigerung der Einsätze", sagt Bergwachtsprecher Roland Ampenberger. "Der Zuspruch zur Aktivität im Freien auf dem Hintergrund der Infektionsgefahr, die eingeschränkten Möglichkeiten für andere Sportarten und die Reiseerschwernisse führten auch in diesem Sommer zu einem sehr hohen Nutzungsdruck."

Auch Thomas Bucher vom Deutschen Alpenverein (DAV) spricht von einem "sehr großen Druck" auf die bayerischen Alpen. "Die Leute fahren nicht weit weg, sie bleiben lieber daheim." Teils waren Grenzen geschlossen, teils gab es Reisebeschränkungen oder komplizierte Regelungen. So kumulierten sich offenbar nicht nur Ausflügler und Wohnmobile in Oberbayern, sondern auch Unfälle.

Die Zahl der Bergtoten ist markant: Während sie in Österreich und Tirol im Gesamtjahr 2021 sank, stieg sie in Oberbayern rapide. Das Polizeipräsidium Oberbayern Süd zählte von Berchtesgaden bis zur Zugspitze 50 Todesfälle - im Vorjahr waren es 34.

Berchtesgadener Talkessel überrannt

Der Berchtesgadener Polizeibergführer Jörg Fegg kennt den Ansturm auf seine Heimat seit Jahren - doch 2021 hat selbst ihn überrascht. "Mit der Aufhebung des Lockdown hat es mit den Skitouren angefangen. Wir sind überrannt worden in dem kleinen Talkessel, weil man nicht nach Österreich durfte. Das hat sich im Sommer fortgesetzt." Es gab Megastaus. "In den Restaurants alles voll, die Parkplätze voll", oft mit Campern. Bis zu 200 hätten teils am Königsseeparkplatz gestanden.

Allein in den Berchtesgadener Bergen gab es 18 tödliche Unfälle, sonst seien es 10 oder 12, sagt der Polizeibergführer. "18 Tote nur bei uns - für uns war es ein Wahnsinn." Vier Menschen starben am Watzmann (2713 Meter).

"Groß und mächtig, schicksalsträchtig", besang Wolfgang Ambros den berühmten Berg. Doch mehr als das Schicksal dürfte - neben der hohen Zahl von teils mehreren hundert Bergsteigern am Tag - mangelnde Erfahrung Unfälle mitbegründen. "Die alpine Basisausbildung fehlt oft", sagt Fegg.

Eltern mit Kleinkind-Kraxe im Klettersteig

Einen tödlichen Absturz gab es am Watzmann, weil sich Kletterer gleich zu Beginn verstiegen hatten. Sie hatten sich aufs GPS verlassen. Das macht in der Vertikale aber wenig Sinn. Oft regiere Unvernunft, sagt Fegg. "Wir sehen oft haarsträubende Dinge." Etwa Eltern mit dem Nachwuchs in der Kraxe auf schwierigen Klettersteigen.

Die meisten Unfälle geschehen beim Wandern, gefolgt vom Mountainbiken. Das E-Bike hat auch weniger trainierten Sportlern zuvor unerreichbare Regionen erschlossen. Nach Stürzen und Stolpern zählen Herz-Kreislauf-Probleme zu den häufigsten Ursachen für Todesfälle.

Polizeibergführer kommen bei tödlichen Unfällen zum Einsatz oder wenn Fahrlässigkeit im Spiel gewesen sein könnte. Bei gutem Bergwetter häufen sich die Einsätze. Im September suchten die Beamten nach einer Berlinerin, die zu einer Hüttentour im Steinernen Meer aufbrach und nie auf einer Hütte ankam, als der nächste Notruf einging: In steilem Gelände am Watzmann hatte ein Bergsteiger einen Toten entdeckt.

Identität eines Toten bis heute ungeklärt

Wie sich Tage später herausstellte, handelte es sich um einen jungen Argentinier auf Rucksack-Tour durch Europa. "Ich vermute, dass er bei nicht idealem Wetter oben war und in die falsche Richtung abgestiegen ist", sagt Fegg. Wahrscheinlich habe er sich im Nebel gedreht "und dann nicht mehr gewusst, wo er herkam".

Manche Fälle beschäftigen die Polizeibergführer über Jahre. Am Grünstein im Watzmannstock wurde 2019 ein Toter entdeckt, dessen Identität bis heute ungeklärt ist. Bis heute nicht gefunden ist die Berlinerin.

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