Masterplan "Queeres Nürnberg": So transfreundlich ist Franken

1.2.2021, 15:45 Uhr
Sophie Rauscher (29) ist in Nürnberg aufgewachsen und lebt inzwischen in Berlin. Sie versteht sich als transweiblich, allerdings offen im Sinne von "eher weiblich als männlich". Ihre Überzeugung: "Ja, wir Transmenschen sind nicht heteronormativ, aber es ist egal, wer wir genau sind!"

© privat Sophie Rauscher (29) ist in Nürnberg aufgewachsen und lebt inzwischen in Berlin. Sie versteht sich als transweiblich, allerdings offen im Sinne von "eher weiblich als männlich". Ihre Überzeugung: "Ja, wir Transmenschen sind nicht heteronormativ, aber es ist egal, wer wir genau sind!"

An frühen Anzeichen habe es nicht gemangelt, erzählt Xaver Dümler, der in Langwasser aufgewachsen ist. Ihm wurde bei seiner Geburt das weibliche Geschlecht zugewiesen, doch schon als Kind stellte er sich mit einem Jungennamen vor. Auch sagte er einmal: "Irgendwann wächst mir ein Penis, dann kann auch ich im Stehen pinkeln!" Nur habe er damals eben noch nichts mit seinem Transsein anzufangen gewusst.


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Trans sind alle, die sich nicht oder nicht vollständig mit dem Geschlecht ihrer Geburtsurkunde identifizieren. Davon, "dass es Menschen wie mich gibt", erfuhr Dümler erst als 20-Jähriger von seiner damaligen Freundin. Fünf Jahre später fing er an, Hormone zu nehmen, lies außerdem seinen Vornamen ändern. Rund 2000 Euro kostete ihn das, wegen der teuren Gutachten. Außerdem unterzog er sich mehreren Operationen. Heute ist Dümler 29 Jahre alt und bezeichnet sich als „heterosexuellen Transmann“.

Bei Sophie Rauscher ist es weniger eindeutig. Auch sie ist 29 Jahre alt und in Nürnberg aufgewachsen, lebt aber inzwischen in Berlin. Rauscher versteht sich als transweiblich, allerdings offen im Sinne von "eher weiblich als männlich". Der Begriff Queer sei für sie „sehr bedeutend“. Queere Menschen wollen sich nicht auf sogenannte heteronormative Stereotype festlegen, wie Männer und Frauen zu sein oder zu lieben haben. Oder wie Rauscher es formuliert: „Ja, wir sind nicht heteronormativ, aber es ist egal, wer wir genau sind!“

Trans als Überbegriff

Dümler arbeitet als Erzieher und geht gerne in den Ultra Comix-Laden, weil er Mangas mag, während Rauscher politische Lobbyistin ist und einen eigenen Podcast („trans sein“) hat. Ihre Geschichten sind Beispiele dafür, was es bedeuten kann, trans zu sein – nicht mehr und nicht weniger. Andere dagegen möchten insbesondere nach ihrer körperlichen Geschlechtsangleichung überhaupt nicht mehr trans genannt werden, sondern schlicht Frau oder Mann. Auch gibt es viele weitere Bezeichnungen wie transgender, transident oder transsexuell, die Unterschiedliches betonen und teils umstritten sind. Trans will hierfür ein Überbegriff sein. Manchmal wird an das Wort ein Sternchen gehängt, um diese Offenheit zu betonen.

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Was aber denken die beiden über Nürnberg? „Es gab Momente, da hat man sich wohler gefühlt“, drückt sich Dümler diplomatisch aus, etwa wenn Christopher Street Day war. Jenseits davon war es vor allem zu Beginn seiner Geschlechtsangleichung schlimm, als er noch „weibliche Züge“ hatte. In der U-Bahn etwa sei er „komisch angeguckt“ und seine Identität hinterfragt worden. „Unwohl“ habe er sich zudem bei Toilettengängen gefühlt, ganz gleich ob er sich für das Frauen- oder Männerklo entschied. In einem Nürnberger Club hätten andere Gäste sogar wegen ihm einmal den Sicherheitsdienst gerufen. Und sein ehemaliger Arbeitgeber habe ihm gekündigt, als er ihn wie abgesprochen über seine bevorstehenden Operationen informierte – noch während seiner Probezeit.

Erschreckend viele Übergriffe

Dümlers Erfahrungen sind keine Einzelfälle, bestätigt Barbara Thiessen, Professorin an der Hochschule Landshut: „Uns hat die hohe Anzahl an Diskriminierungserfahrungen von Transpersonen erschreckt.“ Im Auftrag der Grünen-Landtagsfraktion hat sie die erste Studie zu Queerem Leben in Bayern betreut, Autorin war Alis Wagner. 72 Prozent der befragten Transmenschen seien innerhalb der letzten drei Jahre beschimpft oder ausgegrenzt worden – bis hin zu körperlicher Gewalt. „Transpersonen können sich nie verstecken. Sie sind immer sichtbar und erleben deshalb häufig Diskriminierung, vor allem in der Öffentlichkeit und im Gesundheitsbereich“, sagt Thiessen.

Wenige Anlaufstellen

Anders als Dümler war Rauscher bereits nach Berlin gezogen, bevor sie sich als trans outete. In Nürnberg hatte sie sich zuletzt als bisexueller und schwuler Mann verstanden. „Ich frage mich schon manchmal, wie das gewesen wäre, wenn ich nicht umgezogen wäre“, kommt sie ins Grübeln.

Hätte sie vielleicht bis heute nicht ihr Coming-Out gehabt? Und wenn ja, läge das an Nürnberg und dessen „sehr wenigen queeren Anlaufstellen“? In Berlin jedenfalls habe sie „ohne große Hürden andere Transpersonen kennenlernen können“. Vielleicht, überlegt Rauscher weiter, sei es aber auch der Stadtwechsel an sich gewesen, der ihr das alles erleichtert habe.


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Nürnberg jedenfalls möchte 2021 einen Masterplan „für die Lebenslagen von Lesben, Schwulen, Bi*, Trans* und Inter*Personen“ erstellen, wie es auf der städtischen Website heißt. „Queeres Nürnberg“ soll er heißen. Laut der zuständigen Antidiskriminierungsbeauftragten Christine Burmann werden zunächst die Fachverwaltungen aus relevanten Bereichen wie Jugend, Senioren, Bildung, Kultur und Gesundheit das bestehende Angebot prüfen. Danach sind Workshops angedacht, um den Plan gemeinsam mit den betroffenen Communities zu erarbeiten. Burmann: „Wir schauen: Was sind die Bedürfnisse und was kann man wann umsetzen.“ Angelegt ist der Plan auf vier Jahre, teurere Maßnahmen könnten laut Burmann also in kommende Haushaltsberatungen eingebracht werden.


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Auf den Masterplan angesprochen, würde sich Sophie Rauscher über zusätzliche queere Angebote freuen. Sie fordert Investitionen in Räume und langfristige Strukturen: „Ein Rebranding alleine reicht nicht.“ Xaver Dümler hingegen schlägt mehr geschlechtsneutrale Klos vor. „Es gibt sehr wenige Bars, die Unisextoiletten haben.“

Er hat außerdem einen ganz grundsätzlichen Wunsch an die Gesellschaft: „Aufklärung von denen, die es durchleben“ – um Vorurteile gar nicht erst entstehen zu lassen. Sein Appell: „Wenn ich von meinem Weg erzähle, geht nicht voraus. Lasst es mich machen!“

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