Diskurs-Pop

Auf der richtigen Seite des Geschmacks: Die neue Platte von Tocotronic

30.1.2022, 18:37 Uhr
Auf der richtigen Seite des Geschmacks: Die neue Platte von Tocotronic

© Gloria Endres de Oliveira

Die Alben von Tocotronic lösen eine Sache aus: Ihre Hörerschaft fühlt sich sehr (sehr) schlau. Das liegt an den literarischen und philosophischen Anspielungen in den Songs der Hamburger – und einer gewissen Distanz zu den gewählten Themen. Der lärmige Indie-Rock des Quartetts tut sein Übriges, um die coole Uncoolness der Außenstehenden aufrechtzuerhalten.

Da wäre auf dem neuen Album etwa der Song „Ich tauche auf“. Als Gast haben sich Tocotronic für die knapp viereinhalb Minuten die Künstlerin Soap & Skin ins Studio geholt. Ihre dunkle Stimme passt perfekt an die Seite des reduzierten Sounds. Den ganzen Song trägt fast nur die Melodie einer Gitarre. Auch Sänger und Gitarrist Dirk von Lowtzow singt mal zerbrechlich. Nicht ironisch. Nicht verklausuliert. Es ist einer der wenigen Songs von Tocotronic, die das Herz und nur das Herz ansprechen. Und es geht noch weiter.

Mit „Hoffnung“ lieferten Tocotronic bereits vor zwei Jahren den Vorboten zu diesem Album. Mit der wundervollen Textzeile: „Wenn ich Dich nicht bei mir wüsste, hätte ich umsonst gelebt.“

Auf der richtigen Seite des Geschmacks: Die neue Platte von Tocotronic

© Martin Jeisson, dpa

Untermalt von dramatischen Streichern und einer Atmosphäre, so weit wie möglich entfernt vom sonstigen Klangbild der Band. Auch hier keine Ironie und keine Distanz zum Geschehen im Song. Das passiert der Band noch an ein, zwei anderen Stellen dieses Albums.

Auf den restlichen Songs von „Nie wieder Krieg“ bedienen Tocotronic ihre Hörerschaft mit altbekannten Dingen. In „Jugend ohne Gott gegen Faschismus“ gibt es das politische Statement, in „Liebe“ die ironische Ebene.

Die verklausulierten Texte sind ebenfalls noch da. Doch gerade so erschaffen Tocotronic auf dieser Platte das vielfältigste Bild ihres Schaffens – indem sie alles zulassen. Kitsch und Kalkül, Harmonie und Hoffnung, Diskurs und Denken.

So bleibt „Nie wieder Krieg“ vielleicht das erste Album der Hamburger, das seine Hörer mit mehr Gefühlen und weniger Gedanken zurücklässt.

Ihre neue Platte haben die Hamburger bereits live im legendären Berliner Musikclub SO36 vorgestellt.

Für den 9. März hat sich das Quartett im E-Werk Erlangen angesagt.

„Nie wieder Krieg“ (Universal). Tocotronic live am 9. März 2022 im E–Werk Erlangen.

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