Mangolds Taxiruf
Wenn ich jung und hip sein will, lass ich mir von Frau "Fräulein" eine leckere Retro-Torte servieren
22.1.2022, 06:55 UhrBundesminister müsste man sein, dann hätte man einen direkten, sozusagen exekutiven Einfluss auf die Sprache. Zumindest, so lange es sich um das sogenannte Amtsdeutsch handelt.
Dies ist eine schmucklose, nie im Lichte lyrischer Formulierungskunst schillernde, gleichwohl sehr wichtige Variante des Deutschen, in deren Veränderungen sich der gesellschaftliche Wandel schlaglichtartig widerspiegelt.
Wie tiefgreifend der sein kann, zeigte sich vor 50 Jahren, als der damalige Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher anordnete, dass fortan die Anrede „Fräulein“ aus dem behördlichen Sprachgebrauch zu verschwinden habe.
Für alle, die sich für die Rechte von Frauen einsetzen, war dieser Erlass im Jahr 1972 längst überfällig – wurden in diesem Wort doch Anrede und Personenstandsmerkmal verknüpft und unverheiratete Frauen damit in despektierlicher Form verkleinert. Die nicht verehelichten Herren der Schöpfung redete dagegen niemand mit „Herrlein“, sondern höchstens mit Junggeselle an, was auch blöd, aber nicht diskriminierend ist.
Die so bezeichneten Frauen waren gleich mehrfach stigmatisiert: Die Anrede unterstellte, dass nur die Ehe sie zu vollendeten Vertreterinnen ihres Geschlechts mache; sie zeigte gleichzeitig an, dass diese Frau noch unverheiratet sei. Und beim „Fräulein vom Amt“ oder der immer zum Diktat bereiten „Fräulein xy“ im Vorzimmer ihres Herren Diktators schwang die Unterstellung mit, dass die Frau nur so lange berufstätig sei, bis sie endlich unter der Haube der Ehe endgelagert werde.
Natürlich ist das Amtsdeutsch nur ein kleiner Teil der Sprachwelt. Manch ignorante Männer verwenden die Anrede bis heute; andersherum pochen manche selbstbewussten Feministinnen darauf.
Ganz super beliebt aber wird der vor 50 Jahren suspendierte Begriff nun in der Lifestyle-Sprache. Ob Bäcker, Eisdiele, Gärtnerei oder irgendwelche Dienstleister – überall kann einem plötzlich im Namen ein „Fräulein“ begegnen.
So macht dieser Begriff jetzt im Wortsinn eine Retro-Karriere, denn die meisten, die sie sich damit nun schmücken, wollen damit sagen, dass ihre Produkte irgendwie handwerklich solide, nachhaltig, vollwertig und damit quasi wie „aus der guten alten Zeit“ sind.
Damit aber verdreht die Generation Manufactum nachträglich nochmal den Sinn des ursprünglich gar nicht positiv gemeinten „Fräulein“-Begriffs. Eine Ministerin kann da auch nicht mehr helfen. Sondern höchstens der Dreh an der Schraube des Diversitäts-Fortschritts: Wenn die ersten optisch harten Kerle auf die Anrede „Fräulein“ pochen, dann ist dem Begriff hoffentlich endgültig der Mief der 50er Jahre ausgetrieben worden.
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