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Wer glaubt, dass jetzt Freiheit ist, glaubt auch, dass David Hasselhoff die Mauer niedergerissen hat

19.3.2022, 07:59 Uhr
David Hasselhoff gehört entgegen anderslautender Gerüchte nicht zum Raketen-Abwehrschirm der NATO. Und das, obwohl er vor über 30 Jahren an der Berliner Mauer mal von Freiheit sang.

© Anita Bugge via www.imago-images.de, imago images/Future Image David Hasselhoff gehört entgegen anderslautender Gerüchte nicht zum Raketen-Abwehrschirm der NATO. Und das, obwohl er vor über 30 Jahren an der Berliner Mauer mal von Freiheit sang.

Ein Virus hat zwar keine Ohren und hört grundsätzlich auf nix, aber vielleicht hätte es mit David Hasselhoff doch geklappt: Sein Dampframmen-Schlager „Looking for freedom“ hat nicht nur die Berliner Mauer ins Wanken gebracht, sondern wäre in seiner Scheußlichkeit womöglich sogar eine adäquate akustische Waffe gegen Corona gewesen.

Die Engländer hatten schon im Juli 2021 ihren "Freedom Day" - und feiern auf diesem Foto so wie man sich vorstellt, dass Engländer den "Freedom Day" feiern.

Die Engländer hatten schon im Juli 2021 ihren "Freedom Day" - und feiern auf diesem Foto so wie man sich vorstellt, dass Engländer den "Freedom Day" feiern. © Ioannis Alexopoulos, Ioannis Alexopoulos/PA Wire/dpa

Zu spät, das Virus zeigt uns jetzt, was ein Sieg auf ganzer Linie ist. Seit zwei Jahren haben sich die Menschen mit Lockdowns, Besuchsverboten, Abstandhalten, Händewaschen, Maskentragen, Ausgangssperren, Schnell- und PCR-Tests, Priorisierungen, Impfen und Boostern herumgeschlagen. Jetzt sind sie so erschöpft, dass sie diese Maßnahmen nicht weiter durchhalten können, sondern mit dem Frühlingsanfang in den Wind schießen wollen.

Manche Menschen führen seit Corona ein Leben wie im Schneewittchensarg, fühlen sich umstellt von ihren Ängsten. Ihnen wird der "Freedom Day" kaum helfen.

Manche Menschen führen seit Corona ein Leben wie im Schneewittchensarg, fühlen sich umstellt von ihren Ängsten. Ihnen wird der "Freedom Day" kaum helfen. © imago images/Shotshop/Iordache Magdalena, imago images/Shotshop

Doch die Luft war noch nie so voller extrem kontaktfreudiger SARS-CoV-2-Viren wie derzeit. Infektionszahlen und Inzidenzen sind hierzulande auf einem Rekordhoch. Der für den 20. März angekündigte „Freedom Day“, wie viele die geplante, jetzt aber halbherzig aufgeschobene Aufhebung der meisten Corona-Schutzmaßnahmen nennen, wirkt deshalb wie die grelle Pointe in einem absurden Theaterstück: Im Zustand der größten Ausbreitung der Seuche werden die Maßnahmen zur Eindämmung aufgehoben.

Erstmals in dieser Pandemie ist Corona in meiner persönlichen Umgebung wirklich mit voller Wucht angekommen, scheinen die Ansteckungen im näheren Umfeld tatsächlich nach oben zu schießen wie im aufsteigenden Ast einer Exponentialfunktion. Und ausgerechnet jetzt sagt die Gesellschaft: „Das war’s, wir lockern nun fast alles und lassen die Leute wieder von der Leine.“

Ein Graffiti an einer Hauswand in Tübingen. Maskenverweigerern sind und waren die Corona-Regeln sowieso egal, sie pfeifen deshalb auch auf den "Freedom Day".

Ein Graffiti an einer Hauswand in Tübingen. Maskenverweigerern sind und waren die Corona-Regeln sowieso egal, sie pfeifen deshalb auch auf den "Freedom Day". © imago images/Michael Weber, imago images/Michael Weber

Vielleicht ist das medizinisch sogar zu rechtfertigen, vielleicht sind die derzeit kursierenden Virusvarianten tatsächlich zwar extrem ansteckend, aber für die Mehrzahl der Menschen so harmlos, dass sie nichts oder nur so wenig wie bei einem Schnupfen merken. Corona wäre damit in der Gesellschaft angekommen, genauso wie Erkältungen, Grippe und andere lästige, aber nur in seltenen Fällen gefährliche Infektionen.

So ganz traue ich dem Frieden aber nicht. Der "Freedom Day" hat deshalb einen bitteren Beigeschmack, fast so schlimm, als hätte man David Hasselhoffs Gesang als Ohrwurm im Kopf. Außerdem sind beide Begriffe, Freiheit wie Frieden, derzeit extrem beschmutzt: Wie können wir die laue Frühlingsluft bei uns genießen, wenn fast nebenan in der Ukraine ein unberechenbarer kriegerischer Aggressor wütet?

Von einer Rakete getroffenes Haus in Nürnbergs Partnerstadt Charkiw. Der Albtraum des Krieges in der Ukraine lässt jeden "Freedom Day" schal schmecken.

Von einer Rakete getroffenes Haus in Nürnbergs Partnerstadt Charkiw. Der Albtraum des Krieges in der Ukraine lässt jeden "Freedom Day" schal schmecken. © imago images/Cover-Images, imago images/Cover-Images

Nein, der Begriff „Freedom Day“ passt überhaupt nicht in den Sound dieser Tage. Wir sollten ihn genauso aus unserer aktuellen Playlist nehmen wie David Hasselhoff.

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