Urteil bringt noch mehr Fluggast-Rechte

Verschenken Sie als Passagier kein Geld: Diese Entschädigungen stehen Ihnen von den Airlines zu

Matthias Niese

Leben / Magazin am Wochenende / Gute Reise

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28.6.2023, 15:00 Uhr
Flug ist annuliert? Da müssen Sie nicht verzweifelt abhängen - pochen Sie auf Ihre Rechte!

© Hannibal Hanschke/dpa, NNZ Flug ist annuliert? Da müssen Sie nicht verzweifelt abhängen - pochen Sie auf Ihre Rechte!

Ein Beispiel: Erst kürzlich musste ein in Nürnberg gestarteter Flieger nach Kreta wegen einer im Cockpit gesprungenen Scheibe umdrehen, die Passagiere kamen mit dem Schrecken davon und konnten gleich nach der Sicherheitslandung in einen Ersatzflieger steigen und in den Urlaub starten.

Ein Passagier war jedoch derart bedient und in Panik, dass er mit dem Auto nach Kreta fuhr - nun will er sich von der Airline Schadenersatz erstreiten. Ob seine eigenmächtige Aktion diesen rechtfertigt, ist offen. Was aber ganz sicher gilt, sind Ihre EU-Fluggastrechte. Die kennen die meisten Deutschen jedoch nicht. Wir klären auf.

Am „Albrecht Dürer“ Flughafen in Nürnberg musste ein Urlaubsflieger eine sogenannte Sicherheitslandung durchführen. Der Pilot brach den Flug mit Ziel Heraklion/Kreta unmittelbar nach dem Start um 07:50 Uhr ab und kehrte zum Flughafen Nürnberg zurück. Grund dafür war eine beschädigte Frontscheibe an der Boeing 737-85R der Corendon Airlines.

Am „Albrecht Dürer“ Flughafen in Nürnberg musste ein Urlaubsflieger eine sogenannte Sicherheitslandung durchführen. Der Pilot brach den Flug mit Ziel Heraklion/Kreta unmittelbar nach dem Start um 07:50 Uhr ab und kehrte zum Flughafen Nürnberg zurück. Grund dafür war eine beschädigte Frontscheibe an der Boeing 737-85R der Corendon Airlines. © NEWS5 / Grundmann, NNZ

Denn eine Umfrage, die das Markt- und Meinungsforschungsinstitut YouGov vergangenen Sommer im Auftrag von Flightright unter 2047 Flugreisenden durchführte, ergab erschreckende Zahlen: Etwa zwei Drittel der Flugreisenden wissen nicht, dass Ihnen laut EU-Verordnung unabhängig vom Ticketpreis bei einer Flugverspätung von mehr als drei Stunden oder einem Flugausfall eine Entschädigung von bis zu 600 € von der Airline zustehen kann, wenn diese die Schuld trägt. Unwissenheit kann Sie also bares Geld kosten.

Flug annulliert: Reisende dürfen flexibel umbuchen - ohne Aufpreis

Zumal es ganz aktuell ein neues Urteil gibt, das erweiterte Rechte bringt: Reisende, deren Flug annulliert wird, können selber bestimmen, wann sie einen kostenlosen Ersatzflug antreten - sie müssen dafür keine Zuzahlung leisten. Voraussetzung dafür sei lediglich, dass Plätze verfügbar sind, entschied der Bundesgerichtshof am Dienstag.

In dem vorliegenden Fall hatte die Lufthansa wegen der Corona-Pandemie im März und April 2020 zahlreiche Flüge annulliert. Als zwei Fluggäste jeweils auf einen Flug einige Monate später umbuchen wollten, verlangte die Airline dafür einen Aufpreis. Dagegen war die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen vorgegangen, in den Vorinstanzen allerdings ohne Erfolg. Der BGH beurteilte den Fall nun anders und urteilte, dass die Fluggesellschaft den Ersatzflug ohne Aufpreis anbieten müsse, wenn freie Plätze verfügbar seien.

Flugausfall: Anspruch auf Rückerstattung oder Ersatz

Sollte Ihr Flug ausfallen, haben Sie grundsätzlich immer einen Anspruch auf wahlweise Ticketrückerstattung oder eine Ersatzbeförderung, die Ihnen die Airline anbieten muss. Kommen Passagiere zum Beispiel mehr als drei Stunden später an ihr Ziel, können sie bis zu 600 Euro an Entschädigung von der Fluggesellschaft verlangen. Wird ihr Flieger direkt gestrichen, können sie ebenfalls einen Anspruch auf eine Entschädigung bis zu 600 Euro haben, wenn die Airline Flugreisende weniger als 14 Tage vor dem Abflug über die Annullierung informiert. Insbesondere viele Flugreisende, die schon einmal von Flugverspätung von mehr als drei Stunden betroffen waren, scheint das gar nicht bewusst zu sein. So gaben fast die Hälfte der Befragten (48 %) an, keine Entschädigung gegenüber der Airline geltend gemacht zu haben.

Unten listen wir konkret auf, welchen Schaden Sie bei Verspätung, Annulierung und Nichtbeförderung etwa wegen Überbuchung geltend machen können.

Die Flugärger-App erledigt für Sie ganz flott und kostenlos die Forderung auf Schadenersatz. 

Die Flugärger-App erledigt für Sie ganz flott und kostenlos die Forderung auf Schadenersatz.  © dpa

Die Lage an den Flughäfen ist viel besser als 2022

Vermutlich werden wir in diesem Sommer nicht mehr dasselbe Chaos erleben wie noch 2022, wie die soeben gestartete Urlaubssaison in Nordrhein-Westfalen zeigt - obwohl die Nachfrage nach Flugreisen gegenüber dem Vorjahr kräftig zugelegt hat: Das Sitzplatzangebot 2023 liegt rund zehn Prozent über dem Angebot des Sommers 2022. Damit wird in diesem Sommer ein Niveau von rund 85 Prozent von 2019 erreicht. Trotzdem verlief der Start in die Ferienzeit ohne größere Zwischenfälle. Reisende konnten an den Flughäfen in Nordrhein-Westfalen ohne überlange Wartezeiten ihren Urlaub antreten.

Es zahle sich laut Bundesverband der Deutschen Luftfahrt (BDL) aus, dass sich die Behörden und die Luftverkehrsbranche mit all ihren Systempartnern intensiv vorbereitet hätten. Neben umfangreichen Rekrutierungsmaßnahmen für zusätzliches Personal auf allen Ebenen wurden auch die Prozesse vor Ort für die Passagiere verbessert. So wurde beim Check-in die Möglichkeit online einzuchecken verstärkt. Dadurch erscheint bereits jetzt die deutliche Mehrzahl der Passagiere eingecheckt am Flughafen. Das entlastet die Schalter vor Ort. Auch die Zahl der Self-Check-in-Automaten für Aufgabegepäck wurde erhöht.

"Flugärger": Mit App kostenlos Entschädigung berechnen

Die Flugärger-App der Verbraucherzentrale ist ein übrigens ein super Selbsthilfe-Tool, um Ansprüche bequem und kostenlos zu berechnen und bei der Airline geltend zu machen. Zur App heißt es: "Die Datenbank enthält alle weltweiten Flugverbindungen ab dem 1.5.2019, so dass die Flugdaten auf Basis der Flugnummer und des Datums automatisch ergänzt werden. Natürlich ist auch eine manuelle Eingabe der erforderlichen Flugdaten möglich."

Die App erzeugt ein Anschreiben, das die Nutzer per Mail oder Post versenden können. Automatisch öffnet sich das Mailprogramm des Nutzers mit dem Forderungstext und allen persönlichen Angaben. Es ist bereits an die Airline adressiert und muss nur noch abgeschickt werden. Alternativ lässt sich ein PDF erzeugen, um einen Brief an die Airline zu senden.

Wenn die Airline die Forderungen aus dem Anschreiben ablehnt oder nicht fristgemäß reagiert, kann der Nutzer sich an die zuständige Schlichtungsstelle wenden. Die App ermittelt automatisch, welche Schlichtungsstelle zuständig ist. Im Fall der Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr (söp) werden zahlreiche Daten aus der App automatisch in das Formular der söp übernommen, so dass die Nutzer nicht alles doppelt eingeben müssen. Mit Hilfe eines Fristenweckers und einer Historien-Ansicht lässt sich dieser Prozess in der App organisieren.

Auch andere Ticketerstattungs-Services helfen hilft bei ersatzlosen Flugstreichungen, sodass Flugreisende nicht auf den kurzfristig gebuchten, viel höheren Kosten eines Ersatzfluges sitzen bleiben. Verbraucher können zum Beispiel über flightright.de/ticket einfach den alten und neuen Ticketpreis sowie weitere Falldaten eingeben. Sobald alle Daten und die digital übermittelte Unterschrift vorhanden sind, beginnt etwa Flightright mit der Durchsetzung der Ansprüche. Doch was gilt nun genau wann?

Entschädigung oder nicht? Das gilt bei Flugverspätung

1) Sie bekommen eine Ausgleichszahlung bei Ankunftsverzögerung am Endziel von mindestens drei Stunden je nach Entfernung

  • ≤ 1.500 km → 250 €
  • > 1500 km innerhalb der EU oder 1500 bis 3500 km → 400 € (Verspätung max. 3 Stunden → 200 €)
  • > 3500 km → 600 € (Verspätung max. 4 Stunden → 300 €)

Es besteht kein Anspruch, wenn die Fluggesellschaft außergewöhnliche und unvermeidbare Umstände nachweist.

2) Sie bekommen eine Unterstützungsleistung bei Abflugverzögerung von mindestens fünf Stunden je nach Entfernung - laut Verbraucherzentralen:

  • Verzicht auf den Flug und vollständige Erstattung des Flugpreises für nicht geflogene und ggf. für bereits zurückgelegte Strecken mit kostenlosem Rückflug zum Ausgangsort bei zwecklos gewordenem Flug
  • bei Verzicht auf den Flug bzw. Abbruch der Reise an einem Zwischenstopp → Anspruch auf Ausgleichszahlung entfällt.

3) Sie bekommen eine Betreuungsleistung bei Abflugverzögerung auf Strecken von

  • ≤ 1.500 km → mindestens 2 Stunden
  • > 1500 km innerhalb der EU oder 1500-3500 km → mindestens 3 Stunden
  • > 3500 km mindestens 4Stunden

Dann muss die Fluggesellschaft unentgeltlich anbieten: Essen und Getränke, zwei Telefonate, Telexe, Telefaxe oder E-Mails, bei Weiterbeförderung am/an nächsten Tag/en Hotelübernachtung mit Transfer.

Fluggast-Rechte: Das gilt bei Annulierung

1) Ausgleichszahlung je nach Strecke und Verspätung am Endziel bei einem Alternativflug

  • ≤ 1.500 km → 250 €
  • > 1500 km innerhalb der EU oder 1500 bis 3500 km → 400 € (bei Information über die Annullierung < 7 Tage vor Abflugtermin + Verspätung mehr als 2 h und max. 3 Stunden → 200 €)
  • > 3500 km → 600 € (bei Information über die Annullierung < 7 Tage vor Abflugtermin + Verspätung Verspätung mehr als 2 h und max. 4 h → 300 €)

Sie haben keinen Anspruch bei Unterrichtung über die Annullierung

  • ≥ 14 Tage vor Abflugtermin
  • 7-13 Tage vor Abflugtermin + Alternativflug mit Abflug max. 2 h früher und Ankunft max. 4 h später
  • < 7 Tage + Alternativflug mit Abflug max. 1 h früher und Ankunft max. 2 h später

Sie haben keinen Anspruch, wenn die Fluggesellschaft außergewöhnliche und unvermeidbare Umstände nachweist.

2) Unterstützungsleistung (Wahlrecht des Fluggasts alternativ):

  • Vollständige Erstattung des Flugpreises (für nicht geflogene und ggf. für bereits zurückgelegte Strecken mit kostenlosem Rückflug zum Ausgangsort bei zwecklos gewordenem Flug)
  • anderweitige Beförderung zum Ziel zum frühestmöglichen oder wunschgemäßen Zeitpunkt

3) Betreuungsleistung:
Die Fluggesellschaft muss unentgeltlich anbieten: Essen und Getränke, zwei Telefonate, Telexe, Telefaxe oder E-Mails, bei Weiterbeförderung am/an nächsten Tag/en bzw. verlängertem Aufenthalt am Reiseziel Hotelübernachtung mit Transfer.

Das gilt bei Nichtbeförderung, etwa wegen Überbuchung

1) Ausgleichszahlung je nach Strecke und Verspätung am Endziel bei einem Alternativflug:

  • ≤ 1.500 km → 250 € (Verspätung max. 2 h → 125 €)
  • > 1500 km innerhalb der EU oder 1500-3500 km → 400 € (Verspätung max. 3 h → 200 €)
  • > 3500 km → 600 € (Verspätung max. 4 h → 300 €)

2) Unterstützungsleistung (Wahlrecht des Fluggasts alternativ)

  • vollständige Erstattung des Flugpreises (für nicht geflogene und ggf. für bereits zurückgelegte Strecken mit kostenlosem Rückflug zum Ausgangsort bei zwecklos gewordenem Flug)
  • anderweitige Beförderung zum Ziel zum frühestmöglichen oder wunschgemäßen Zeitpunkt

3) Betreuungsleistung: Die Fluggesellschaft muss unentgeltlich anbieten: Essen und Getränke, zwei Telefonate, Telexe, Telefaxe oder E-Mails, bei Weiterbeförderung am/an nächsten Tag/en bzw. verlängertem Aufenthalt am Reiseziel Hotelübernachtung mit Transfer.

Eine tolle Zusammenfassung Ihrer Fluggastrechte inklusive Musterbrief zur Geltendmachung des Anspruchs auf Schadenersatz finden Sie auch auf dieser Seite der Verbraucherzentralen.

600 Euro Entschädigung - auch bei Tickets, die nur einen Euro gekostet haben

Übrigens: Auch bei Flugreisenden, die schon von einem Flugausfall oder Überbuchung betroffen waren, lassen mehr als ein Drittel (35 %) ihre Entschädigung und Rechte verfallen, schreibt Flightright-Expertin Brosche: "Die Umfrage zeigt sehr deutlich, dass viele Flugreisende ihre Rechte gegenüber den Airlines nicht geltend machen. Dabei sind besonders in diesem Chaos-Sommer viele Passagiere von Verspätungen und Flugausfällen betroffen. Vielen Flugreisenden ist nicht klar, dass der Anspruch auf bis zu 600 Euro Entschädigung auch dann besteht, wenn das Flugticket nur 1 Euro gekostet hat. Sich für seine Rechte einzusetzen, lohnt sich also auf jeden Fall", erklärt Brosche weiter.

Und immer wieder fällt ein Flug aus. Hier warten Reisende in der Abflughalle auf dem Flughafen von Frankfurt am Main auf Ersatz.

Und immer wieder fällt ein Flug aus. Hier warten Reisende in der Abflughalle auf dem Flughafen von Frankfurt am Main auf Ersatz. © Boris Roessler/dpa, NNZ

"Viele Flugreisende kennen ihre Rechte nicht. So ist vielen zum Beispiel auch nicht bewusst, dass man sich im Falle eines Flugausfalls selbst ein Ticket kaufen und die neuen Ticketkosten von der Airline erstatten lassen kann, wenn die Airline keine Alternative anbietet. Wir verstehen den Ärger der Passagieren über die Airlines und zerplatzte Urlaubsträume nur zu gut und geben ihnen mit der Durchsetzung der Kosten des neuen, deutlich teureren Tickets die Sicherheit nach einem entspannten Sommerurlaub zurück", so Brosche abschließend.

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