Nicht der erste blutige Vorfall

Nach Luchs-Ausbruch: Wie sicher ist Nürnbergs Tiergarten?

2.8.2021, 05:59 Uhr
Luchs Dayon war seit 2018 im Nürnberger Tiergarten. Nach einem Ausbruch vor zwei Monaten starb er an Herz-Kreislauf-Versagen.

© Helmut Maegdefrau Luchs Dayon war seit 2018 im Nürnberger Tiergarten. Nach einem Ausbruch vor zwei Monaten starb er an Herz-Kreislauf-Versagen.

Es war ein Drama: Einer der beiden Luchse hatte Anfang Juni den 2,70 Meter hohen Zaun seines Geheges überwunden und drei erwachsene Hirschziegenantilopen in der benachbarten Anlage gerissen. Außerdem wurde ein Jungtier derart verletzt, dass der Tiergarten es ebenfalls töten musste.

Die Raubkatze starb kurze Zeit später an Herz-Kreislauf-Versagen. Der Stress, außerhalb des vertrauten Terrains gleich drei Beutetiere zu erlegen, sowie die Betäubung durch Tiergarten-Mitarbeiter waren offenbar zu viel.

Stromkreislauf unterbrochen

Dem Luchs war die Flucht nur gelungen, weil der Stromkreislauf des Elektrodrahts unterbrochen war. Wie lange diese Sicherung bereits ausgefallen war, kann Tiergarten-Direktor Dag Encke nicht sagen. Denn bislang wurde dieses Areal nur in unregelmäßigen Abständen getestet. Es könnte also auch sein, dass die beiden Drähte schon einige Tage stromlos waren, bis der Luchs dies bemerkte. Seit dem blutigen Vorfall prüft ein Mitarbeiter täglich, ob der Strom fließt.

Tiergarten Inspektor Thomas Seitz prüft mit einem Messgerät, ob Strom im Elektrodraht des Luchsgeheges fließt. 

Tiergarten Inspektor Thomas Seitz prüft mit einem Messgerät, ob Strom im Elektrodraht des Luchsgeheges fließt.  © Michael Matejka/VNP

Die tägliche Messung erfolgt übrigens bei den besonders gefährlichen Tieren schon seit langem: bei Eisbären, Tigern, Löwen, Menschenaffen und männlichen Pavianen. Sie müssen in ihrem Revier absolut ausbruchssicher eingeschlossen sein, weil sie Menschen töten können. Der Elektrodraht ist dort allerdings nur eine zweite, ergänzende Sicherung.

Tiefer Wassergraben, unüberwindbare Mauer

Wichtiger ist, sie durch unüberwindbare Mauern und tiefe Wassergräben ausbruchssicher in ihren Gehegen zu halten. Der Tiergarten orientiert sich an den Vorgaben des Hefts "Sichere Anlagen in der Wildtierhaltung", das die Maßnahmen detailliert beschreibt.


Wie Luchs Dayon nach Nürnberg kam


Doch im Einzelfall muss man nachjustieren: So wurde ein Rohr im Wassergraben des Tigers ganz auf den Grund verlegt. Zuvor hatte sich nämlich die geschickte Raubkatze mit den Hinterfüßen auf das Metallrohr gestellt und versucht, von dort an der Sandsteinmauer hochzuspringen.

Sie wollte einen Rucksack erreichen, den ein gedankenloser Besucher ihr vor die Nase hielt - und sie kam ihrem Ziel beängstigend nahe. Eine gefährliche Situation, die zu einer Tragödie hätte führen können.

Gepard "Turbo" fiel Pony an

Auch bei Gepard "Turbo" musste man vor neun Jahren nachbessern: Die Raubkatze hatte die 2,70 Meter hohe Mauer überwunden und ein Pony angefallen. Das Huftier konnte "Turbo" abschütteln, wurde aber am Fuß leicht verletzt. Die Mauer hat man danach um 40 Zentimeter erhöht.

Tiergarten-Direktor Dag Encke weist darauf hin, dass man zwischen gefährlichen und sehr gefährlichen Tieren unterscheidet - in Kategorie 2 und 3, für die unterschiedliche Sicherheitsmaßnahmen gelten. Geparden zählen wie auch die Luchse zu Kategorie 2, zur höchsten Kategorie 3 zählen unter anderem die Eisbären.

Deutlich in Erinnerung ist der Ausbruch von vier Polarbären vor 21 Jahren, nachdem Unbekannte in den Abendstunden die Schlösser am Gehegeeingang mit einem Bolzenschneider geknackt hatten. Die Raubtiere verließen ihren Stall und liefen aufgeregt im Tiergarten herum - während noch Besucher unterwegs waren. Betäubungspfeile verfehlten ihre Wirkung, auch ließen sich die Bären nicht wieder in ihr Gehege zurück locken. Letztlich mussten Tiergarten-Mitarbeiter alle vier Raubtiere erschießen.

Komplexes Schließsystem

Die Konsequenz war, ein äußerst komplexes "Schlüssel-Transfer-System" zur Gehege-Sicherung einzubauen. Die jetzigen Blockschlösser sind so stark, dass man sie nicht mehr durchtrennen kann. Außerdem lassen sich die Türen zur Eisbären-Box erst öffnen, wenn die Schieber ordnungsgemäß geschlossen und eingerastet sind. Das komplizierte Schließsystem ist rein mechanisch, um Fehleranfälligkeiten von elektronischen Schlössern auszuschließen.

Außerdem sollen Videokameras - etwa bei dem in den Felsen gesprengten Raubtierhaus - vor unliebsamen Überraschungen warnen. So kann der Pfleger schon von außen erkennen, ob im Innenraum alles in Ordnung ist.

Tote Kühe gegen Glasscheibe geschleudert

Als man vor geraumer Zeit die schweren Gitter der Löwen- und Tigerkäfige durch Glas ersetzt hat, musste zuvor die Dicke des Glases bestimmt werden. In einem Labor schleuderte man tote, 250 Kilogramm schwere Kühe gegen Glasscheiben, um den Sprung (und die damit verbundene Wucht) einer Raubkatze zu simulieren. Anschließend wurde eine Glasstärke von 30 Millimetern als absolut ausreichend für die Sicherheit der Besucher angesehen.

Beim kürzlichen Umbau des Gorilla-Außengeheges stand der Tiergarten vor der Frage, wie tief der Wassergraben sein soll. Ursprünglich waren 1,50 Meter Wassertiefe geplant: Doch als man von einem dänischen Zoo erfuhr, dass dort ein Gorilla 1,80 Meter überwunden hatte, wurde der Graben in Nürnberg auf zwei Meter Tiefe ausgeschachtet. Als Schutz für die Menschenaffen sind aber vor dem Ende der Flachwasserzone Elektrodrähte und im Wasser ein Netz gespannt, die sie vor dem Abrutschen und möglichen Ertrinken im tieferen Bereich bewahren sollen.

Nur eine Beanstandung

"Bei der Gehege-Sicherheit sind wir mit unseren Maßnahmen rundum durch", meint Tiergarten-Direktor Encke. Die europäische Zoo-Gemeinschaft EAZA hatte diesbezüglich bei ihrer routinemäßigen Kontrolle am Schmausenbuck vor einiger Zeit kaum etwas zu beanstanden, berichtet er. Lediglich die Besucher-Absperrung bei den Schneeleoparden erschien der EAZA nicht ausreichend. Da hat der Zoo am Schmausenbuck bereits nachgebessert. Auch wenn sich die Ausbrüche der Zootiere über etliche Jahre verteilen und die Zahl somit vergleichsweise gering erscheint, so ist doch jeder Vorfall einer zu viel.

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