Die Straßenbahn hatte lange einen schweren Stand

ÖPNV in Nürnberg: Ist die Zukunft der Bahnen ober- oder unterirdisch?

Johannes Handl

Lokalredaktion

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14.5.2022, 08:00 Uhr
Derzeit wird das U-Bahn-Netz weiter ausgebaut. Ab 2026 soll die U3 die U-Bahnhöfe Kleinreuth bei Schweinau und Gebersdorf anfahren. Doch auch bei der Nürnberger Straßenbahn tut sich einiges.

© Claus Felix/VAG, NNZ Derzeit wird das U-Bahn-Netz weiter ausgebaut. Ab 2026 soll die U3 die U-Bahnhöfe Kleinreuth bei Schweinau und Gebersdorf anfahren. Doch auch bei der Nürnberger Straßenbahn tut sich einiges.

U-Bahn oder Straßenbahn: Wem gehört die Zukunft? Jahrzehntelang wurde über diese Frage auch in Nürnberg heftig diskutiert und gestritten. Als John Borchers, der heutige Chef-Planer der VAG, 1992 nach Nürnberg kam, fand er die ganze Debatte "absurd". Warum nicht die Vorteile beider Systeme nutzen?

Befürworter der Straßenbahn hatten lange Zeit einen schweren Stand. Viele Jahre, lässt Borchers durchklingen, wurde die Straßenbahn stiefmütterlich behandelt. Warum noch viel Geld investieren, wenn sie ohnehin bald der Vergangenheit angehören dürfte, dachten viele. So schienen die Tage der Straßenbahn in Nürnberg noch bis Anfang der 1990er Jahre gezählt. Doch es kam anders. Ein wegweisender Beschluss des Stadtrats sicherte 1994 ihre Zukunft.

Für Borchers ein bedeutender Wendepunkt. Von nun an konnte wieder in den Fuhrpark investiert werden, der bereits deutlich in die Jahre gekommen war. Auf der Agenda standen aber nicht nur neue Niederflurfahrzeuge. Auch die Gleise sowie die sonstigen Anlagen sollten modernisiert und das Netz ausgebaut werden. Die Straßenbahn, der lange Zeit ein altmodisches Image anhaftete, gewann wieder deutlich an Rückhalt in Nürnberg. Es setzte sich die Erkenntnis durch, dass mehrere Systeme nebeneinander, darunter natürlich auch der Bus, Vorteile bringen.

In den 1960er Jahren versprachen sich Verkehrsplaner von einem ausgebauten U-Bahn-Netz mehr Platz über der Erde. Platz, der nach damaligem Verständnis vor allem Autofahrern zugutekommen sollte. Straßenbahnen wurden dagegen lange Zeit eher als Verursacher und nicht als Opfer von Staus angesehen, die den Autos den Platz rauben. Es dauerte viele Jahre, bis sich diese Einschätzung langsam, aber sicher änderte.

Braucht Nürnberg U-Bahnen, Straßenbahnen und Busse?

Sind drei Systeme für eine Stadt wie Nürnberg aber nicht zu viel? Nicht unbedingt. Borchers verweist auf Lyon, das ebenfalls eine gute halbe Million Einwohner zählt. Das Verkehrsnetz der französischen Stadt besteht aus vier U-Bahn-Linien (davon eine als Zahnradbahn), fünf Straßenbahnlinien, zwei Standseilbahnlinien, die über den Hügel Fourvière führen, und über 130 Bus- und Obuslinien. Das gesamte Straßenbahnnetz ist dabei erst ab den 2000er Jahren als zusätzliches System wieder hinzugekommen. Die Größe einer Stadt ist für Borchers daher nicht entscheidend. Für ihn kommt es darauf an, wie sich die Systeme sinnvoll ergänzen.

Natürlich sollten sich die Angebote nicht zu sehr überschneiden. Wenn sich Fahrgäste zum Beispiel am Rathenauplatz entscheiden können, ob sie mit der U- oder der Straßenbahn zum Hauptbahnhof fahren wollen, sei das in Ordnung. Es wäre schwer zu vermitteln, wenn VAG-Kunden aus Richtung Erlenstegen für zwei fehlende Stationen aus der Straßenbahn umsteigen müssten. Man müsse stets die vorhandenen Kapazitäten der verschiedenen Fahrzeuge im Blick behalten und sich die Vorteile zunutze machen, die U-Bahnen, Straßenbahnen und Busse liefern.

Die U-Bahn etwa, deren Streckenausbau kostspielig ist, gilt auch heute noch als leistungsfähig und sehr schnell. Sie bildet das Grundgerüst des Nürnberger Nahverkehrs und deckt mit ihren drei Linien wesentliche, gut nachgefragte Ziele ab. Mit Straßenbahnen und Bussen, die wiederum weniger Fahrgästen Platz bieten können, lassen sich allerdings deutlich mehr Ziele in der gesamten Stadt erreichen - auch dort, wo sich eine U-Bahn mit Blick auf das Verkehrsaufkommen nicht rentiert.

Die Frage, wer auf der Schiene in Zukunft die Nase vorn hat, muss laut Borchers gar nicht beantwortet werden. Hier gilt sowohl als auch. Klar ist, dass das U-Bahn-Netz gerade ausgebaut wird. Ab 2026 soll die Linie U3 auch die beiden Bahnhöfe Kleinreuth bei Schweinau und Gebersdorf anfahren. Ob ein weiterer Ausbau der U-Bahn-Strecken erfolgt, ist derzeit noch nicht absehbar.

Streckennetz wird ausgebaut

Fest steht auch: In das Straßenbahnnetz wird in den kommenden Jahren ebenfalls massiv investiert. Bereits beschlossen sind Direktverbindungen mit den Straßenbahnlinien 10 (Dutzendteich - Plärrer - Am Wegfeld) und 11 (Gibitzenhof - Hauptbahnhof - Mögeldorf) auf bestehenden Gleisen. Sie sollen 2023 realisiert werden. So soll der Takt auf vielen wichtigen Achsen auf mindestens fünf Minuten verdichtet werden. Außerdem entstehen neue Direktverbindungen, so dass sich die Reisezeit verkürzt. Die Linie 7 soll zunächst bis zum Stadtpark und später im Süden bis in den neuen Stadtteil Lichtenreuth verlängert werden. Die Linien 4 und 5 im Süden der Stadt werden durch eine neue Strecke in der Minervastraße verknüpft. Der Netzausbau läuft bis voraussichtlich 2027.

Stand die Straßenbahn vor 30 Jahren fast vor dem Aus, wird heute mächtig aufgerüstet. Bereits bestellt sind 26 Straßenbahnen vom Typ Avenio, von denen schon drei ausgeliefert wurden. Bis Mitte der 2030er Jahre könnten es 76 werden. Verbesserungsmöglichkeiten sieht Borchers auch in den kommenden Jahren - angefangen vom Ausbau des Streckennetzes über die Taktverdichtung bis hin zu weiteren Vorrangschaltungen und einer verstärkten Begrünung der Gleiskörper, die dem Stadtklima und dem Lärmschutz zugutekommen sollen. Die Schiene hat in Nürnberg also weiterhin Zukunft - unter- wie oberirdisch.

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