Anmerkungen zu ihrer Biografie

Angela Merkel: Die Kanzlerin, die Deutschland schlummern ließ - und deshalb so oft gewählt wurde

Alexander Jungkunz

Chefpublizist

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27.11.2024, 12:51 Uhr
700 Seiten über die 67 Jahre von 1954 bis 2021: Angela Merkels Biografie ist nun auf dem Markt.

© Leonie Asendorpf/dpa 700 Seiten über die 67 Jahre von 1954 bis 2021: Angela Merkels Biografie ist nun auf dem Markt.

Es dürfte oft unterm Christbaum liegen: das 700-Seiten-Werk von Angela Merkel. "Freiheit" heißt ihre Autobiografie - von der Kindheit und Jugend in der DDR bis zum Ende ihrer Rekord-Kanzlerschaft.

Zum Einstieg macht sie selbst klar, warum sie Memoiren schrieb: Sie will "Schilderung und Interpretation nicht allein anderen überlassen" - sondern all den eher kritischen Interpretationen der Ära Merkel ihre eigene Sicht gegenüberstellen.

Politiker-Erinnerungen sind stets Selbstrechtfertigungen

Viele reiben sich nun daran, dass Merkel nahezu frei von Selbstzweifeln oder gar -kritik Bilanz zieht. Aber ist das tatsächlich erstaunlich? Sie war ja schon als Kanzlerin stets überzeugt, dass ihr Kurs "alternativlos" sei. Und: Nicht nur Politiker-Erinnerungen sind stets mehr (siehe Kohls Mammutwerk) oder weniger (dazu zählt Merkels Buch) eitle Selbstbeweihräucherungen.

Die liefert Merkel in ihrer eher nüchternen Art nicht. Sie referiert chronologisch, was sie wann wie tat, wen sie wo traf und sprach. Das ist kein spannender Wälzer, den man nicht mehr aus der Hand legt - eher etwas einschläfernd.

Einschläfernd: Das Wort passt auch zu jenem Politik-Stil, den nun viele der Altkanzlerin vorwerfen - zu Recht. Merkel setzte, das war offensichtlich, darauf, uns Deutsche möglichst wenig mit Politik zu behelligen. Kritiker sagen: Sie lullte uns ein, die Republik wurde zu einer Art Lummerland. Asymmetrische Demobilisierung nannten Politikwissenschaftler dieses Verfahren: Wer den Bürgern ihre Ruhe lässt, sorgt auch dafür, dass mögliche Kritiker seltener aktiv werden oder zur Wahl gehen.

Dabei waren viele Probleme zwar offensichtlich - wenn man hinschauen wollte. Das aber wollten viele in einem Land nicht, dem es auf den ersten Blick ja gut ging. Merkel steuerte die zusehends träge gewordene Republik ruhig und "auf Sicht" durch die Krisen, die im Vergleich zu den heutigen Konflikten relativ harmlos aussehen.

Wir richteten uns bequem ein

Und vielen gefiel das - sonst wäre sie nicht so lange im Amt geblieben. Wir richteten uns bequem ein mit billigem russischem Gas und Öl, mit boomenden Exporten nach China und dem militärischen Schutz durch die USA. All das wurde damals von manchen kritisiert - und vieles davon ist inzwischen brüchig.

Spätestens seit der Flüchtlingskrise polarisierte Merkel. Die einen bewundern sie immer noch für ihr "Wir schaffen das" - vor allem Nicht-CDU-Anhänger. Die anderen verachten sie für die Probleme, die dadurch entstanden und lange beschönigt wurden, auch von den meisten Medien. Corona spaltete später ähnlich. Und die vermeintlich alternativlose Politik sorgte fürs Erstarken einer Partei, die sich "Alternative" nennt.

Merkel hat dem Land zu wenig zugemutet, zu wenig investiert. Reformen ging sie nie an, sondern erntete die Früchte von Schröders Agenda. Ihr Stil, die Menschen zu schonen, hat leider Schule gemacht - Olaf Scholz ahmte da Merkel nach. Doch offenbar wird diese Art der Politik-Vermeidung nun durchschaut - fürs Land wäre das gut.

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