Zoff in Berlin: Ampel am Ende?
FDP-Chef formuliert Scheidungspapier: Eine Regierung, die nicht mehr regieren will, soll abtreten
3.11.2024, 08:46 UhrEs gab schon viele Abgesänge auf die Ampel, die meisten davon können als ritualisiertes Oppositionsgenörgel zu den Akten gelegt werden. Allein Markus Söder hat in den vergangenen Monaten mehr als ein Dutzend Mal Neuwahlen gefordert.
Auch jetzt ertönen solche Rufe wieder - nur sind sie erstmals ernst zu nehmen. "Das einzige, was jetzt zählt, sind Neuwahlen - sofort", sagt Söder nach den jüngsten Streitereien. Tatsächlich ist die Berliner Koalition am Ende. War schon die Performance mit dem Doppel-Wirtschaftsgipfel schwer vermittelbar, legte Finanzminister Christian Lindner (FDP) nochmals nach: Sein Grundsatzpapier darf wohlwollend als Provokation bezeichnet werden, im Grunde läutet der Finanzminister das Totenglöckchen der Ampel, deren Zentrifugalkräfte die Bindungswirkung längst übertreffen.
Drei Alphamänner als ein Kernproblem der Ampel
Wie sonst sollen Lindners Thesen sonst verstanden werden? Was sonst will ein führendes Mitglied eines Kabinetts den anderen Alphamännern (vielleicht ist das auch eines der Probleme dieser Koalition, dass drei Männer völlig ungeniert ihre Machtkämpfe austragen) mitteilen, wenn es die Eckpfeiler von SPD und Grünen abräumt, als ginge es um die dritte Kommastelle eines unbedeutenden Gesetzentwurfes?
Nein, Lindner ist bislang nicht als Politclown wie etwa sein Parteifreund Wolfgang Kubicki aufgefallen, der FDP-Chef weiß vielmehr ziemlich genau, was er tut. Deshalb ist die Lage so ernst.
Zumal Lindner stets derjenige aus der Ampelspitze war, der die staatsmännische Verantwortung (auf sich selbst und auch auf den Wählerauftrag bezogen) bei jeder Gelegenheit betont hat. Mittlerweile ist ihm das gelbe Hemd offenbar lieber als die rot-grün-gelbe Hose, die viele Liberale zunehmend als unpassendes Kleidungsstück empfunden haben.
In der FDP grassiert die nackte Angst
In der FDP grassiert, das mag Lindners Ego-Trip zumindest teilweise erklären, die nackte Angst: In den Ländern versinken die Liberalen zur Splitterpartei, die unter "Sonstige" eingeordnet ist, und im Bund droht das Absinken unter die Fünf-Prozent-Hürde.
Völlig ungeniert schielt Lindner deshalb auf die Kernklientel, die Reichen des Westens. Dass er dafür die vor drei Jahren noch als Kern des Fortschrittbündnisses gefeierte Klimapolitik über die Wupper gehen lässt - geschenkt. Überhaupt ist es mit den Gemeinsamkeiten in der Ampel offensichtlich vorbei. Lindner formuliert schon mal die Scheidungsurkunde.
Etwas Selbstachtung vorausgesetzt, kann der Grüne Robert Habeck die Aussagen des Liberalen nicht tatenlos stehen lassen, gleiches für den Kanzler. Olaf Scholz (SPD) wird zwar stoische Ruhe attestiert, doch Lindners Aussagen zur Generationengerechtigkeit sind nicht weniger als ein Abgesang auf die seniorenfreundliche Sozialpolitik der Sozialdemokraten. Kurzum: Ampel ist am Boden. Die Vertrauensfrage wäre ein verlässlicher Garant, dem Schrecken eine Ende zu bereiten. Denn eine Regierung, die nicht mehr regieren will, schadet dem Land mehr als sie ihm nutzt.
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