Neues Buch "Kaputte Wörter?"

Selbst "Sehr geehrte Damen und Herren" ist umstritten: Was darf man heute noch sagen?

19.9.2022, 15:00 Uhr
Journalist bei der "Welt":  Matthias Heine.

© Barbara Dietl, dpa Journalist bei der "Welt":  Matthias Heine.

Wenn es um den Umgang mit Sprache geht, kann es schnell ungemütlich werden. Das zeigen Debatten wie jüngst über gendergerechte Sprache oder diskriminierende, rassistische Begriffe. Vor allem in den sozialen Medien wird dabei nicht zimperlich miteinander umgegangen. Neben sachlicher Kritik finden sich dort häufig maßlose Vorwürfe - von allen Seiten. Wer "falsch" spricht, steht schnell am öffentlichen Pranger. Wer Veränderung fordert, sieht sich nicht selten dem Vorwurf der Zensur ausgesetzt. Häufig steht dann die Frage im Raum, was man heute eigentlich noch sagen darf.

Ein neues Buch gibt bei diesem Thema einen Überblick. Für "Kaputte Wörter? - Vom Umgang mit heikler Sprache" hat der "Welt"-Journalist Matthias Heine rund 80 Wörter gesammelt, die heute als diskriminierend, problematisch und gestrig bezeichnet werden - früher aber auch als durchaus neutral galten, wie er schreibt.

Es geht los mit A wie Abtreibung und endet mit Z wie Zwerg. Dazwischen finden sich E wie Eskimo, M wie Milch (als Bezeichnung für vegane Milchalternativen) und S wie Schamlippen.

Der Autor will keine Sprachpolizei sein

Jedes Kapitel ist aufgeteilt in Ursprung und Gebrauch des Wortes und der Kritik an ihm. Am Ende jeden Abschnitts gibt der Autor eine subjektive Einschätzung. Dabei will er sich nicht als "Sprachpolizei" oder "Anti-Sprachpolizei" verstanden wissen, betont er, sondern zum Weiterdenken anregen.

Die Gründe, warum die Wörter in der Kritik standen und stehen, sind vielfältig. Häufig geht es darum, dass sich bestimmte gesellschaftliche Gruppen für ihre Rechte und für Respekt einsetzen.

So spielt das Thema geschlechtergerechte und geschlechtsneutrale Sprache bei vielen Begriffen eine Rolle. Einmannpackung etwa ist aus dem Grund problematisch geworden - die Bundeswehr nennt diese seit Kurzem daher Einpersonenpackung. Auch auf die Anrede "Sehr geehrte Damen und Herren" wird immer häufiger verzichtet, um Menschen, die sich keinem Geschlecht zuordnen, nicht auszuschließen. Großes Aufregerpotenzial bei dem Thema hat seit einigen Jahren die Bedeutung des Wortes "Frau" und die Frage, ob Transfrauen Frauen sind.

Andere Wörter werden geändert, um Rassismus und Diskriminierung zu vermeiden. Dazu gehören die Bezeichnungen bestimmter Gerichte, wie eine Schnitzel-Art, die jetzt unter anderem Balkanschnitzel genannt wird, oder die früher gängige Bezeichnung für Schokoküsse.

Das N-Wort ausschreiben?

Und natürlich das N-Wort. Damit wird eine früher gebräuchliche rassistische Bezeichnung für Schwarze umschrieben. In der Debatte, die regelmäßig aufploppt, geht es nun um die Frage, ob das eigentliche Wort in Zitaten, Literatur und historischen Quellen verwendet werden darf. Heine schreibt es aus, weil er bezweifelt, dass es durch die Abkürzung - für die man, um sie zu verstehen, das eigentliche Wort kennen muss - verschwindet.


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Um andere Wörter wird dagegen nicht mehr gestritten. Dazu gehören Liliputaner als Bezeichnung für kleinwüchsige Menschen, mongoloid, womit lange Menschen mit dem Down-Syndrom bezeichnet wurden oder die Anrede "Fräulein" für unverheiratete Frauen. Sie alle sind aus dem allgemeinen Sprachgebrauch verschwunden.

Wie sehr dagegen manche Wörter verunsichern können, zeigt sich etwa beim Wort Jude. Viele Deutsche haben Hemmungen, es zu verwenden. Sogar im Duden findet sich der Hinweis, dass die Bezeichnung wegen der Erinnerung an den nationalsozialistischen Sprachgebrauch gelegentlich als diskriminierend empfunden wird. Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, sah sich deswegen Anfang des Jahres zu einer Erklärung veranlasst: Das Wort Jude sei für ihn weder ein Schimpfwort noch diskriminierend.

Welchen Einfluss politische Entwicklungen auf Sprache haben, zeigen sowohl deutsche Städtenamen in Polen und Russland (wer etwa Breslau statt Wroclaw sagte, stand lange unter Revanchismusverdacht - heute ist das allerdings nicht mehr so) als auch Forderungen - etwa ukrainischer Politiker seit Beginn des Krieges in der Ukraine - die ukrainische Hauptstadt aus Respekt mit der ukrainischen Schreibweise Kyjiw oder Kyiv zu benennen, und nicht mit der russischen Kiew.


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Überraschend ist, wie der Gebrauch von Messengerdiensten wie Whatsapp Sprache verändern kann. Der Punkt etwa ist laut einer Studie der Universität Birmingham unter Jüngeren zu einem "gefährlichen Satzzeichen" geworden. Ihr zufolge werden im Englischen Textnachrichten, die mit einem Punkt enden, von jüngeren Empfängern als unfreundlich wahrgenommen.

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