Vernissage im Bernstein

Eine Sünde wert

23.1.2022, 17:27 Uhr
Eine Sünde wert

© Johannes Gurguta

Der Begriff Sünde ist in erster Linie biblisch geprägt, hält aber im deutschen Sprachgebrauch in vielerlei Hinsicht Einzug. Sei es der Sündenbock, der im negativen Sinne für bestimmte Taten verantwortlich gemacht wird, der Umweltsünder, der sich wenig um Nachhaltigkeit und Natur schert oder etwas sündhaft Teures, was hohe Kosten beschreibt.Eben dieser Mehrdeutigkeit des Wortes hat sich der Themenkunstverein Feucht in seiner neuen Gemeinschaftsausstellung im Café Bernstein angenommen. Am vergangenen Freitag wurde die gut besuchte Vernissage vom ersten Vorsitzenden des Themenkunstvereins, Ernst Klier, abgehalten. Es ist die erste Ausstellung ohne Beisein des im vergangenen Jahr verstorbenen Gründers und Mäzens Hans Joachim Strauß. 



Viele verschiedene Ansätze

„Es fühlt sich komisch an, es ohne Hans zu machen“, eröffnete Klier seine Rede und bat alle Anwesenden um eine Schweigeminute. Es ist das letzte Thema, dass Strauß vor seinem Tod festgelegt hat. Kein einfaches Sujet, erklärt der erste Vorsitzende mit einer Prise Humor: „Das Thema hat uns Hans noch eingebrockt.“ Alleine der Ursprung des Wortes, ob es aus dem lateinischen oder germanischen kommt, sei ungeklärt. Sicher ist jedoch die religiöse Bedeutung, „der Verstoß gegen das Göttliche“. Ganz so dogmatisch muss man den Begriff aber nicht sehen, wie das „buntes Sammelsurium von wunderbaren Beiträgen“ von insgesamt 26 Bildern, Materialcollagen und Installationen zeigt.Der Münchner Maler Franz von Stuck hat sich oftmals mit dem Thema Sünde auseinandergesetzt. Sein bekanntestes Bild mit dem Titel „Die Sünde“ hängt in der Neuen Pinakothek in München und zeigt das Aktbild einer Frau mit einer Schlange auf der Schulter. „Das ist ein Motiv, das auch hier oft vorkommt“, bemerkt Klier. Nicht ohne Grund, denn in der Paradieserzählung aus dem Alten Testament spielt die Schlange im Baum der Erkenntnis eine wichtige Rolle. „Und die Frau ist in der Geschichte die Verführerin“, sagt Klier.

Religion, Philosophie und Süßes



Von dieser Thematik hat sich zum Beispiel der Schwaiger Maler Richard Wagner in seinem Gemälde „Der Apfel“ inspirieren lassen. Auch der Künstler Gunter Kaufmann bezieht sich in seinem Werk „Trägheit“ auf eine der sieben Todsünden, die vom Katholizismus geprägt sind. Neben diesen klassischen Motiven haben viele der ausgestellten Stücke auch ganz andere Ansätze für den Begriff. Eine Installation zeigt beispielsweise einen FKK-Strand, auf dem Nonnen in einem Zelt versteckt die nackten Menschen beobachten. Ein interessanter Ansatz, weil es sich mit Freiheit, gesellschaftlichen Normen und deren Vereinbarkeit mir christlichen Regeln auseinandersetzt.

Auch literarische beziehungsweise philosophische Sichtweisen auf den Begriff sind geboten. Auf Alexandra Stein-Taslers Bild „Ecce homo“, das wie ein Spätwerk des Philosophen und Philologen Friedrich Nietzsche heißt, ist eine Mord-
szene abgebildet. So lässt sich der Mord als Verstoß gegen die biblischen zehn Gebote - und somit als Sünde -, aber auch als ein Bestandteil der Realität des menschlichen Lebens sehen.Eine etwas positivere Herangehensweise an die Thematik präsentiert Heike Wölk aus Feucht. Ihr ausgestelltes Bild „K(l)eine Sünde“ zeigt ein junges Mädchen vor einer Obstschale. „Eigentlich ist es nämlich gar keine Sünde“, sagt die Künstlerin und vertritt die Meinung, dass man vor allem in dieser Zeit auch weg vom Düsteren gehen sollte.

Eine Sünde zum mitnehmen



Die kunstaffine Schwarzenbrucker Zahnärztin Kathrin Koll fungiert an diesem Abend selbst als Ausstellungsstück. Engelsgleich in weiß gekleidet verteilt sie „kleine Sünden“ und „Sünden to go“ in Form von Süßigkeitentütchen und selbst gemachter Marmelade an die Anwesenden. Damit konnte sie bei der Vernissage 150 Euro an Spenden für Ärzte ohne Grenzen sammeln. Quasi sündigen für einen guten Zweck.„Ich mache gerne eine solche Kunst-Performance bei Ausstellungseröffnungen“, sagt sie. An diesem Tag legt sie den Begriff Sünde dadurch positiv aus. „Das Leben fängt dann an, wenn man ein bisschen sündigt“, gibt sie zu denken. Genuss muss sein und sei auch etwas anderes als Völlerei. „Die Sünde macht das Leben spannend und die Sünde macht uns zu Menschen“, sagt Koll.Ernst Klier freut sich über die vielen verschiedenen Auslegungen: „Die Vernissage dient auch dem Gespräch und dem Austausch.“ Das mache die Kunst schließlich zu etwas Besonderem. Im selben Atemzug bedankt er sich bei allen Anwesenden dafür, dass sie sich für die Kultur in Feucht stark machen. Er schließt seine Rede mit einem Zitat vom ehemaligen deutschen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, in dem es heißt, dass die Kultur kein Luxus sei und man sie brauche. „Kultur ist lebens- und überlebenswichtig, vor allem in dieser Zeit. Denn die Kunst zeigt, was uns als Menschen ausmacht“, fügt Klier hinzu.Es war ein Abend der Erinnerung, der Gemeinschaft, der Hoffnung und der Liebe zur Kunst und Kultur - trotz schwieriger Umstände. Es wurde sich ausgetauscht, gelacht und geweint. Das alles gehört, wie auch die Sünde, zum Leben dazu. Letztendlich ein Abend, an dem die Präsenz von Hans Strauß allgegenwärtig war - trotz seiner Abwesenheit.