Doppeljubiläum

Gegründet vor 150 Jahren: Die bewegte Geschichte von Regens Wagner Zell

Jürgen Leykamm

27.1.2022, 06:04 Uhr
Augenkontakt zu den hörgeschädigten Schülern ist notwendig (deshalb der runde Tisch) – das galt damals und das gilt heute. Ansonsten aber hat sich bei Regens Wagner in Zell allerdings vieles verändert.

© Regens Wagner Augenkontakt zu den hörgeschädigten Schülern ist notwendig (deshalb der runde Tisch) – das galt damals und das gilt heute. Ansonsten aber hat sich bei Regens Wagner in Zell allerdings vieles verändert.

Es gibt heuer sehr viel zu feiern bei Regens Wagner in Zell. Die Einrichtung für Hörgeschädigte mit Mehrfachbehinderungen selbst wurde vor eineinhalb Jahrhunderten ins Leben gerufen - just in dem Jahr, in dem das ursprünglich in Dillingen entstandene katholische Sozialwerk sein Silberjubiläum feierte. Ob und wie Veranstaltungen aus diesem doppelten Grund stattfinden können, hängt allerdings stark von der jeweiligen Pandemielage ab.

Zum Auftakt soll es am Freitag, 28. Januar, eine coronakonforme Andacht in der Einrichtung in dem Hilpoltsteiner Ortsteil geben. Allerdings lediglich für geladene Gäste, wie Leiterin Heike Klier und die Öffentlichkeitsbeauftragte Regina Ising bei einem Pressegespräch betonen. Das Geschehen werde aber „auf Video aufgezeichnet und dann allen Bewohnern zur Verfügung gestellt“. Denn gerade sie sollen von dem Doppeljubiläum möglichst viel mitbekommen.

Am Jubiläumstag fällt auch der Startschuss für eine Ausstellung, bei der auf einem Rundweg durch das Gelände 20 Informationstafeln Auskunft über die Einrichtung geben. Außerdem werden ab Freitag Führungen (nach Anmeldung) angeboten, und ein Begleitheft sowie ein Film nehmen auf eine Zeitreise mit.

Start mit einer Handvoll Schwestern und Mädchen

Die Anfänge von Regens Wagner Zell reichen zurück bis ins Jahr 1847, als die Generaloberin des Ordens der Dillinger Franziskanerinnen, Schwester Theresia Haselmayr, beginnt, sich um gehörlose Mädchen zu kümmern. Einen eifrigen Unterstützer findet sie im dortigen Priesterseminarchef, Regens Johann Evangelist Wagner, seines Zeichens geistlicher Begleiter der Ordensfrauen.

Ein kongeniales Gründerduo, wie sich bald herausstellt. Denn das Betreuungsangebot wächst schnell. Hier können junge Frauen wohnen, arbeiten und sich ausbilden lassen. Bald wird es personengruppenspezifisch und geografisch ausgedehnt. Nun nehmen es auch Mehrfachbehinderte beiderlei Geschlechts und verschiedener Konfessionen in Anspruch. Es entstehen weitere Regens-Wagner-Einrichtungen - 1872 auch die in Zell nahe Hilpoltstein im Landkreis Roth. Insgesamt sind es heutzutage 14, eine davon sogar in Ungarn.

Eine historische Aufnahme der Regens-Wagner-Einrichtung. Der Gebäudekomplex in Zell ist über die Jahrzehnte stark gewachsen, viele neue Einrichtungen sind hinzugekommen.

Eine historische Aufnahme der Regens-Wagner-Einrichtung. Der Gebäudekomplex in Zell ist über die Jahrzehnte stark gewachsen, viele neue Einrichtungen sind hinzugekommen. © Regens Wagner

Eine grauenvolle Zäsur in der Geschichte der Einrichtung bildete die Schreckensherrschaft des NS-Regimes. Danach geht es jedoch erfolgreich weiter. In naher Zukunft könnten es 10.000 Menschen sein, die von weit über 8000 Mitarbeitern betreut werden, welche ihnen Perspektiven für ein selbstbestimmtes Leben eröffnen.

Die Einrichtung in Zell ist nach der in Dillingen und dem benachbarten Glött die dritte ihrer Art. Und wie die anderen hat sie Vorbildcharakter. „Moderne Ideen wie Inklusion oder Sozialraumorientierung haben in ihr schon seit langem Einzug gehalten“, unterstreichen Heike Klier und Regina Ising: Heimatnahe, dezentrale Betreuung oder die Verbindung zu Angehörigen seien hier ebenso Trumpf wie die Begegnung mit behinderten Menschen auf Augenhöhe – schon weit vor der Einführung des Gleichstellungsparagrafen.

Einzigartig in Süddeutschland

„Mit unserem Angebot ausschließlich für Menschen mit Hörbehinderung haben wir ein Alleinstellungsmerkmal in Süddeutschland“, sagt die Leiterin. Von Beginn an sei auf die Qualifizierung von Lehrkräften Wert gelegt worden. Schon die Gründer hätten zudem die Toleranz groß geschrieben.

In Zell bedeutet die Gründung einen finanziellen Kraftakt: 1872 kauft Regens Wagner das dortige Schloss, in das neben der ersten Oberin Juliana Habet eine weitere Klosterschwester sowie neun taubstumme Frauen einziehen. In Hochzeiten leben hier fast 40 Schwestern, derzeit ist es eine gute Handvoll.

Ständig werden die einzelnen Einrichtungen fortentwickelt und den Bedürfnissen angepasst. 1920 wird der Kindergarten eröffnet – ein Vorläufer der Schulvorbereitenden Einrichtung (SVE). 

Ständig werden die einzelnen Einrichtungen fortentwickelt und den Bedürfnissen angepasst. 1920 wird der Kindergarten eröffnet – ein Vorläufer der Schulvorbereitenden Einrichtung (SVE).  © Regens Wagner

Seit 2015 steht die Einrichtung unter weltlicher Leitung. Der erste Handwerker unter den weltlichen Mitarbeitern ist übrigens 1951 ein Schreiner, was die Anfänge des Technischen Dienstes markiert.

Große Zäsuren gibt es mehrere: 1910 der Bau der Turnhalle – die heutige Kulturbühne. 1920 wird der Kindergarten eröffnet – ein Vorläufer der Schulvorbereitenden Einrichtung (SVE). Er findet mitsamt der Schule und den Schlafsälen 1928 Platz im neugebauten Nordflügel „St.Maria“.

Ständig erweitert und verändert

1971 wird die Gründung der „Gehörlosenschule für lernbehinderte Schüler“ gefeiert – mit ganz Bayern als Einzugsgebiet. Ein Jahrzehnt später erfolgt der Neubau des Förderzentrums. 1986 wird die Werkstatt für Behinderte als solche anerkannt und findet sich drei Jahre später ebenso in einem neuen Gebäude wieder. Im neuen Jahrtausend gesellen sich zwei Standorte in Nürnberg dazu.

1987 schließt der einst zentrale Landwirtschaftsbereich, dafür nimmt die Förderstätte ihren Betrieb auf, die nach dem Millennium zweimal umzieht. In den 1980er Jahren schreitet die Dezentralisierung weiter voran. Es entstehen externe Wohngruppen (die es heute in Hilpoltstein, Heideck und Nürnberg gibt), in denen nun auch Männer und Frauen gemeinsam leben. In den 1990er Jahren bezieht das erste Paar eine eigene Wohnung.

Nicht nur baulich hat sich in der 150-jährigen Geschichte von Regens Wagner Zell so einiges getan. Hier eine aktuelle Ansicht des Nordflügels.

Nicht nur baulich hat sich in der 150-jährigen Geschichte von Regens Wagner Zell so einiges getan. Hier eine aktuelle Ansicht des Nordflügels. © Regens Wagner

Im Jubiläumsjahr betreuen nun fast 800 Mitarbeiter zirka 520 Menschen mit Hörbehinderung und zusätzlichen Einschränkungen sowie 120 Personen mit Behinderung ohne Hörschädigung. In naher Zukunft stehen Umbaumaßnahmen an, um weiterhin auf die individuellen Bedürfnisse der anvertrauten Menscheen eingehen zu können.

Aber nun wird erst einmal gefeiert - falls Corona es zulässt: „Die ein oder andere Veranstaltung hoffen wir in irgendeiner Form durchziehen zu können“, geben sich Heike Klier und Regina Ising vorsichtig optimistisch. Geplant sind nach derzeitigem Stand dreitägige Festivitäten vom 24. bis 26. Juni. Der erste Tag steht dabei im Zeichen eines Mitarbeiter-, der dritte in dem des Sommerfests. Am Samstag dazwischen soll es eine Kulturveranstaltung geben. Die „ZellKultur“ in der Rother Kulturfabrik am Samstag, 22. Oktober, ist natürlich auch eingeplant.