Zeitzeuge

Einer der letzten: Holocaust-Überlebender Abba Naor in Schwabach und Hilpoltstein

7.7.2021, 11:00 Uhr
Erzählte vor Schwabacher und Hilpoltsteiner Realschülern seine Lebensgeschichte: Abba Naor

© Robert Gerner, NN Erzählte vor Schwabacher und Hilpoltsteiner Realschülern seine Lebensgeschichte: Abba Naor

Abba Naor hat in seinem langen Leben Furchtbares durchgemacht. Als 13-Jähriger wurde der gebürtige Litauer mit seiner Familie von den Nationalsozialisten in das Ghetto Kaunas deportiert. Weitere Lager folgten, seine Mutter und seine Geschwister wurden ermordet. Naor landete im Konzentrationslager Dachau und überlebte wie durch ein Wunder. Nach dem Krieg fand er in München seinen Vater wieder.

Die Macht des Wortes

Naor wanderte nach Palästina aus und kämpfte als israelischer Soldat im Unabhängigkeitskrieg 1948. Von 1965 bis 1977 kehrte er für zwölf Jahre ins Land der Täter zurück, er zog nach München. Heute lebt er in Tel Aviv, kommt aber regelmäßig nach Bayern.


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Er kämpft nicht mehr mit dem Gewehr, sondern mit der Macht des Wortes. Er kämpft gegen den Hass, für Frieden und Freundschaft unter den Völkern. 2009 erhielt er das Bundesverdienstkreuz, 2018 den Bayerischen Verdienstorden.

In den vergangenen zweieinhalb Monaten war Abba Naor wieder unterwegs in Bayern. Dieses "Unterwegssein" war in Pandemiezeiten aber nicht so einfach. Rund 30 Schulen besuchte er, fast alle allerdings nur virtuell. In der Gedenkstätte des Konzentrationslagers Dachau saß er in einem Raum und erzählte den vielen live zugeschalteten Klassen über sein Leben.

Eintrag ins Goldene Buch: Links Schwabachs Oberbürgermeister Peter Reiß, rechts Karl Freller.

Eintrag ins Goldene Buch: Links Schwabachs Oberbürgermeister Peter Reiß, rechts Karl Freller. © Robert Gerner, NN

Zugeschaltet waren am Montag auch Schülerinnen und Schüler der Realschule in Hilpoltstein. Nur eine einzige Veranstaltung gab es in Präsenz: am Dienstag, 6. Juli, in der Schwabacher Realschule.

Trockener Humor

Abba Naor ist 93 Jahre alt. Aber er ist ein junger 93-Jähriger. Beneidenswert fit, beneidenswert rüstig, mit beneidenswerter Klarheit bei seinen Analysen. Und gesegnet mit einem trockenen jiddischen Humor. "Leben ist eine feine Sache", sagte er beispielsweise am Montagnachmittag bei seinem Besuch im Schwabacher Rathaus, wo er sich im Goldenen Saal ins Goldene Buch der Stadt eintragen durfte. "Leben ist eine feine Sache", wiederholte er. "Das Gegenteil davon ist eher nicht so interessant."

Er kann sehr ernst davon erzählen, was ihm als Jugendlicher und junger Mann widerfahren ist. Aber es ist keine bittere Erinnerung. "Ich lebe nicht in der Vergangenheit", sagt er dann. "Die Gegenwart und die Zukunft sind wichtiger."


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Und diese Gegenwart und Zukunft malt Naor in schönen Farben. Als sich neulich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und der scheidende israelische Präsident Reuven Rivlin umarmt haben, war das für Abba Naor ein schönes Bild. Ein Bild, an dem sich andere doch ein Beispiel nehmen könnten. "Was Israel und Deutschland geschafft haben, das müssen auch andere versuchen."

Motor des Schüleraustauschs

Abba Noar versucht im Kleinen, an der Freundschaft der Völker zu arbeiten. Er gilt als einer der Motoren des deutsch-israelischen Schüleraustausches.

In Karl Freller hat er, man kann das ruhig so sagen, einen Freund gefunden. Freller ist nicht nur Schwabacher Landtagsabgeordneter in München und stellvertretender Landtagspräsident. Er ist auch Direktor der Stiftung Bayerische Gedenkstätten.

Freller sagt, wie wichtig es ist, die Gedenkstätten in Dachau und in Flossenbürg zu erhalten und zu öffnen für die Menschen. Aber noch wichtiger, noch drängender sei es, dass man die Überlebenden der Konzentrationslager erzählen lassen müsse. Denn es gebe ja nicht mehr viele.

Von denjenigen, die im KZ Dachau einsaßen und die von den Amerikanern 1945 befreit wurden, sind nur noch eine Handvoll übrig. Und nur zwei von diesen Wenigen gehen noch an die Schulen, um die Erinnerung wach zu halten. Einer von ihnen ist Abba Naor.

Mehr als Erinnerung

Vor nicht allzu langer Zeit war der 93-Jährige in London. Dort hat man ihn in ein Fernsehstudio gesetzt. 3-D-Kameras sind um ihn gekreist wie Insekten. Sechs Tage lang. Und sechs Tage lang hat er dann 1000 Fragen beantwortet.

Man hätte eine Stecknadel fallen hören. Mucksmäuschenstill verfolgten die Schwabacher Schülerinnen und Schüler den Vortrag des Holocaust-Überlebenden.

Man hätte eine Stecknadel fallen hören. Mucksmäuschenstill verfolgten die Schwabacher Schülerinnen und Schüler den Vortrag des Holocaust-Überlebenden. © Robert Gerner, NN

Wenn es in 10 oder 20 Jahren Abba Noar nicht mehr geben wird, dann wird der Israeli trotzdem mehr sein als nur noch Erinnerung. In Gedenkstätten, vielleicht in Museen wird man ihn auf Bildschirmen sehen, wie er in dem Londoner Fernsehstudio sitzt. Und wer ihm dann eine Frage stellt, der wird dann auch eine der 1000 Antworten erhalten, die der gebürtige Litauer damals in London gegeben hat.

Warum er sich das immer noch antut mit den Schulbesuchen, diesem ganzen Stress? Abba Naor winkt ab. Das sei kein Stress. "Wir müssen auf die Kinder bauen", sagt er, der selbst das Oberhaupt einer Großfamilie ist: "Zwei Kinder, fünf Enkel, zehn Urenkel", erzählt er stolz. Seine Botschaft, die er mitbringt, auch bei seinem Besuch an die Schwabacher Realschule: "Die Zukunft ist besser als die Vergangenheit."

"Ich habe keine andere Geschichte"

Als er in der Aula erzählt vor den Neuntklässlern, wie er mit der Familie versucht hat zu fliehen, und wie sie doch ins Lager deportiert worden sind, wie seine Mutter und seine Geschwister ermordet wurden, dann klingt das irgendwie beiläuftig. Und wirkt deshalb umso erschreckender. Als hätte sie sich erst vor kurzem ereignet.

In Hilpoltstein erzählte Abba Naor seine Geschichte live auf Videoleinwand. Sie ist schwer zu ertragen - „leider habe ich keine andere“, so der Überlebende des Nazi-Terrors.

In Hilpoltstein erzählte Abba Naor seine Geschichte live auf Videoleinwand. Sie ist schwer zu ertragen - „leider habe ich keine andere“, so der Überlebende des Nazi-Terrors. © Tobias Tschapka, NN

"Es ist keine sehr schöne Geschichte, die ich Euch erzählen kann", entschuldigt sich der 93-Jährige fast. "Aber ich habe keine andere."

Für die 15- und 16-Jährigen ist Naors Auftritt ein Schatz. Einer der letzten lebenden Zeitzeugen erzählt von den Gräueln des Nazi-Regimes. Karl Freller spannt den Bogen weiter. Wenn die heutigen Schüler einmal ungefähr so alt sein werden wie Abba Naor heute, um die Jahrhundertwende herum also, dann können sie ihren Enkeln und Urenkeln erzählen, dass sie noch jemanden kennenlernen durften, der die Nazi-Zeit selbst erlebt hat vor dann rund 160 Jahren. Es wird einem ganz schwindelig bei dem Gedanken.

In hebräischer Sprache

Beim Eintrag ins Goldene Buch der Stadt schrieb Abba Noar übrigens nicht nur seinen Namen, er fügte auch etwas auf Hebräisch hinzu. Etwas, das irgendwie zu diesem kleinen Mann mit dem großen Herzen passt: "Ich bin gekommen. Ich hab´ gesehen. Ich bin entzückt."

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