Chancenlos in Darmstadt

Eigentlich fantastisch? Der Club nach dem nächsten Tiefpunkt

Fadi Keblawi

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18.9.2022, 11:39 Uhr
Das Ende: Phillip Tietz trifft zum 2:0 und beendet früh das Spiel zwischen Darmstadt und dem Club.

© Sportfoto Zink / Daniel Marr, Sportfoto Zink / Daniel Marr Das Ende: Phillip Tietz trifft zum 2:0 und beendet früh das Spiel zwischen Darmstadt und dem Club.

Plötzlich stand da sehr unvermittelt dieser Satz im Raum. Torsten Lieberknecht hatte ihn ausgesprochen und jetzt ging er nicht mehr weg. Also: „Der 1. FC Nürnberg ist eine fantastische Mannschaft.“ Hatte der Trainer des SV Darmstadt tatsächlich gesagt am Samstagnachmittag.

Neben ihm saß der Trainer dieser fantastischen Mannschaft und sah nicht so aus, als würde er das in diesem Moment ähnlich sehen. Robert Klauß und die fantastische Mannschaft hatten ja gerade sehr ernüchternd 0:2 gegen Lieberknechts Darmstädter verloren. Es war die nächste Niederlage in einer Saison, von der sie in Nürnberg vorab schon gehofft hatten, dass sie sich der Republik tatsächlich als fantastische Mannschaft vorstellen – zumindest für Zweitliga-Verhältnisse.

Stattdessen bedeutete das sehr verdiente 0:2 in Darmstadt die fünfte Niederlage im neunten Spiel, Tabellenplatz 12. Natürlich neigen siegreiche Trainer dazu, im Nachhinein auch den gerade bezwungenen Gegner noch einmal zu erhöhen – das ist höflich und lässt zudem die eigene Leistung in einem besseren Licht erscheinen.

Lieberknecht aber wollte sich nicht einschmeicheln bei Klauß und den Nürnbergern. Es gibt ja durchaus Argumente dafür, dass diese Club-Mannschaft zwar nicht fantastisch, aber doch zweitligagut Fußball spielen kann. Es basieren diese Argumente nur auf relativ wenigen Beispielen: das Derby gegen Fürth, das Heimspiel vor einer Woche gegen Arminia Bielefeld.

Wie im letzten Jahr

Gegenargumente lieferte das Spiel in Darmstadt und reihte sich damit ein in die gar nicht so kurze Liste der misslungenen Nürnberger Fußball-Aufführungen in diesem Jahr. Im ausverkauften Stadion am Böllenfalltor startete der Club so lala, geriet durch ein vermeidbares Tor in Rückstand – und fand nie wieder zurück in diese Partie. Robert Klauß hatte deshalb ein Deja-vu: Ich könnte fast die gleichen Worte verwenden wie im vergangenen Jahr." Da hatte der Club ebenfalls ein frühes Gegentor quittieren müssen und blieb dann bei der 0:2-Niederlage chancenlos. So fasste das Klauß diesmal zusammen: "Ballbesitz von uns, Tore von Darmstadt."

Besonders anstrengend musste sich Darmstadt für diese Tore nicht einmal. Vor dem 0:1 durch Kempe konnten sich Erik Wekesser, Lino Tempelmann und James Lawrence nicht auf eine gemeinsame Verteidigungslinie verständigen und gaben so Braydon Manu die unbedrängte Möglichkeit, das Tor vorzubereiten. Vor dem 0:2 leistete sich Sadik Fofana seinen zweiten Fehlpass in kurzer Folge, die daraus entstehende Ecke köpfelte Phillip Tietz über Fofana hinweg ins Tor.

Die einen lernen, die anderen nicht

Danach sah man den Nürnberger Ballbesitz, der zu nichts führte und gegen die Darmstädter Neun-Mann-Verteidigung mitunter mitleiderregend aussah. Darmstadt hatte kein großes Interesse, noch aktiv etwas zu diesem Spiel beizutragen, dem Club fehlten die Möglichkeiten. Bei Darmstadt war die Zurückhaltung sogar Strategie, nachdem vor einer Woche in Kaiserslautern eine 2:0-Führung noch verspielt worden war. "Wir haben relativ schnell gelernt", sagte Lieberknecht über die Fortschritte seiner Mannschaft in dieser Hinsicht.

Und was hatte der Club gelernt? Nur wieder einmal, dass man offenbar Schwierigkeiten hat, dazuzulernen und sich deshalb nie auf sich selbst verlassen kann. Vor einer Woche gegen Bielefeld war da noch viel Intensität auch im Spiel nach vorne. Diesmal bemängelte Klauß die fehlende Lust, sich in offensiven Zweikämpfen auch einmal durchzusetzen: "Das gehört zum Fußball."

Gut im Training

Zurück blieb ein einigermaßen ratlos wirkender Trainer, der in seiner Analyse immerhin nicht anführte, dass seiner Mannschaft Mitte der ersten Halbzeit ein möglicher Handelfmeter verweigert worden war. Es hätte dieser Elfmeter sehr wahrscheinlich auch nichts am schlechten Gesamteindruck verändert. Dabei hatte es einen Tag zuvor noch alles ganz anders ausgesehen. Am Tag vor dem Spiel, erzählte Klauß, hätten sie "eine richtig gute Trainingseinheit" gehabt. Eine, von deren Qualität er selbst überrascht war, weil sie intensiv war und die Spieler "aggressiv gegen den Ball" auftraten.

Das klang tatsächlich nach einer fantastischen Mannschaft, dummerweise aber nur nach einer fantastischen Trainingsmannschaft. "Das war vielleicht einen Tag zu früh der Wochenhöhepunkt", sagte Klauß. Als dann der Pflichtspielbetrieb wieder lief, folgte der nächste Tiefpunkt.

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