Bizarre Felsen unter Sahnehäubchen

Winterurlaub in der Türkei? Per Billigflug auf die Piste und ein tief verschneites Land entdecken

Matthias Niese

Magazin am Wochenende / gute reise

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23.11.2023, 08:00 Uhr
Blick in die verschneite Winterwunderlandschaft Kappadokiens - so schön ist sie nur im Winter. Statt Brauntönen haben Sie nun maximalen Kontrast für maximal schöne Fotos.

© Matthias Niese Blick in die verschneite Winterwunderlandschaft Kappadokiens - so schön ist sie nur im Winter. Statt Brauntönen haben Sie nun maximalen Kontrast für maximal schöne Fotos.

Der allerbeste Wecker ist hier der Imam. Nicht einer, unzählige Prediger erheben Punkt viertel vor sieben ihre Stimmen und rufen die Menschen im noch finsteren Zentrum Istanbuls per Lautsprecher von den Minaretten der vielen Moscheen zum Morgengebet. Der Sänger-Wettstreit dringt bis unters Kopfkissen, das sich der noch schlaftrunkene Tourist schnell über den Kopf gezogen hat.

Im Sommer hätten die Imame noch viel früher Gläubige wie Urlauber aus dem Bett geworfen, denn sie beginnen ihr Gebet eigentlich mit dem Sonnenaufgang. Wir aber haben uns entschlossen, Ende Januar einen günstigen, nur knapp dreistündigen Direktflug in die Türkei zu nehmen und das Land in der absoluten Nebensaison zu bereisen – als kurzen Ausbruch aus dem tristen deutschen Wetter, als exotische Alternative zu Winterwandern im Mittelgebirge, zu alpinen Skipisten oder teuren Fernreisen. Und dann sind wir doch im tiefsten Winter gelandet.

Die Türkei versinkt im Winter im Schnee

Selbst Istanbul, auf Meereshöhe am Bosporus gelegen, versank zu Beginn des Jahres im Schnee - auf Instagram machten Videos die Runde, auf denen Skifahrer zwischen eingeschneiten Autos die Hügel der Wohnviertel hinunterwedelten. Der allergrößte Teil der Türkei liegt im Winter fast immer unter einer dichten Schneedecke, weil über 1000 Meter hoch und von eiskaltem kontinentalem Atem aus dem Norden behaucht. Nur der niedrige Küstensaum bleibt weitestgehend schneefrei.

Ein Obsthändler bietet Granatäpfel an - unter einer dicken Schneeschicht mitten in Istanbul.

Ein Obsthändler bietet Granatäpfel an - unter einer dicken Schneeschicht mitten in Istanbul. © Matthias Niese

Gut, dass der Muezzin uns so bald aus dem Bett warf. So stapfen wir früh genug durch den Schnee und besuchen in dieser modernen 16-Millionen-Einwohner-Metropole die wichtigsten Sehenswürdigkeiten. Wer wie wir nur knapp zwei Tage für die Stadt Zeit hat, weil er dann weiter ins Landeszentrum zum Skifahren, Reiten, Wandern und dem Besichtigen von Sehenswürdigkeiten und spektakulärer Natur nach Kappadokien fliegt, wird sich in Istanbul auf zwei touristischen Spots beschränken – wir sind sie mit einem Guide Kenner und Bewohner der Stadt gelaufen, seinen Weg haben wir für Sie mit der Outdoor-App Komoot zum Nachgehen aufgezeichnet.

Das historische Zentrum auf europäischer Seite ums alte Konstantinopel zeigt Spuren der Griechen, Römer und Byzantiner. Wir sehen alte Stadtmauern, unterirdische Zisternen, den Großen Basar, besuchen Moscheen wie die Hagia Sophia oder die Blaue Moschee und den Topkapi-Palast – der bescheidener ist, als man es für das Machtzentrum der Sultane eines Weltreiches vermuten könnte. All die Orte also, an denen sich in der warmen Hauptsaison Horden von Kreuzfahrt- und anderen Touristen drängeln, haben wir jetzt fast für uns alleine und können ihre Anmut genießen (www.komoot.de/tour/652398317).

Die Hagia Sophia - im Sommer völlig überrannt, im Winter genussvoll zu besuchen.

Die Hagia Sophia - im Sommer völlig überrannt, im Winter genussvoll zu besuchen. © Matthias Niese

Weil uns kalt geworden ist und die Türken von den alten Römern gelernt haben, wie man sich mit heißem Wasser in einem Bad wieder aufwärmt, besuchen wir am frühen Abend nahe des Zentrums den Hamam Catma Mescit. Hinter dem Entree eines modernen Hotels öffnet sich ein altes türkisches Bad aus dem Jahr 1532, das fünf Jahre lang restauriert wurde.

Sie können sich hier für 70 Euro 50 Minuten lang einer Hamam-Behandlung hingeben, dürfen aber keine Wellness-Schlummermassage, sondern ein echtes Erlebnis erwarten – im Hamam geht´s zur Sache: Man wird mit Peeling-Handschuhen fast wundgeschrubbt, dann legt sich heißer Seifenschaum wohltuend über den Körper und wird einmassiert, das Ende ist dann wieder eher medizinisch: Jeder noch so verspannte Muskel wird aufgespürt und geknetet, dass man die Zähne etwas zusammenbeißt. Doch der gestresste Mitteleuropäer steigt nach Flug und Besichtigungsprogramm entspannt als neuer Mensch von der Massagebank und sinkt danach auf einer Liege bei türkischem Tee in tiefes Wohlempfinden.

Hier tobt sich die junge, moderne Türkei aus

Ebenfalls auf Europäischer Seite und jenseits der fjordähnlichen Bucht Goldenes Horn liegt mit Galata ein jüngeres Viertel, das im Mittelalter vor allem von italienischen und griechischen Händlern und später anderen West- und südeuropäischen Zuwanderern geprägt wurde. Hier hatten die Nationen früher bis zum Umzug nach Ankara ihre Botschaften, hier stehen prächtige Geschäftshäuser zum Teil im Jugendstil.

Hier tobt das junge Leben und flanieren die Touristen über die Einkaufs- und Vergnügungsmeile Istiklal zwischen Taksim-Platz und dem über 500 Jahre alten Galata-Turm, den Sie unbedingt wegen des fantastischen Blicks über Stadt und Bosporus besteigen sollten. Hier liegen auch die meisten Touristenhotels – der Weg von einem der vielen guten und oft günstigen Restaurants mit türkischer Küche wie dem Ficcin oder einer der anschließend besuchten Bars (Vorsicht, lassen Sie sich nicht von neuen „Freunden“ überreden, auf einen Drink mitzukommen, es kann sehr teuer werden) ins Bett ist dann nicht mehr so weit (www.komoot.de/tour/652399274).

Kappadokiens bizzarre Felsen unter Schneehäubchen

In einer Stunde fliegen Sie von Istanbul nach Kayseri, dem Tor ins (Winter-)Wunderland Kappadokien. Die nur gut 30x15 Kilometer große zentrale Hochebene ist - neben den türkischen Küsten oder Pamukkale - einer der landschaftlichen Höhepunkte des Landes. Spät erst wurde die Schönheit Kappadokiens für den Tourismus entdeckt: Von längst erloschenen Vulkanen wie dem Erciyes (dem mit 3917 Metern höchsten Berg Zentralanatoliens) mit Vulkanasche und Tuffgestein bedeckt, legte die Erosion über Millionen Jahre wild geformte Täler und Hänge frei - überall stehen pyramidenförmige Säulen in der Landschaft. Die ist im Sommer bräunlich-karg, im Winter jedoch herrlich von Schnee und Eis überzuckert.

Oben auf dem Erciyes, dessen Vulkankegel stolz in der Landschaft thront, liegt im Winter so beständig viel Schnee, dass hier in den letzten Jahren eines der größten und hochmodernen türkischen Skigebiete entstand – zwei Gondelbahnen und mehrere Sessellifte österreichisch-schweizerischer Herkunft bringen die Skifahrer aus dem Retorten-Skiort mit ein paar Skihotels entlang einer Höhenstraße auf die prima präparierten Pisten.

Am Berg wärmt man sich nicht in urigen Hütten, sondern hält etwa die Hände übers Feuer in einer Tonne und holt sich am Grill ein Köfte vom Spieß mit Pide-Brot. Am Berg wie an den Talstationen finden Hungrige aber auch eine gute Schnellrestaurant-Infrastruktur. Skifahren und die Nebenkosten sind hier so gering, dass es trotz Flug und Shuttle ins nur 25 Minuten entfernte Skigebiet billiger sein kann als Skiurlaub in den Alpen – und deutlich exotischer.

Das Skigebiet unterm Gipfel des Vulkans Erciyes mit leeren Pisten und modernen Liftanlagen.

Das Skigebiet unterm Gipfel des Vulkans Erciyes mit leeren Pisten und modernen Liftanlagen. © Matthias Niese

Türken sehen das Skifahren eher als Familienspaß denn als Sport, entsprechend nutzen sie gemächlich die volle Breite der insgesamt 55 Kilometer Pisten und schnallen die Ski schon mal ab, wo man in den Alpen eine Piste höchstens als rot einstufen würde. Auch die 14 Lifte auf bis zu 3346 Höhenmeter fahren etwas langsamer - wohl auch, um den oft ungeübten Skifahrern das Ein- und Aussteigen zu erleichtern. Ganz oben sind die eher sportlichen Skifahrer unterwegs, die Aussicht ist grandios: Vom Vulkan blickt man weit über die 850.000-Einwohner-Stadt Kayseri in die karge zentralanatolische Ebene hinaus.

Schnee und Eis in Kappadokien haben aber auch ihre Tücken. Liegt extrem viel Schnee (heuer schneite es so viel wie seit zehn Jahren nicht mehr), dann ist eine Fahrt im Heißluftballon nicht ratsam, denn die Begleitfahrzeuge können ihn nach der Landung im tiefen Schnee nicht bergen. In normalen Wintern geht das meist, auch Wandern oder Radtouren sind dann möglich. Wir konnten aber immerhin in eines der Täler reiten, und Jeeps oder Quads arbeiten sich auf Safari auch durch tiefen Schnee zu den schönsten Felsformationen vor.

Unterirdische Städte für bis zu 8000 Menschen

Die vor allem frühchristliche griechische Bevölkerung grub zum Beispiel Städte ins weiche Gestein, darunter Ürgüp, Mustafapasa, Göreme oder Uchisar. In denen logieren die Touristen heute zum Teil in schicken Höhlenhotels. Frühchristlichen Eremiten und Mönche schlugen an vielen Orten ihre Wohnkammern und unzählige Kirchen in den weichen Fels, etwa in Göreme mit seinen vielen bunt bemalten Höhlenkirchen. Und um sich vor durchziehenden Eroberern zu schützen, floh die Bevölkerung in eigens dafür bis zu 80 Meter tief in den Untergrund gebuddelte Städte wie Derinkuyu mit einem ausgeklügelten Belüftungs- und Versorgungssystem für bis zu 8000 Menschen.

Dieses Motiv ist eines der am meisten fotografierten in Kappadokien. Stehen hier sonst unzählige Busse, waren es bei unserem winterlichen Besuch am Morgen nur zwei Autos.

Dieses Motiv ist eines der am meisten fotografierten in Kappadokien. Stehen hier sonst unzählige Busse, waren es bei unserem winterlichen Besuch am Morgen nur zwei Autos. © Matthias Niese

Der Besuch sonst rammelvoller Fotostopps wie das Tal der Liebe (mehrere phallische Felstürme gaben ihm den Namen) gibt in dieser Jahreszeit viel schönere Fotos her als im Sommer, die Schneehäubchen sorgen für einen tollen Kontrast. Nur ein paar türkische Busreisegruppen, die nach den obligatorischen Selfies noch die Souvenirshops besuchen, lassen erahnen, welch Rummel hier sonst in der Hauptsaison herrscht.

Mehr Informationen:
Türkei Tourismus, https://goturkiye.com/de/homepage, Tel. 06923 / 3081

Anreise:
Turkish Airlines, www.turkishairlines.com/de-de
Fast täglich Direktflüge ab Nürnberg in knapp drei Stunden schon unter 200 Euro für Hin- und Rückflug. Weiterflug ab neuem Airport Istanbul etwa nach Kayseri in Kappadokien ca. eine Stunde.
Neu im Sommer 2022: Wöchentlicher Direktflug Nürnberg-Kayseri mit Corendon zwischen 15. Juli und 9. September.

Fortbewegung in Istanbul:
Vom Flughafen mit günstigem Bus-Shuttle oder Taxi in die Stadt. Hochmodernes öffentliches Transportsystem via Istanbulkart, am Automaten oder per App und Kreditkarte aufladen, die App zeigt alle Verbindungen. Taxis sind günstig, per Uber- oder ITaksi-App rufen und bezahlen. Außerdem stehen überall E-Scooter zum Verleih bereit.

Skifahren:
Discover Erciyes, Webseite deutsch: www.kayserierciyes.com.tr/?Lng=4

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