15 Jahre beim Kleeblatt

Aus Fürth in die Nationalmannschaft: Der erstaunliche Weg von David Raum

11.11.2021, 06:00 Uhr
Jubeln mit der Offensive des FC Chelsea: Der langjährige Fürther David Raum (2.v.r.) mit Kai Havertz und Timo Werner.  

© imago images/Eibner/Nikola Krstic, NN Jubeln mit der Offensive des FC Chelsea: Der langjährige Fürther David Raum (2.v.r.) mit Kai Havertz und Timo Werner.  

David Raum konnte nicht telefonieren. Nicht jetzt. Er saß ja schon in der Umkleidekabine und wollte gleich in den Kraftraum gehen. Die Möbelpacker würden schon auch noch eine Stunde ohne ihn klarkommen. Als der unbekannte Anrufer sich kurz darauf ein zweites Mal meldete, drückte Raum ihn wieder weg. Ein paar Sekunden später hatte er eine WhatsApp-Nachricht auf seinem Smartphone. Hans-Dieter, genannt Hansi Flick bat darin um einen dringenden Rückruf.

An diesem Donnerstag Ende August, am Tag vor dem Auswärtsspiel der TSG Hoffenheim bei Borussia Dortmund, hatte David Raum also tatsächlich zweimal den neuen Bundestrainer weggedrückt. "Da wäre mir fast das Handy aus der Hand gefallen", erzählt der 23-Jährige kürzlich im "Aktuellen Sportstudio" des ZDF. Denn nach einer sehr guten Zweitliga-Saison mit seinem Ausbildungsverein, der Spielvereinigung Greuther Fürth, die mit dem gemeinsamen Aufstieg in die Bundesliga endete, hatte David Raum ja gerade erst zwei Spiele für seinen neuen Arbeitgeber in Hoffenheim gemacht. "Wer mich kennt", sagte Raum, "der weiß, dass ich ein bodenständiger Spieler bin."

Jetzt aber wollte der Bundestrainer mit ihm sprechen. Also ließ er das Training nochmal Training sein, ging an die frische Luft und wählte die Nummer, die er zuvor zweimal weggedrückt hatte. Am Tag nach dem folgenreichen Telefonat verlor er mit der TSG 2:3 in Dortmund, dann ging es tatsächlich zur Nationalmannschaft. Ein paar Tage später war David Raum tatsächlich bei einem Länderspiel dabei, das 2:0 gegen Liechtenstein musste er noch 90 Minuten lang von der Bank aus verfolgen.

Drei Tage später, am 5. September, war es aber soweit. Beim WM-Qualifikationsspiel gegen Armenien stand David Raum, der Junge vom Tuspo Nürnberg, der 15 Jahre lang das Trikot der Spielvereinigung Greuther Fürth getragen hatte, zehn Minuten vor Schluss an der Seitenlinie und wurde in der 83. Minute für Thilo Kehrer eingewechselt. Den sieben Minuten im September folgten 90 weitere beim 4:0 im Oktober in Nordmazedonien, am Donnerstag (20.45 Uhr/RTL) gegen Liechtenstein und am Sonntag (18 Uhr) in Armenien könnten weitere dazukommen.

Stefan Leitl wird dann natürlich auch vor dem Fernseher sitzen. Der Trainer des Kleeblatts hat aus dem Talent, das 2006 in den Fürther Nachwuchs kam, einen der besten Zweitligaspieler gemacht, der entscheidenden Anteil am Bundesliga-Aufstieg hatte. Einen Spieler, der mit der U21 auch international starke Leistungen zeigte und so irgendwann zu gut wurde für die Spielvereinigung.

Eine solche Entwicklung war vor ein paar Jahren nicht abzusehen. Noch unter Leitls Vorgänger Damir Buric trainierte der gelernte Offensivspieler David Raum erstmals als linker Verteidiger - und soll, so hört man, nicht wirklich begeistert gewesen sein über die Versetzung nach hinten. Als Leitl und sein Assistent Andre Mijatovic im Februar 2019 vom glücklosen Buric übernahmen, "war uns klar, dass Maxi Wittek hinten links spielen wird", erinnert sich Leitl. David Raum kam deshalb nur unregelmäßig zum Einsatz, durchsetzen konnte er sich anfangs nicht.

Dann aber entschied sich Wittek, in die Niederlande zu wechseln. Stefan Leitl suchte, im Frühjahr 2020, das Gespräch mit David Raum, "ich war davon überzeugt, dass er, wenn er weiterkommen will als zweite Liga, eine Position weiter nach hinten rücken muss", erzählt der Trainer. "Er braucht diese Tiefe, in der er seine Dynamik ausspielen kann." Nach vielen Gesprächen, in denen die Verantwortlichen ihrem Eigengewächs diesen Weg aufzeigten, "begann ein Prozess", so Leitl. "Ich habe ihm gesagt, dass ich glaube, dass das seine Position sein kann - aber er das auch wollen muss."

David Raum wollte, arbeitete sehr hart an sich, an seinem Defensivspiel, immer angetrieben vom Streben nach Mehr, danach, noch besser zu werden. "Er hat sich nach und nach in diese Position reingearbeitet hat, weil er gemerkt hat, was er dort bewirken kann", sagt Leitl. "Wir hatten absolutes Vertrauen in ihn. David hat wirklich jede Chance, die er nutzen konnte, durch eine überragende Einstellung und überragende Leistungen genutzt."

Auch wenn es für die größte Chance zwei Anrufe und eine Nachricht brauchte.

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