Wie man den inneren Schweinehund in Schach hält

Tipps vom Experten: So klappt es mit den guten Vorsätzen für 2022

1.1.2022, 06:00 Uhr
Tipps vom Experten: So klappt es mit den guten Vorsätzen für 2022

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Herr Zwickel, haben Sie sich etwas fürs neue Jahr vorgenommen? Wenn ja, verraten Sie uns Ihre guten Vorsätze für 2022?

Jürgen Zwickel: Na klar. Ich mache ab 1. Januar eine 60-tägige Challenge, bei der ich meine Ernährung umstelle. Nach einer siebentägigen Eingewöhnungsphase werde ich meine tägliche Kalorienzufuhr auf ein sehr überschaubares Niveau herunterfahren und dabei auf viele natürliche Lebensmittel wie Obst und Gemüse setzen.

Haben Sie solche Projekte schon öfter in Angriff genommen?

Zwickel: In dieser Form noch nicht, aber solche Challenges zum Jahresbeginn habe ich schon mehrmals gemacht. Heuer zum Beispiel wollte ich den kompletten Januar vollständig auf Zucker und Alkohol verzichten und habe dieses Vorhaben dann bis Ostern verlängert.

Und wie schaffen Sie es, dass Sie diese Ziele tatsächlich auch erreichen?

Tipps vom Experten: So klappt es mit den guten Vorsätzen für 2022

© Flavia Zaunseder

Zwickel: Es geht letztendlich immer darum, eine ganz bewusste Entscheidung zu treffen. Wenn ich mich klar entscheide, stelle ich zumindest bei mir fest, dass ich mich dann auf mich selbst verlassen kann. Bei Vorsätzen schwingt immer der Hintergedanke mit: Na ja, ich setze beziehungsweise ich nehme mir mal was vor. Schau mer mal, ob das wirklich gelingt. Deutlich besser ist es dagegen, sich eine klare Vorgabe zu geben und sich dann zu 100 Prozent zu diesem neuen Weg zu bekennen.

"Ich diskutiere dann nicht mehr mit mir"

Was raten Sie Menschen, die sich bisher noch nicht so gut auf sich selbst verlassen können? Die also immer wieder an ihrem inneren Schweinehund scheitern?

Zwickel: Da ist es wichtig, sich eigene Standards zu setzen. Wenn ich das gemacht habe, diskutiere ich mit mir nicht mehr. Das kann auch bei kleinen Dingen funktionieren - zum Beispiel eine Woche lang täglich für mindestens 15 Minuten an die frische Luft zu gehen, sofern ich das bisher nicht gemacht habe. Oder ich sage: Ich trinke jetzt eine Woche lang nur Wasser oder nichts Alkoholisches. Einfach in kleinen Schritten etwas umsetzen und dabei zu der Erkenntnis kommen, dass ich mich auf mich selbst verlassen kann. Und dann kann ich nach und nach größere Dinge angehen.

Nehmen wir mal einen der Klassiker unter den guten Vorsätzen: Mehr Bewegung und ein paar Kilo abnehmen. Zu welcher Strategie raten Sie mir da?

Zwickel: Zunächst einmal müssen Sie für sich klären, was "mehr Bewegung" ganz konkret für Sie bedeutet. Wenn Sie zum Beispiel sagen: Ab 1. Januar betreibe ich dreimal pro Woche jeweils mindestens 30 Minuten lang lockeren Ausdauersport, dann wird die Sache schon greifbarer und verbindlicher. Und bei der Formulierung "ein paar Kilo abnehmen" frage ich immer: "Was soll dein neues Idealgewicht sein? Was soll am Ende auf der Waage stehen?" Und dann lege ich den Weg fest, um dieses Ziel zu erreichen.

Und wenn dieser Weg unerwartet steinig und schwer wird?

"Das Konkrete schlägt immer das Allgemeine"

Zwickel: Da hilft es, das persönliche Warum zu klären. Will ich ein Ziel wirklich für mich selbst erreichen, oder will ich es angehen, weil es gerade im Trend ist oder weil es gerade ganz gut in die Zeit reinpasst, so zum Jahresbeginn. Und was ist das Ziel hinter dem Ziel? Häufig will man durch Vorhaben wie mehr Sport, weniger Alkohol oder mit dem Rauchen aufhören ja erreichen, dass man sich besser fühlt. Und da frage ich: Wie genau willst du dich besser fühlen? Welche emotionale Welt willst du da neu kennenlernen? Wenn ich das nicht sauber für mich geklärt habe, entsteht bereits die erste Hürde. Es gibt da einen schönen Satz: Das Konkrete schlägt immer das Allgemeine.

Hilft es da auch, seine guten Vorsätze in schriftlicher Form festzuhalten?

Zwickel: Absolut! Das empfehle ich immer wieder, und das kann nicht nur einmal, sondern gerne auch täglich erfolgen. Wenn ich mir etwa regelmäßig aufschreibe, dass ich Dienstag, Donnerstag und Samstag joggen gehe, dann verstärkt das die Wirkung. Mit regelmäßigen To-Do-Listen kann ich auch für mich klären, wie ich meinen Alltag umstrukturieren muss, um tatsächlich die Zeit für meine Ziele zu haben.

Zum Beispiel wenn ich mehrmals die Woche eine Station früher aus der S-Bahn aussteige und den Rest zu Fuß nach Hause laufe?

Zwickel: Ganz genau. Es sind oft solche kleinen Dinge, die sich dann summieren. Nicht das eine Große macht es aus, sondern wo kann ich mir regelmäßig Möglichkeiten schaffen, mehr Schritte zu sammeln? Viele scheitern auch, weil sie zu Beginn zu viel wollen. Deshalb erst mal klein anfangen und dann größer werden. Wir überschätzen diesen einen großen Schritt und unterschätzen total die Macht der kleinen Schritte, wenn wir regelmäßig dranbleiben und das neue Verhalten irgendwann als ritualisiert im Gehirn abspeichern.

Gibt es da irgendeine "magische Grenze"? Also einen bestimmten Zeitpunkt, ab dem ich ohne meine tägliche Fitnesseinheit nicht mehr leben kann?

Zwickel: Da kursieren ja verschiedene Zahlen wie 21, 30 oder 60 Tage, aber das hängt meiner Erfahrung nach von der Größenordnung und der Intensität des Vorhabens und auch vom jeweiligen Typ ab. Wichtig ist aber immer, dass man sich nicht überfordert, sonst fällt man schnell wieder in alte Verhaltensmuster zurück.

Stichwort Überforderung: Manche guten Vorsätze können viele Menschen ohne fremde Hilfe kaum in die Tat umsetzen, zum Beispiel die psychische Abhängigkeit von der regelmäßigen Zigarette zu überwinden. Zu welcher Strategie raten Sie in solchen Fällen?

Zwickel: Da können Coaches oder Programme unterstützen oder auch Gleichgesinnte beziehungsweise Verbündete, die das Gleiche erreichen wollen.

An die warme Dusche nach dem Training denken

. . . und die einem bei einem Durchhänger auch mal im sprichwörtlichen Sinn in den Hintern treten?

Zwickel: Klar, wenn man sich für die regelmäßigen Joggingrunden Sportpartner sucht und die dann an der Tür klingeln, dann wird es schon schwieriger zu sagen: Nein, ich laufe heute nicht mit. So ein positiver Druck kann manches erleichtern. Außerdem ist natürlich unser Kopfkino wichtig. Zum Beispiel, wenn ich mir ins Bewusstsein rufe, wie herrlich so eine warme Dusche nach dem Training ist.

Ist der Jahreswechsel aus Ihrer Sicht überhaupt ein guter Zeitpunkt für gute Vorsätze?

Zwickel: Ich persönlich brauche keine Zahl im Kalender, das kann ich an 365 Tagen im Jahr entscheiden. Die erwähnte Challenge hat sich einfach zeitlich so ergeben. Aber man muss wirklich nicht einen bestimmten Zeitpunkt abwarten, um etwas Neues anzugehen.

Die Corona-Pandemie hat allerdings zusätzliche Hürden für manche guten Vorsätze aufgebaut, zum Beispiel die zeitweise Schließung von Fitnessstudios oder anderen Sportstätten.

Zwickel: Wenn mir etwas wirklich wichtig ist, dann mache ich auch vor dem Besuch des Studios einen Test, damit ich trainieren kann. Auf der anderen Seite kann ich auch Alternativen für mich entdecken, zum Beispiel zuhause auf der Gymnastikmatte mit dem eigenen Körpergewicht oder kleinen Geräten zu arbeiten. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, dass man neugierig auf neue Erfahrungen ist. Und man sollte auf dem Weg zum ursprünglichen Ziel auch auf kleine Veränderungen bei sich achten. Ich zum Beispiel habe ein Erfolgs- beziehungsweise Dankbarkeitsbuch, in dem ich täglich notiere, was mir gut gelungen ist. Wenn man das nochmal schriftlich reflektiert, dann fliegen auch die Tage nicht so an einem vorbei und man kann am Ende des Jahres fundiert Bilanz ziehen.

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