Landwirte solidarisieren sich

Protestaktion in Raitersaich: "Kein Bauernland fürs ICE-Werk"

29.7.2021, 19:45 Uhr
Die Körpersprache mit vor der Brust verschränkten Armen spricht Bände: An die 40 Landwirte und Waldbauern zeigen klare Kante und verweigern sich den Plänen der Deutschen Bahn.

© Foto: Thomas Scherer Die Körpersprache mit vor der Brust verschränkten Armen spricht Bände: An die 40 Landwirte und Waldbauern zeigen klare Kante und verweigern sich den Plänen der Deutschen Bahn.

Sie tragen ihre Botschaft auf der Brust: „Kein Bauernland fürs ICE-Werk“ ist auf den T-Shirts der gut 40 Landwirte und Waldbesitzer zu lesen, die sich am Buchschwabacher Wald, genau an der Stelle, wo die Landkreise Fürth, Roth und Ansbach aneinanderstoßen, eingefunden haben. "Wenn wir zusammenhalten, kann sich die Deutsche Bahn (DB) an uns die Zähne ausbeißen, wir verkaufen nicht", sagt ein Landwirt.

Die DB prüft neun großflächige Areale in der Metropolregion auf ihre Tauglichkeit als Standort für ein ICE-Werk, das bis 2028 im Großraum entstehen soll. Darunter finden sich drei Standorte, die die Roßtaler Gemarkung treffen würden: einer im Ortsteil Raitersaich, zwei weitere hinter der Kreisgrenze zu Ansbach, in den Heilsbronner Dörfern Ketteldorf und Müncherlbach – fast in Sichtweite, auf jeden Fall aber in Hörweite von Raitersaich, wie Ralf Straußberger erklärt, Sprecher der drei Bürgerinitiativen, die sich in den unmittelbar betroffenen Ortschaften Raitersaich, Rohr und Heilsbronn formiert haben.

Straußberger, von Berufs wegen Waldreferent des Bundes Naturschutz in Bayern, engagiert sich allerdings als Privatwaldbesitzer. Er bewirtschaftet nicht nur als Waldbauer, sondern auch als Jäger 20 Hektar Wald bei Rohr. In PR-Fragen geschult, moderiert er die Rundfahrt durch die Flur in das Gebiet des von der Bahn angepeilten "Planungsübergriffs" für die Presse, um die Empörung der Bauern über die DB-Pläne zu verdeutlichen. Es geht zu den Feldern von drei Raitersaicher Landwirtsfamilien, deren Existenz die Realisierung des ICE-Werks zerstören würde.

Ins Auge fasst die DB bei Raitersaich einen fast vier Kilometer langen, über einen Kilometer breiten Korridor auf über 300 Hektar, den sie, ausgehend von der Bahnlinie Nürnberg-Heilsbronn, mitten in der freien Landschaft Richtung Westen in den Wald treiben würde. Betroffen wären 140 Hektar Wald und 160 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche.

Stephanie Leberer, Raitersaich:

"Seit vier Jahren arbeite ich auf dem Betrieb meines Vaters mit, ich will unseren Hof fortführen. Wir bewirtschaften 78 Hektar. Neben Weizen, Kartoffeln, Mais und Zuckerrüben ist unsere Hauptfrucht der Tabak, den wir auf 30 Hektar anbauen. Doch für die Sonderkultur brauchen wir Fläche, um in der Fruchtfolge abwechseln zu können. Unsere derzeit zwei größten Tabakflächen liegen im Planungskorridor und quasi vor der Haustür. Die Hofnähe ist nicht hoch genug zu schätzen. Es ist ein riesiger Unterschied, ob wir mit den vier Maschinen, die wir für jeden der bis zu fünf Arbeitseinsätze zum Abpflücken der zum Trocknen reifen Blätter der Tabakstaude brauchen, 500 Meter oder zehn Kilometer weit fahren müssen. Ganz abgesehen davon, dass auch im Zehn-Kilometer-Radius um Raitersaich keine Flächen verfügbar wären. Käme das ICE-Werk, wäre das für uns fatal. Dann brauch’ ich nicht mehr auf die Landwirtschaft zu setzen."

Fatale Folgen für die Natur

Als die DB Ende April die Übersicht über die Gebietskorridore veröffentlicht hat, war die Verwirrung groß. In welchen Bereichen genau das ICE-Werk angesiedelt werden könnte, war nicht klar ersichtlich. Die BI Rohr hat die Flächen örtlich zugeordnet.

Als die DB Ende April die Übersicht über die Gebietskorridore veröffentlicht hat, war die Verwirrung groß. In welchen Bereichen genau das ICE-Werk angesiedelt werden könnte, war nicht klar ersichtlich. Die BI Rohr hat die Flächen örtlich zugeordnet. © Grafik: FN

"Bei maximalem Flächenverbrauch würde das Werk die Landschaft zerschneiden", sagt Straußberger. "Mit fatalen Folgen für die Natur", wie Martin Strobel erklärt. Er ist vor knapp 67 Jahren in Buchschwabach geboren, Vollerwerbslandwirt und seit 33 Jahren Vorstand der Jagdgenossenschaft und damit Vertreter all derer, die im Jagdrevier Buchschwabach, Clarsbach und Raitersaich, dem mit 1300 Hektar größten Revier im Landkreis Fürth, Grundstücke besitzen.

Martin Strobel, Buchschwabach:

"Wenn ich von anderen Jagdkollegen höre, dass ihr Wald von Reitern, Joggern oder Radlern überlaufen wird, kann ich eigentlich nur entgegnen, dass bei uns die Welt noch in Ordnung ist. Doch mit dem ICE-Werk wäre das vorbei. Der Betrieb rund um die Uhr, hell erleuchtet, dazu laute Huptests im Freien: Ich will mir gar nicht ausmalen, was das für die Tierwelt bedeutet. Noch haben wir selten gewordene Arten wie Rebhühner, Feldhamster, Fledermäuse oder Eidechsen im Revier. Auch den Kuckuck und den Uhu hören wir. Was aus den Quellen wird, die hier im Wald gründen und in Buchschwabach münden, wenn zwei Meter tief Granitschotter unter Hunderte Meter langen Gleisanlagen in den Boden getreiben wird, kann keiner absehen."

Ursprünglich, so Straußberger, hatte die Bahn angekündigt, bis zu 45 Hektar innerhalb der Planungskorridore zu überbauen, sprich: zu versiegeln – also unter einer riesigen, 500 Meter langen Halle, zirka 24 Gleisanlagen sowie Erschließungsflächen wie Straßen oder Parkraum verschwinden zu lassen. Mittlerweile sei von 32 Hektar die Rede, sagt Straußberger. "Das sprengt aus unserer Sicht jeden Rahmen und ist in der Dimension unvorstellbar", meint er. Seiner Einschätzung nach "muss das auch kleiner gehen".

In Nürnberg habe die Bahn vor einigen Jahren die Fläche ihres Rangierbahnhofs teuer an die Stadt vertickt. Auf dem Gelände des ehemaligen Südbahnhofs an der Brunecker Straße soll nun der neue Stadtteil Lichtenreuth entstehen.

Beste Bodenqualität

"Und jetzt sollen wir am Land unsere Flächen hergeben, die wir brauchen, um uns weiter von unserer Scholle ernähren zu können?" Das mag der Raitersaicher Nebenerwerbslandwirt Hans Volland nicht akzeptieren. Noch dazu gehe es bei Raitersaich um beste Ackerböden. "Aus Sicht der Landwirte wäre es eine Todsünde, die zu überbauen."

Reinhard Ammon, Raitersaich:

"Ich bewirtschafte unseren Hof in zehnter Generation. Vor drei Jahren habe ich auf Ökolandbau umgestellt. Wäre ich jetzt derjenige in der Familie, der den Betrieb aufgeben müsste, wäre das hart. Doch das Werk in Raitersaich wäre tatsächlich mein Aus. Über 16 Hektar Fläche gingen für mich verloren, von den 21 verbleibenden Hektar kann ich nicht leben. Als Biobetrieb kann ich auch nicht einfach konventionell bewirtschaftete Flächen übernehmen, um meinen Fenchel, Hanf, die Sonnenblumen und Soja anzubauen – ganz abgesehen davon, dass weit und breit sowieso keine Flächen zu pachten sind. Wenn wir Bauern zusammenhalten, kann sich die Bahn an uns die Zähne ausbeißen. Und schlimmstenfalls, sollte es tatsächlich dazu kommen, dass wir enteignet werden sollen, können wir auch noch klagen."

"Wir wollen keinen Verschiebebahnhof", sagt Straußberger, an allen anderen Standorten sei die Situation für die Betroffenen auch nicht besser. Aber wenn Bayerns Ministerpräsident Markus Söder beim Standort Altenfurt/Fischbach "Bauchgrimmen" habe (so ist es überliefert), müsse das für Raitersaich genauso gelten.

"Wir haben hier zwar keinen Wald in der Dimension des Reichswalds, aber das betroffene Waldstück ist eines der größten zusammenhängende Forstgebiete in unserer Region und unersetzbar in puncto Klimawandel und Natur", so Straußberger.

Er und die Landwirte von Raitersaich sehen die Staatsregierung in der Pflicht: Das aktuelle Verfahren für die Standortsuche müsse gestoppt und auf Basis einer deutlich flächensparenderen Planung neu aufgerollt werden. "Und dann sollte die Bahn als eine der größten Grundstückseigentümerinnen der Republik sich doch bitteschön zuerst mal auf ihren eigenen Flächen umsehen, statt ihre Industrieanlage aufs Umland abzuwälzen", sagt Straußberger unter Baumwipfeln und dem Applaus der Raitersaicher Landwirte.

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