Interview mit Veranstalter

Eine Nürnberger Party-Legende kehrt zurück: Was die Fans beim "Soulweekender" erwartet

Stefan Gnad

"Leben"

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29.11.2023, 15:00 Uhr
Party mit besonderer Atmosphäre: Am ersten Dezemberwochenende lockt wieder der "Soulweekender" nach Nürnberg. Zwei Nächte und einen Tag lang wird getanzt und gefeiert.

© Frank Schuh Party mit besonderer Atmosphäre: Am ersten Dezemberwochenende lockt wieder der "Soulweekender" nach Nürnberg. Zwei Nächte und einen Tag lang wird getanzt und gefeiert.

Seit über einem Vierteljahrhundert veranstalten Oguzhan Çelik, Stefan Krapf und Dominik Schöll das Szenetreffen. Zwei Nächte lang geht im Katharinensaal die Post ab: Im fliegenden Wechsel lassen Plattenaufleger aus der ganzen Republik sowie Gäste aus England kleine schwarze Scheiben rotieren und das Publikum tut das, was in Zeiten wie diesen mit das Beste ist, was man tun kann: Tanzen wie der Lump am Stecken.

Wir haben vorab bei Oguzhan "Judge" Çelik durchgebimmelt – und mit ihm über die Faszination für kleine schwarze Vinylsingles, eine urbritische Jugendkultur in Franken und den Stand der Dinge im Nürnberger Künstlerhaus gesprochen.

Ozi, die schlechte Nachricht vorweg: Auch in diesem Winter steht Euch das Künstlerhaus in der Königstraße nicht zur Verfügung. Es ist noch immer nicht fertig renoviert, ein weiteres Mal müsst Ihr ausweichen: wieder in den Katharinensaal ein paar Meter weiter, der schön ist, aber leider um einiges kleiner als der Festsaal im Künstlerhaus.

Zum Glück hatte ich den "Weekender" ohnehin schon kleiner angesetzt – und geplant, nur den Festsaal im Künstlerhaus zu bespielen und nicht wie sonst das Zentralcafé als zweite Tanzfläche mit dazu zu nehmen. Alles andere war mir im Vorfeld zu unsicher. Weil: Bis zuletzt war überhaupt nicht klar, wie das Haus nach der großen Renovierung beieinander ist. Die Ansage der Stadt lautete: Der Festsaal wird auf jeden Fall fertig. Als wir zuletzt vor zwei Wochen im Künstlerhaus waren, war aber noch voll Baustelle, da hätte man auf keinen Fall Leute reinlassen können. Überhaupt sieht das alles noch gar nicht nach Kultur aus, sondern vom Ambiente her eher wie ein Amtsgebäude. Ist alles noch nicht fertig, okay – aber soweit meine subjektive Wahrnehmung. Einfach eine komische Stimmung. Bist Du mal drin gewesen?

Seit über einem Vierteljahrhundert veranstalten Dominik Schöll (links) und Oguzhan "Judge" Çelik (rechts) den "Soulweekender Nürnberg".

Seit über einem Vierteljahrhundert veranstalten Dominik Schöll (links) und Oguzhan "Judge" Çelik (rechts) den "Soulweekender Nürnberg". © Riff Randle

Ja, während der Pandemie. Aber da war gerade noch alles frisch entkernt.

Selbst diesen Sommer sah das alles noch nicht wirklich gut aus. Aber wie so viele andere haben auch wir uns auf die Versprechen verlassen, dass die Stadt das auf jeden Fall hinkriegt. Für mich schaut es so aus, als ob es da keine Bauleitung gibt – niemanden, der das alles vor Ort koordiniert. Aber das ist nur mein ganz persönlicher Eindruck.

Jetzt also der Katharinensaal als Ausweichstätte. Der ist schön, aber leider viel zu klein.

Ja, es ist schon etwas anderes, wenn du im Künstlerhaus die große Treppe zum Festsaal hochläufst. Zumal ja auch in den Gängen immer viele Menschen rumgestanden sind und gequatscht haben. Im Katharinensaal gibt es jetzt einfach nur Abendkasse und vielleicht müssen wird irgendwann den Einlass regulieren. Unser Problem ist doch: Wenn wir den "Weekender" jetzt absagen, nachdem wir vorab massiv die Rückkehr ins Künstlerhaus beworben haben, dann denken die Leute, dass bei uns die Luft raus ist. Da hängt ja auch immer ein Ruf mit dran.

Lass uns über die schönen Dinge sprechen. Das Thema beim "Soulweekender" ist Rare- und Northern Soul.

Rare und Northern sind nur zwei Ettiketten für den selben Sound. Der Journalist Dave Godin hat diesen Begriff Anfang der 1970er Jahre in seiner Kolumne im "Blues & Soul Magazin" geprägt. Godin war eine Koryphäe für Soul und wollte damit den Sound beschreiben, der damals im Norden Englands aufgelegt wurde. Auf den Partys in Manchester und Leeds wurden andere Platten gespielt als in London: schneller, sehr roh und noch nicht geschliffen und glatt, mit wenig Funk-Einflüssen und noch sehr sixties-orientiert. Die DJs im Norden von England haben versucht, nicht die Platten vom berühmten Motown-Label aus Detroit zu spielen, die ständig im Radio liefen und die jeder kaufen konnte, sondern einen Sound zu fahren, der genauso klang, aber eben nicht Motown war. Es dauerte nicht lange, bis das seine Kreise zog, und schon bald ging es vor allem darum, Sachen zu spielen, die man nur schwer kriegt. Und das wurde immer schlimmer: Immer spezieller, immer seltener, immer rarer musste die Musik sein, die aufgelegt wurde. Die DJs haben damals zum Teil die Aufdrucke auf ihren Platten überklebt oder drübergemalt, damit keiner von ihnen abguckt und sie als einzige die Nummer hatten und spielen konnten – so lange wie möglich.

Der klassische Motown-Sound von dem berühmten gleichnamigen Soullabel aus Detroit wird dann beim "Soulweekender" gar nicht gespielt?

Doch, aber halt nur sehr wenige Sachen, die man aus dem Radio kennt. Es gibt aber auch auf Motown Records genug interessante Geschichten, die nicht totgenudelt sind.

Hat Amy Winehouse eine Chance, beim "Nürnberger Soulweekender" gespielt zu werden?

Also bei mir nicht. Die haut mich einfach nicht um. Is’ halt Motown kopiert, aber nicht mal gut. Da finde ich das Original besser.

Wie bist Du in die Northern Soul-Szene gekommen?

Northern Soul kam Anfang der 1980er Jahre über die Mod-Bewegung nach Deutschland. Ich kam Ende der 80er/Anfang der 90er als Scooterboy, also als Rollerfahrer, dazu, und unsere Musik war eben Rare und Northern Soul aus England. Alle, die damals hier in Deutschland Northern Soul gehört haben und die ersten "Soulnighter"-Partys veranstaltet haben, waren Rollerfahrer. So hat sich das dann irgendwann verselbstständigt: als originäre eigene Subkultur. Vorbild war und ist beim Northern Soul aber bis heute immer England gewesen. Die Musik, die Optik, die ganze Szene ist durch und durch britisch.

Ist Rare und Northern Soul dann eine rein nostalgische Veranstaltung?

Aktuelle Strömungen gibt es da keine. Es geht ausschließlich um die Musik von 1964 bis 1974, um mal einen groben Zeitrahmen festzuklopfen. Und innerhalb dieses Fensters versucht man, Musik zu finden, die noch unbekannt ist: Eine Single, die noch keiner hat. Aber neue, wechselnde Trends und Strömungen von wegen "jetzt wird es gerade schleppender oder minimaler" wie in der elektronischen Musikszene gibt es im Rare und Northern Soul nicht. Es geht nach wie vor um den Original-Sound von damals. Es gibt zwar ein paar wenige neue Musiker, aber auch die kopieren ganz offensichtlich den Sound von früher.

Ist so eine Retro-Geschichte interessant für Euch?

Doch, schon. Ab und zu taucht eine Band auf, die den Sound von früher spielt, und manchmal ist da auch eine Nummer dabei, die schön tanzbar ist und die man prima auflegen kann. Nicole Willis & The Soul Investigators fallen mir da spontan ein, das war so eine neue Band, die Sixties-Soul im neuen Jahrtausend gespielt hat. Oder The Inciters, die wir neulich im Zentralcafé veranstaltet haben: Soul aus Santa Cruz mit sauberem Punkrock-Hintergrund. Auf Platte nicht unbedingt mein Ding, aber live war es super. Als Rare und Northern Soul-DJ versucht man hingegen, exklusiv zu sein und Singles zu spielen, die nur man selbst hat. Und das sind halt in der Regel Sachen von damals.

Das ist ja aber auch das, was man immer wieder hört: "Naja, die ,Soulweekender’-Jungs, das sind die Typen, bei denen sich nur irgendwelche originalen exklusiven 300 Euro-Singles drehen".

Also wenn es um Platten geht, die sich jeder problemlos auf dem Flohmarkt kaufen kann, dafür brauche ich keine große Party veranstalten. Denn genau darum geht es ja bei einem "Weekender": Es soll etwas besonderes sein. Deshalb laden wir uns ja auch DJs aus aller Welt ein, weil die tolle Platten haben und spielen, die sonst keiner hat.

Beim Nürnberger "Soulweekender" dreht sich alles um die kleinen schwarzen Scheiben: Die Musik kommt komplett von 7-Inch-Vinyl-Schallplatten.

Beim Nürnberger "Soulweekender" dreht sich alles um die kleinen schwarzen Scheiben: Die Musik kommt komplett von 7-Inch-Vinyl-Schallplatten. © Hans von Draminski

Gibt es nach all den Jahren noch Lieder, die du nicht kennst?

Doch, es passiert tatsächlich immer wieder, dass einer eine Scheibe auskramt, die vorher noch keiner kannte. Vor allem, wenn britische DJs auflegen. In der Northern Soul-Szene ist die Jagd nach unbekannten Liedern inzwischen so weit gediehen, dass die Leute in die Studios von damals fahren und nach unveröffentlichten Bändern fragen (lacht). Und diese dann veröffentlichen – entweder offiziell oder als Raubkopie.

Ist diese Spielart von Soul echt so ein Riesen-Feld?

Damals in den USA muss es verhältnismäßig einfach gewesen sein, eine Single zu machen. Da ist man in eines der vielen Aufnahmestudios marschiert ist, hat das für zehn Minuten gebucht und gesagt "Hier: meine Jungs machen die Musik, die Dame singt."

Und in der Mitte stand ein Mikrofon, mit dem alles aufgenommen wurde.

Genau. Es muss damals sehr viele solche Möglichkeiten gegeben haben, die noch dazu erschwinglich waren. Das ist ein riesiges Feld, man macht sich da kein Bild. Und die USA sind ein sehr großes Land. Damals ist die Musikindustrie explodiert, gerade in Form der Single-Schallplatte. Und der gilt unsere Jagd.

Muss es zwingend Vinyl – also Schallplatte – sein?

Auf jeden Fall.

Und als Format die klassische Single?

Immer Single. Es gibt schon viele coole Lieder, die auf LP erschienen sind, aber da habe ich keinen Bock, die auch noch mitzuschleppen. Die meisten Soul-DJs legen tatsächlich nur mit Single-Schallplatten auf.

Die Single – das kleine schwarze Gold. 7 Zoll, 45 Umdrehungen pro Minute. Total aus der Zeit gefallen. Ein sinnloses Format in der Ära von Spotify, wo die Musik aus der Cloud kommt: Man gibt Geld aus für ein Lied plus ein zweites auf der Rückseite, das mit etwas Glück eine versteckte Perle ist?

Aber diese eine Nummer muss dich kicken! Weil der Künstler hier ja nur diesen einen Versuch hat.

Er hat 3:30 Minuten, um zu überzeugen.

Eher 2:20 (lacht).

Wie teuer war die teuerste Single, die Du gekauft hast?

Ich glaube, das dürfte "Stop Hurting Me Baby" von Purple Mundi sein, erworben für einen vierstelligen Eurobetrag. Aber so was ist nicht die Regel. Die von Dir vorhin angesprochenen 300 Euro sind mittlerweile aber leider auch nicht mehr als hochpreisig anzusehen. Wobei Plattenkaufen im Northern Soul trotzdem nach oben hin offen ist. Gut, selten und begehrt – wenn diese drei Faktoren zusammenkommen, dann kann es richtig teuer werden.

Hörst Du zu Hause Singles?

Na klar.

Aber da muss man doch alle paar Minuten zum Plattenspieler und umdrehen.

Aber genau das ist das Ritual: Man zelebriert Musik. Da steh ich total drauf. Ich sammele auch begeistert alte Reggae- und Punk-Singles.

Stimmt das Gerücht, dass Ihr früher regelmäßig Urlaub in England gemacht habt und dort über Land gefahren seid und jeden Plattenladen abgeklappert habt?

Nee. Was wir gemacht haben: Wir sind in den 90ern nach England zu den "Weekendern" und "Allnightern" gefahren. Das war ja noch in der Zeit vor dem Internet, und da waren die Haupt-Umschlagplätze für Singles – Kaufen und Verkaufen – tatsächlich diese Partys. Alle Händler kamen damals dort hin, da wurden kistenweise Singles verkauft … und da haben wir zugeschlagen. Gezielt zum Plattenkaufen sind wir aber nie nach England gefahren. Inzwischen hat sich das eh alles total verändert. Heute läuft Plattenkaufen fast nur noch übers Netz.

Wenn das Portemonnaie dick genug ist, dann kann man sich von zu Hause aus am Rechner via Internet eine komplette Soul-Sammlung zusammenkaufen?

Du brauchst auf keinen einzigen "Allnighter" zu gehen. Da muss man sich nicht mehr vor Ort sozialisieren oder DJs angraben und so lange beschwätzen, bis sie einem mal eine Kassette mit ein paar Liedern aufnehmen. Aber auch auf Flohmärkten in Deutschland konnte man damals in den 90ern fündig werden. Da haben immer wieder amerikanische Soldaten Platten verkauft, wo das ein oder andere Schnäppchen für schmales Geld dabei war.

Wie darf man sich die Northern-Soul-Szene in Deutschland vorstellen?

So richtig groß ist die nicht. Man kennt sich. Es kommen schon ein paar Jüngere nach, aber meisten sind es auf den Partys doch die alten Säcke von damals, die seit Anfang an dabei sind. Dafür ist es nicht anonym, was auch ganz angenehm ist.

Fährst Du noch Roller?

Nee, ich habe meinen vor Jahren verkauft. Leider! Ich hatte eine Vespa Rally 200 von 1972 in orange. Hätte ich nie weggeben dürfen, auch wenn das Ding ständig kaputt war. Inzwischen kosten die alten Dinger richtig Geld.


"Soulweekender Nürnberg" am Freitag und Samstag, 1./2. Dezember 2023, im Katharinensaal, Katharinenkloster 6 (gegenüber der Katharinenruine). "Alldayer" am Samstag von 14 bis 20 Uhr im "Blok" am Klarissenplatz. Infos: www.raresoul.net

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