Hochaktuelles Gesellschaftsporträt

Klassenkampf im Krankenhaus: Das Kinodrama "In den besten Händen"

Birgit Nüchterlein

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20.4.2022, 11:06 Uhr
Gerät angesichts ihrer emotionalen Schieflage leicht aus der Fassung: Comiczeichnerin Raphaela (Valeria Bruni Tedeschi, li.), hier mit ihrer Partnerin Julie (Marina Foïs). 

© Alamode Film Gerät angesichts ihrer emotionalen Schieflage leicht aus der Fassung: Comiczeichnerin Raphaela (Valeria Bruni Tedeschi, li.), hier mit ihrer Partnerin Julie (Marina Foïs). 

Im französischen Original lautet der Filmtitel "La fracture", also "Der Bruch". Und das trifft die Sachlage, die Catherine Corsini in ihrem Sozialdrama verhandelt, weitaus besser als die weichgespülte deutsche Übersetzung "In den besten Händen". Denn hier geht es definitiv um Brüche - im eigentlichen wie im übertragenen Sinn. Und um die Schmerzen, die damit verbunden sind.

Schon so gut wie zerbrochen, auf jeden Fall aber ziemlich strapaziös ist schon zu Beginn des Films die Liebe zwischen der Comic-Zeichnerin Raphaela (Valeria Bruni Tedeschi) und ihrer Verlegerin und Partnerin Julie (Marina Foïs). Letztere hat sich für die Trennung entschieden. Als Raphaela nach einem heftigen Wortgefecht mitten auf der Straße stürzt, bricht sie sich prompt den Arm.

Täglicher Wahnsinn

Das wirkt zwar sehr auf Drama gebürstet, transportiert die Geschichte aber genau dorthin, wo Corsini, die auch am Drehbuch mitschrieb, sie haben will: in die von erheblichem Personalmangel geplagte Notaufnahme eines Pariser Krankenhauses. Oder anders formuliert: in den täglichen Wahnsinn eines chronisch unterfinanzierten Gesundheitssystems.

Parallel dazu eskaliert draußen auf den Champs Elysées eine Demonstration gegen die Macron-Regierung. Es kommt zur blutigen Auseinandersetzung zwischen der protestierenden Gelbwesten-Bewegung und der Polizei. Krankenhaus oder Demo: Chaos herrscht auf beiden Seiten. Die unruhige Kamera und scharf geschnittene Szenenwechsel unterstreichen das.

Verletzte Demonstranten

Zusammen findet beides, als verletzte Demonstranten in die überfüllte Notaufnahme eingeliefert werden. So kann der Film am Beispiel der Zeichnerin Raphaela als Vertreterin der Bourgeoisie und des schwer verwundeten Lkw-Fahrer Yann (Pio Marmaí) aus der Arbeiterklasse gleich auch die Spaltung der französischen Gesellschaft aufzeigen. Er wählt Le Pen und sie Macron? So viel Vorurteil mag naheliegen, Corsini lässt es zum Glück offen.

Insofern ist der Ansatz von "In den besten Händen" gut und hochaktuell: Am Wochenende wird Frankreich bei der Präsidentschafts-Stichwahl zwischen Amtsinhaber Emmanuel Macron und der Rechten Marine Le Pen abstimmen. Und gestresste Pflegekräfte erhielten gerade in Corona-Hochzeiten massenhaft Applaus – ohne dass sich an ihrer Situation groß etwas änderte.

Aufgedreht

Doch leider Corsini dreht zu sehr auf. Vor allem ihre Hauptfigur überzeichnet sie fast bis zur Karikatur. Valeria Bruni Tedeschi spielt eine Patientin am Rande des Nervenzusammenbruchs, die nur nervt; der "Klassenkampf" mit dem Lkw-Fahrer ist dagegen allzu schnell beigelegt. Spannung und Hektik in den dargestellten Szenerien sind meist am Limit, was das Zuschauen einigermaßen anstrengend macht.

Einziger Ruhepol ist dagegen die schwarze Pflegerin Kim (Aïssatou Diallo Sagna), der man im Kinosessel für ihre Souveränität genauso dankbar ist wie die Patienten in der Klinik. (99 Min)

In diesen Kinos läuft der Film.

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