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Von James Baldwin bis KISS und Patrick Modiano: Unsere Buchtipps für September 2024
13 Bilder 29.9.2024, 16:00 UhrEr war schwarz - und er war schwul. Für den amerikanischen Autor James Baldwin bedeutete das "eine doppelte Einsamkeit", eine soziale Heimatlosigkeit, die er auch in seinen Romanen thematisierte und die ihn früh aus seiner Heimat nach Europa fliehen ließ. Zum 100. Geburtstag Baldwins ("Giovannis Zimmer") liegen nicht nur viele Werke neu übersetzt bei dtv vor, es gibt auch einen Band mit Interviews, in denen er seine Situation deutlich machte: "Ich weiß, wovon ich spreche". Als er im Wallis, in den Bergen, seinen ersten Roman schrieb, war die Reaktion eindeutig: "Diese Schweizer dachten wirklich, der Teufel hätte mich geschickt..." (Kampa, 26 Euro) Wolf Ebersberger © Kampa; Tumisu/pixabay/LizenzCC0; Montage: Sabine Schmid
Er möchte kein "Besitzerhund" sein. Johannes lebt frei im Stadtpark. Mit der Tierwelt starrt der Vierbeiner auf Besuchermenschen und wacht über das Gleichgewicht vor Ort. Da der Hund so schnell ist, hat er alles im Blick. Deswegen heißt er "Die Augen". Er muss beobachten, wie sich die grüne Zuflucht verändert. Immer mehr Menschen, neue Gebäude … Und der Hund reagiert. Das bildgewaltig illustrierte Buch "Die Augen und das Unmögliche" von Bestseller-Autor Dave Eggers ("Ein Hologramm für den König") ist eine Geschichte über Freundschaft, Mut und das Gleichgewicht auf der Erde. Ernstes Thema. Aber auch anrührender Lesestoff für jedes Alter. (Atlantis-Verlag, 24 Euro) Claudia Beyer © Atlantis; Andar Moon/pixabay/LizenzCC0; Montage: Sabine Schmid
Die meisten in der Siedlung halten den Onkel ja für verrückt, der kleine Miguel aber, sein Neffe, kann nur bewundern, was dieser Ramon da tut: einfach Wohnung und Tante verlassen und sich vor der Stadt im Gestänge einer riesigen Werbetafel einrichten! Vorne ein rotes Cabrio und Coca-Cola, hinten der Aussteiger, der bescheiden sein Bier trinkt und in die Sterne guckt. Das ist "Der Plakatwächter", das neue wunderbare Buch von María José Ferrada. Ebenso poetisch wie parabelhaft und vor allem mit frühreif-komischem Kinderblick erzählt die Chilenin ("Kramp") von der Störung eines sozialen Gefüges, das schnell seine Schwächen zeigt. Zum Glück gibt es Wahlverwandschaften... (Berenberg, 24 Euro) Wolf Ebersberger © Berenberg; Rupert Kittinger-Sereinig/pixabay/LizenzCC0; Montage: Sabine Schmid
Jeder Fan kennt diesen magischen Moment, der den Beginn einer wunderbaren Freundschaft markiert. Und bei jedem war er anders. In "The Best KISS Of My Life" erzählen 30 Fans aus 16 Ländern von sich und ihrer Liebe zu der US-amerikanischen Rockband Kiss. Und die war ja schon immer nicht nur mehr als die Summe ihrer Einzelteile, sondern stets im XXL-Format gedacht und gemacht. In dem launigen Fan-Buch des Berliners Stefan Frommann kommen auch die Kiss-Musiker Gene Simmons und Tommy Thayer zu Wort, ebenso wie Star-Produzent Bob Ezrin und William Starkey, der Erfinder der Kiss-Army. Wenn Sie Devotee sind oder einen kennen - diese Stoffsammlung könnte ein Match sein! (Köllen, 29,90 Euro). Stefan Gnad © Köllen; thomasgitarre/pixabay/LizenzCC0; Montage: Sabine Schmid
Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine starke Frau. Oder eine, die seinen Schatten nicht verlassen darf. Wie Eleanor Marx, die selbst politisch aktiv war, aber der Nachwelt nur durch ihren Vater Karl Marx bekannt ist. Oder Clara Immerwahr, die erste Deutsche, die einen Doktortitel in Chemie erhielt, aber nach ihrer Heirat mit Fritz Haber aufhören musste zu arbeiten. Ob in Wissenschaft, Kunst oder Politik: Frauen durften lange nur Sekretärinnen, Muse oder Ehefrau sein. Ihr Anteil an den Arbeiten der Männer wurde gezielt verschwiegen. "Beklaute Frauen" von Leonie Schöler ist ein Buch, das wütend macht - und dank zahlreicher Fußnoten und Leseempfehlungen dazu einlädt, sich weiter zu informieren. (Penguin, 22 Euro) Marlene Weyerer © Penguin; PublicDomainPictures/pixabay/LizenzCC0; Montage: Sabine Schmid
In "Der alte König in seinem Exil" hatte Arno Geiger einfühlsam die Alzheimerkrankheit seines Vaters begleitet. Nun geht es in "Reise nach Laredo" um einen alten Monarchen im freiwilligen Exil. Geiger knüpft den Roman an die Lebensgeschichte Karl V., der 1556 abdankte und sich sterbenskrank in ein spanisches Kloster zurückzog. Von dort begibt er sich – das erinnert an Don Quijote und Sancho Pansa – eher im Traum als in der Realität mit seinem unehelichen Sohn auf eine Flucht in die Freiheit von allem Weltlichen. Die Reise ist beschwerlich, die Lektüre nicht unbeschwert, bisweilen pathetisch. Dennoch, man bleibt dran – weil hier existentielle Fragen des Menschseins verhandelt werden. (Hanser, 26 Euro) Birgit Nüchterlein © Hanser; jean-pierre duretz/pixabay/LizenzCC0; Montage: Sabine Schmid
Natürlich denkt man da an Baselitz: ein Maler, der seine Motive einfach, aber effektvoll auf den Kopf stellt - geniale Idee! Leider fühlt sich die Ehefrau dadurch in ihrer "weiblichen Erfahrung" getroffen, als Objekt degradiert, entstellt statt sexuell attraktiv. Das ist nur die erste Episode in Rachel Cusks neuem Roman "Parade" - der es dem Leser schon deshalb nicht leicht macht, weil alle Künstler, die darin vorkommen, nur als "G" benannt werden. Aber ist es nicht reizvoll, so klug verunsichert zu werden? Cusk beherrscht es perfekt. Ihre persönlichen Echos auf Künstlerpositionen erzählen mit schneidender Ironie und ungnädigem Blick von Männern und Frauen, Eltern und Kindern, Utopie und Scheitern. (Suhrkamp, 25 Euro) Wolf Ebersberger © Suhrkamp; Jan Mateboer/pixabay/LizenzCC0; Montage: Sabine Schmid
Man soll sich ja auch über kleine Dinge freuen. Also greifen wir zufrieden zu dem schmalen Band "Memory Lane" des Literaturnobelpreisträgers Patrick Modiano, von dem schon lange kein neuer Roman erschienen ist. Die kurze Geschichte aus Paris ist auch schon ein bisschen älter, aber nun erstmals übersetzt. Und sie präsentiert uns einen Modiano, wie wir ihn kennen und lieben. Ein wenig rätselhaft, mit verwirrenden Lebenswegen, führt er in die Welt der Pariser Boheme der Nachkriegszeit, wo sich Menschen treffen und wieder trennen. Es passiert nicht viel, aber dafür gibt es viel Atmosphäre. Kongenial illustriert ist das Büchlein von Pierre Le-Tan, einem vietnamesischen Maler, der auch schon für Chanel gearbeitet hat. (Kampa, 22 Euro) Bernd Noack © Kampa; Gabriele/pixabay/LizenzCC0; Montage: Sabine Schmid
Die Zeiten sind ungewiss und auch für Selbstmitleid ergiebig. Ben Oppenheimer ist so einer, ein Egomane, der das Scheitern verinnerlicht hat und zelebriert. Nur einmal gelang ihm ein großer Wurf, sein Erstlingswerk. Es verkaufte sich gut, danach kam nichts mehr - außer einer kaputten Ehe, zwei Kindern, der Beziehung zu einer jüngeren Künstlerin. In Micha Lewinskys erstem Roman "Sobald wir angekommen sind" geht es um die panische Flucht der jüdischen Familie Oppenheimer vor einem Kriegsausbruch in Europa. Natürlich bricht der Krieg nicht aus - dafür klaffen am scheinbaren Wunschziel Brasilien alte Wunden auf. Ein wunderbares Debüt! Möge Lewinsky das Schicksal seines Protagonisten erspart bleiben... (Diogenes, 25 Euro). Michael Husarek © Diogenes; Poswiecie/pixabay/LizenzCC0; Montage: Sabine Schmid
Die Familie ist eine komplizierte Konstellation. Selten herrscht pure Harmonie, irgendwo schwelt immer ein Konflikt. In Dana von Suffrins für den Buchpreis nominierten Roman "Noch einmal von vorn" hätte ein Paar erst gar nicht heiraten sollen. Den Fehler müssen die Töchter ausbaden, die mit schwerem Gepäck ins Leben starten und das Chaos, das ihnen die Eltern hinterlassen haben, aufräumen müssen. Nach und nach machen sie Frieden mit der Vergangenheit, jede auf ihre Art. Dana von Suffrin, Jahrgang 1985, erzählt diese Familiengeschichte, die zwischen München und Tel Aviv spielt, einfühlsam, mit Ernsthaftigkeit, aber vor allem feinem Humor. Am Ende wird nicht alles gut - aber immerhin besser. (Kiepenheuer & Witsch, 23 Euro) Gabi Eisenack © Kiepenheuer & Witsch; Michael Siebert/pixabay/LizenzCC0; Montage: Sabine Schmid
Um sie vor den immer heftigeren Luftangriffen der Deutschen zu schützen, wird die elfjährige Bea 1940 von London nach Boston geschickt. Im Gegensatz zu anderen evakuierten Kindern kommt sie in eine liebevolle Familie und erhält sogar zwei "Brüder". Daraus entwickelt sich für das Mädchen eine immer engere Beziehung, die auch nach dem Krieg nicht abreißt. Laura Spence-Ash hat ihren ersten Roman "Und dahinter das Meer" erst in reiferen Jahren geschrieben: Ihre Lebenserfahrung macht sich besonders in der einfühlsamen Schilderung der Gefühlswelten bemerkbar. Ob man die Liebesgeschichte dann als Kitsch abtut oder als positives Ende einer trotz ernster Thematik leichten Lektüre sieht, bleibt jedem überlassen. (mare, 25 Euro) Anja Weigmann © mare; Pexels/pixabay/LizenzCC0; Montage: Sabine Schmid
Am schönsten hat es Elias Canetti gesagt: "Karl Kraus war etwas wie ein Vorläufer der Atombombe". Und in der Tat - wenn Kraus sich einen Gegner erkoren hatte, seien es schlampige Journalisten, überschätzte Schriftsteller oder gnadenlose Richter, kannte die Wucht seiner Worte keine Grenzen. Vor 150 Jahren wurde der österreichische Autor, Dramatiker und Publizist geboren, ein guter Anlass, "Das Karl Kraus Lesebuch" neu aufzuschlagen: Hans Wollschläger hatte als Fan und geistiger Nachfahre die treffendsten Attacken aus Krausens Kampfzeitschrift "Die Fackel" ausgesucht. Jetzt sogar mit (wichtigem) Namensverzeichnis... (Wallstein, 34 Euro) Wolf Ebersberger © Wallstein; Hans/pixabay/LizenzCC0; Montage: Sabine Schmid
Endlich wieder zu haben in einer schönen Ausgabe: die bezaubernde Liebesgeschichte in schweren Kriegszeiten, die der russische Kunsthistoriker Wsewolod Petrow (1912-1978) als erst spät entdecktes literarisches Meisterwerk hinterlassen hat. "Manon Lescaut von Turdej" ist die Geschichte eines Petersburger Intellektuellen, der so gar nicht in die Vorzeigeriege proletarischer Kriegshelden passen mag. Er liest Goethes „Werther“ und er verliebt sich in die ebenso romantische wie ungestüme Vera, in der er die Romanfigur Lescaut aus dem 18. Jahrhundert wiedererkennen will. Wie hier die Träume und die Liebe der vorherrschenden Gewalt und Verrohung gegenübergestellt werden, ist meisterhaft und schmerzhaft erzählt (Weidle, 22 Euro). Bernd Noack © Weidle; zclionwy/pixabay/LizenzCC0; Montage: Sabine Schmid