"Das muss draußen herrlich sein!"

Warum der Strandkorb nicht als Schutzschirm des Konzertgängers taugt

24.7.2021, 09:13 Uhr
Vor den dunkelgrauen Strandkörben heben sich die Menschen ab wie bunte Luftballons.

© Foto: Roland Fengler Vor den dunkelgrauen Strandkörben heben sich die Menschen ab wie bunte Luftballons.

Wer kennt sie nicht, die Geschichte vom fliegenden Robert, dem neugierigen Jungen, der es satt hat, brav zu Hause in seiner guten Stube Social Distancing zu betreiben, während draußen der Regen niederbraust und der Sturm das Feld durchsaust.


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„Das muss draußen herrlich sein!“, denkt er sich, lässt freudig alle Vorsicht fahren und stürzt sich mit Begeisterung ins Extremwetter. Ganz unvorsichtig ist er ja gar nicht, der gute Robert, einen Regenschirm hat er dabei und hofft, dass dieser reicht, um ihn irgendwie zu schützen.

Die Schlachtreihen des Social Distancing.

Die Schlachtreihen des Social Distancing. © Foto: Roland Fengler

Meine von der Pandemie und deren Präventionsmaßnahmen ausgezehrten Mitbürger können sich da sicher wiederfinden: Sie wollen wieder raus in die weite Welt, sie wollen auf Massenveranstaltungen, aber ohne mit den Massen in Berührung zu kommen.

Ihr Regenschirm ist der Strandkorb, zumindest wenn sie auf die gleichnamigen Open Air Konzerte gehen, die jetzt nach dem Vorbild anderer Städte am Dutzendteich veranstaltet werden.

Da sitzen sie dann, als Paare oder einzelne in ihren dunkelgrauen Strandkörben, vor deren Hintergrund sich selbst bleiche Gesichter und gedeckte Kleidungsfarben abheben wie bunte Luftballons.

Die Menschen, die aus dieser Düsternis hervorgucken, kriegen dabei etwas Entrücktes, Ungreifbares, während die monotone Aufreihung der Strandkörbe eine grimmige Entschlossenheit ausstrahlt, etwas Militärisch-Unnachgiebiges.

Und plötzlich der Gedanke an die Flut.

Und plötzlich der Gedanke an die Flut. © Foto: Roland Fengler

So gut die Idee mit dem Schutz durch die Strandkörbe auch gemeint sein mag, in dieser Phalanx der Vereinzelung wirken all die Konzertbesucher in einer rührenden Weise verletzlich, ja hilflos.

Sie wollen Lebensspaß, ohne dafür ein Risiko einzugehen, sie vertrauen auf ihre Strandkörbe wie Robert auf seinen Schirm.

Sie ahnen nicht, dass sie in ihren Zweierboxen niemals mehr zueinander kommen werden, aber trotzdem nicht sicher sein werden. Denn auch ein Strandkorb kann leichte Beute werden bei wildem Wetter.

Wenn die Flut kommt, wird er mitgerissen, treiben die Menschen mit ihm davon, löst sich die scheinbar unverrückbare Schlachtreihe des Social Distancing auf in kleine, hilflos in den Wassermassen treibenden Behältnisse.

Ist das die Götterdämmerung der Massenveranstaltungen?

Ist das die Götterdämmerung der Massenveranstaltungen? © Foto: Roland Fengler

Wie die Geschichte mit Robert ausgeht, ist bekannt. Der Sturm schnappt sich ihn und seinen Schirm und entführt beide hoch in die wilden Lüfte.

„Niemand hört ihn, wenn er schreit“, textet Heinrich Hoffmann, um den erschrockenen Lesern eine ewige Odyssee anzudeuten: „Schirm und Robert fliegen dort/ Durch die Wolken immerfort.“ Die Aussicht auf ein Happyend scheint hier gering: „Wo der Wind sie hingetragen,/ ja, das weiß kein Mensch zu sagen.“

Ob Robert je wieder runterkommt, ob die Menschen je wieder zusammenkommen? In beiden Fällen könnte die Landung hart und der Preis hoch sein. Aber es würde sich lohnen.

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