Zum Ende einer Kultsendung

Woran wir uns erinnern, wenn wir an "Wetten, dass...?" denken

5.11.2021, 14:04 Uhr
Unvergesslich dürfte das Senf-Bad von Thomas Gottschalk im Jahr 2008 geblieben sein. Er durfte sich darin erfrischen, nachdem er in Nürnberg die Stadtwette verloren hatte. 

© Roland Fengler Unvergesslich dürfte das Senf-Bad von Thomas Gottschalk im Jahr 2008 geblieben sein. Er durfte sich darin erfrischen, nachdem er in Nürnberg die Stadtwette verloren hatte. 


Zurück in die Kindheit

An einem Samstagabend, mit einer frisch geöffneten Flasche Coca-Cola (am Wochenende durfte das getrunken werden) auf dem Sofa zu sitzen und zu warten, dass Professor Brinkmann für heute endlich seinen Dienst beenden wird – das war das große Glück. Zumindest, wenn man elf Jahre alt ist. Das prägt.

Auch wenn ich 35 Jahre später weiß, dass kurz vor dem eigentlichen Vorspann das Te Deum von Marc-Antoine Charpentier gespielt wurde, so ist das Eurovisionslied für mich immer noch vor allem eines: Die eigentliche "Wetten, dass..?"-Hymne. Festlich und schwungvoll verkündeten Pauken und Trompeten: Jetzt kommt etwas ganz Großes! Und du, du bist dabei! Ganz vorne auf deinem Sofa mit deiner prickelnden kalten Cola bist du dabei!

Mitten in so einer samstäglichen Vorfreude stand eines Tages meine große Schwester ausgehfertig in der Wohnzimmertür und verkündete, dass sie sich jetzt mit Freunden treffen werde. Ich war fassungslos. Was um alles in der Welt konnte es an einem Samstagabend Wichtigeres und Besseres geben als "Wetten, dass..?" Alle würden doch morgen und überhaupt die nächsten Tage über Lkw auf Biergläsern und Telefonbuch-Zerreißer sprechen.

Ja, warum ist sie nicht hier? Während Robbie Williams bei „Wetten, dass..?“ mit Thomas Gottschallk spaßte und mit Mädels flirtete, saß unsere Kollegin frustriert zu Hause.   

Ja, warum ist sie nicht hier? Während Robbie Williams bei „Wetten, dass..?“ mit Thomas Gottschallk spaßte und mit Mädels flirtete, saß unsere Kollegin frustriert zu Hause.    © imago images/Star-Media

Als ich ein paar Jahre später selbst erstmals an einem Samstagabend stadtfein im Türrahmen stand, um mich abzumelden, während die Wetten-Dass-Hymne Großes verkündete, spürte ich, dass sich gerade etwas Gravierendes verändert hatte. Das Leben war aus dem Fernsehen ausgelaufen und nach außen gewandert.

Jetzt, für diesen Samstag, habe ich bereits eine Cola kalt gestellt. Werde mal meine Schwester anrufen, was die so vorhat. Wir sind jetzt in einem Alter, da kann man sich kaum etwas Schöneres vorstellen, als an einem Samstagabend auf dem Sofa zu sitzen und "Wetten, dass..?" zu schauen.

RURIK SCHNACKIG


Robbie, Robbiiie, Robiehihii

Meine Teenager-Zeit war geprägt von einer wiederkehrenden Routine, vor allem samstags. Vormittags ging ich mit meiner Freundin zum Eiskunstlauftraining, abends gab es dann das Grande Finale: "Wetten, dass..?". Bei keiner anderen Sendung saßen wir so gebannt vor dem Fernseher. Die andere Routine, in musikalischer Hinsicht, war Robbie Williams. Vom Pappaufsteller bis zum Tour-Shirt, wir hatten alles. Konnten jeden Song auswendig. Und dann war Robbie Williams doch tatsächlich Gast bei "Wetten, dass..?". Und das auch noch in Nürnberg! Weniger als zehn Kilometer trennten meine Freundin und mich von unserem Teenie-Schwarm.

Der Abend endete jedoch anders als gedacht. Mit Wut, Tränen und Vorwürfen. Denn: Zwei Zuschauerinnen im Publikum durften zu Robbie auf die Couch. Sie durften ihn berühren und umarmen. Und das nur, weil sie ein Schild in die Höhe hielten. Zack, holte sie Thomas Gottschalk auf die Couch.

Ein Mal Robbie nah sein, das war zu der damaligen Zeit unser Lebensziel. Die Begeisterung wich dem puren Entsetzen und bitteren Vorwürfen an unsere Mütter, warum sie mit uns nicht zu "Wetten, dass..?" gegangen sind. Diese Mädchen auf der Couch, das hätten wir sein können! Tja, waren wir aber nicht. Wir kriegten uns irgendwann wieder ein, die Begeisterung für Robbie Williams flachte ab. Die Teenager-Zeit war dann zum Glück auch irgendwann vorüber.

ISABELLA FISCHER

Border-Collie Rico beeindruckte mit seiner Suchwette wurde sogar Wettkönig.  

Border-Collie Rico beeindruckte mit seiner Suchwette wurde sogar Wettkönig.   © imago stock&people


Rico, der Wettkönig

Gerade Katzenfreunde streuen ja – zu meinem Verdruss – gerne mal das Gerücht, Hunde seien nicht die Hellsten unter der Sonne. Den Gegenbeweis trat Rico anno 1999 an. Rico war ein Border-Collie, der bei "Wetten dass..?" aus seinen zig im Studio platzierten Spielsachen das Richtige herauszufischen verstand. "Hol’ das BVB-Balli", bat ihn das Frauchen, und Rico wusste, was gemeint war. Geschmack bewies der Hund obendrein, denn ein Bayern-München-Balli befand sich nicht in seinem Fundus. Eigentlich mag ich "Wetten dass..?" gar nicht besonders, keine Ahnung, warum ich an jenem Samstagabend vor 22 Jahren eingeschaltet habe.

Im Jahr 2008 gab es keine Außenschalte mehr zur Stadtwette. Das sorgte für enorme Empörung bei rund 300 Menschen, die extra in Eiseskälte zum Schönen Brunnen nach Nürnberg gekommen waren, um zu zeigen, dass man mit Würstchen stricken kann. Nur 25 von ihnen wurden ins Studio gefahren, der Rest guckte in die Röhre. Einige wollten das nicht hinnehmen und fuhren auf eigene Faust zum Messezentrum - uns sorgten noch für etwas Arbeit für unsere Kolleginnen. 

Im Jahr 2008 gab es keine Außenschalte mehr zur Stadtwette. Das sorgte für enorme Empörung bei rund 300 Menschen, die extra in Eiseskälte zum Schönen Brunnen nach Nürnberg gekommen waren, um zu zeigen, dass man mit Würstchen stricken kann. Nur 25 von ihnen wurden ins Studio gefahren, der Rest guckte in die Röhre. Einige wollten das nicht hinnehmen und fuhren auf eigene Faust zum Messezentrum - uns sorgten noch für etwas Arbeit für unsere Kolleginnen.  © Roland Fengler

Aber bereut habe ich es dank des famosen Rico nicht. Den Collie zog es anschließend in die Wissenschaft, er promovierte über Adorno. Nein, das war Spaß. Aber in der Tat setzten sich – wenn man Wikipedia glauben darf – Forscher mit dem schlauen Vierbeiner und seiner Fähigkeit, Wörter zu erlernen, auseinander. Schon seit 2008 sortiert Rico sein Spielzeug im Hundehimmel. Für mich wird er immer die Nummer eins unter allen Wettkönigen bleiben.

MARCO PUSCHNER


Enttäuschung in Wurstform

Kälte, Hunger und wütende Würstchenstrickerinnen – das sind meine "Wetten, dass..?"-Erinnerungen, die die meiner Kindheit überlagern. Damals saß man aufgeregt im Schlafanzug am Samstagabend vor dem Fernseher, durfte lange aufbleiben, um über Wetten zu staunen und Stars zu bewundern. Dann wurde man erwachsen, ging feiern, der Zauber verblasste. Als "Wetten, dass..?" im Oktober 2008 nach Nürnberg kam, und ich als Berichterstatterin dorthin durfte, war das aber dennoch aufregend, wir probierten das Sofa aus, die Showtreppe. Als die Sendung live übertragen wurde, verflog die Faszination etwas. Gottschalk überzog 54 Minuten, der Abend wurde lang und länger, der Magen knurrte und es stellte sich heraus, dass es Gründe gibt, warum Menschen in Messehallen ständig hin- und herlaufen, um warm zu bleiben.

Dann endlich Schluss. Gerade, als wir die Halle verlassen wollten, rannte uns am Ausgang eine Horde aufgebrachte Frauen und Kinder um und streckte uns Würstchen entgegen, mit denen sie gestrickt hatten. Wir sollen sie Herrn Gottschalk geben! Dieser hatte gewettet, dass es in Nürnberg keine zehn Menschen gibt, die mit Würstchen stricken können.

Doch es gibt sie. Rund 300 stehen alsbald am Schönen Brunnen und stricken. Doch erstmals gibt es keine der üblichen Live-Schalten zur Stadtwette. Rund 25 Strickerinnen werden per Bus ins Studio gefahren, das war’s. Der Rest steht ratlos auf dem Hauptmarkt – und ist stinksauer. Rund 80 von ihnen fahren auf eigene Faust zur Messehalle, um gegen diese Respektlosigkeit zu demonstrieren.

Die Folge: Auch unsere Arbeit ist noch nicht zu Ende, wieder Block und Stift raus, die Geschichte muss schließlich im wahrsten Sinne verwurstet werden. Während wir uns nur schwer zusammenreißen können, nicht in eine der Würste reinzubeißen, rufen die Strickerinnen hingegen einen persönlichen "Wetten, dass..?"-Boykott aus. Ob sie ihn durchgezogen haben, wissen wir nicht. Aber vielleicht hat Gottschalk sie nicht vergessen und schickt heute Abend eine kleine Entschuldigung raus.

CLAUDIA URBASEK

Dreimal Lockenkopf: 2008 steckte Showmaster Thomas Gottschalk beim Rundgang hinter die Kulissen von „Wetten, dass..?“ den Kopf zwischen die Redakteurinnen Claudia Urbasek (li.) und Anette Röckl und amüsierte sich über die Frisurenähnlichkeit.  

Dreimal Lockenkopf: 2008 steckte Showmaster Thomas Gottschalk beim Rundgang hinter die Kulissen von „Wetten, dass..?“ den Kopf zwischen die Redakteurinnen Claudia Urbasek (li.) und Anette Röckl und amüsierte sich über die Frisurenähnlichkeit.   © Roland Fengler


Freundschaft gefährdet

Wenn ich an "Wetten, dass..?" denke, fühle ich mich ein bisschen schlecht und das seit mehr als 30 Jahren. Daran bin ich selbst schuld, die Sendung kann nichts dafür. Auch wenn sie mir, ganz ehrlich, auf die Nerven geht. Aber das ist ein anderes Thema. Während meines Studiums habe ich für einen Hofer Radiosender gearbeitet. Das war Anfang der 90er Jahre, und als Thomas Gottschalk mit der Show in die Freiheitshalle kam, war das für die kleine Stadt ein Riesending.

Elf Jahre später. Wieder ein Selfie mit unserer Redakteurin Anette Röckl – und immer noch das gleiche T-Shirt.  

Elf Jahre später. Wieder ein Selfie mit unserer Redakteurin Anette Röckl – und immer noch das gleiche T-Shirt.   © Foto: Anette Röckl

Ich hatte kurz vor knapp zwei Tickets bekommen und musste schnell entscheiden, wen ich mitnehme. Ich stand in unserer Stammkneipe und fragte die Freundin neben mir, ob sie mitkommen möchte. Sie mochte. Der Abend war ein Erlebnis, interessant, ernüchternd zugleich. Eine Show jenseits des Bildschirms zu erleben, sorgt für Entzauberung. Aber richtig bitter wurde es für mich erst danach. Denn die Dritte in unserem damals verschworenen Mädelsbund war zutiefst gekränkt, dass wir sie nicht mitgenommen haben, dass sie erst danach von unserem Ausflug erfuhr. Ihren vorwurfsvollen Blick vergesse ich nie.

Und noch heute frage ich mich manchmal, wie ich es hätte anders machen können. Selbst verzichten und den beiden Mädels die Karten überlassen? Vielleicht. Aber schlussendlich hat es unserer Freundschaft nicht geschadet. Sie ist bis heute eng und herzlich, ein Fels in der Brandung. Die Freundin, die mit mir in der Show war, hat sich derweil längst aus meinem Leben verabschiedet.

GABI EISENACK


Drei Lockenköpfe

Thomas Gottschalk war natürlich auch der Held meiner Kindheit. Vielleicht bin ich nur Gesellschaftsreporterin geworden, um Menschen wie ihn mal live zu treffen. Gefährlich, es kann auch eine Ernüchterung sein. In Gottschalks Fall aber nicht. Auch in echt war "Thommy" groß, blondgelockt, witzig und locker, stellte ich 2008 fest, als "Wetten, dass..?" in Nürnberg war und er mir und meiner Kollegin in der Messehalle über den Weg lief. Ein Foto mit uns? Na logo! Gut gelaunt steckte Gottschalk seinen Lockenkopf zwischen unsere ebenfalls blondgelockten Köpfe. "Frisurentechnisch könnt ihr ja übernehmen, wenn ich nicht kann", scherzte er. Jenseits der Kameras fand ich ihn eigentlich noch lustiger.


Elf Jahre später begegnete ich ihm wieder bei einem Termin in Nürnberg und brachte neben Text auch ein Selfie mit ihm mit. Stolz zeigte ich es der Kollegin von damals. Sie erkannte, dass Gottschalk tatsächlich das gleiche Beatles-T-Shirt trug wie auf unserem Dreier-Foto. Falls mir diesmal wieder ein Selfie mit ihm gelingt, bin ich ziemlich sicher, welchen Aufdruck sein Shirt haben wird. Top, die Wette gilt!

ANETTE RÖCKL