Anzahl dramatisch gesunken

Kulturgut soll gerettet werden: 600 Millionen für die Streuobstwiesen

18.10.2021, 14:58 Uhr
Rund 2000 Obst- und Nusssorten wachsen auf bayerischen Streuobstwiesen.

© Frank Rumpenhorst, NZ Rund 2000 Obst- und Nusssorten wachsen auf bayerischen Streuobstwiesen.

Es ist die Frage nach der Henne und dem Ei. Warum es erst einer angedrohten Klage bedurft habe, damit Bayern einen Weg suche, wie sich die Streuobstwiesen retten lassen, soll Ministerpräsident Markus Söder erklären. Der sagt, die Aussichten einer Klage ließen sich nicht beurteilen. Und dass es "einen Versöhnungsprozess" gebraucht habe zwischen Landwirten und Naturschützern.

Der ist gelungen. Allerdings zu einem gewaltigen Preis. Bund Naturschutz und der Landesbund für Vogelschutz hatten dem Freistaat mit einer Klage gedroht, sollte das Land die Streuobstwiesen nicht besser schützen. Seit dem Bienenvolksbegehren und dem bayerischen Artenschutzgesetz hatten viele Besitzer ihre Streuobstwiesen Flächen gerodet, die unter Biotopschutz gestellt werden sollten. Ihre Sorge war zu groß, dass sie die Flächen nie mehr anderweitig verwenden können.

Alt gegen neu

Es schien ein unauflösbarer Konflikt; doch jetzt ist der Durchbruch gelungen, allerdings für einen gewaltigen Preis. 600 Millionen Euro sollen bis 2035 in den Streuobstanbau fließen, Geld, das zur Hälfte der Freistaat aufbringen wird, zur anderen Hälfte der Bund sowie die Europäische Union. eine Million neuer Obstbäume will das Land damit finanzieren, teils auf neuen Streuobstwiesen, teils auf alten Arealen, weil immer mehr Besitzer die Bestände vergreisen lassen.

Das Geld ist das eine. Das andere ist der Ansatz, auf den sich die Vertreter aller relevanten Verbände geeinigt haben, von der Staatsregierung über die Natur- und Tierschützer, die Landwirte und Landespflegeverbände bis zum Verband der bayerischen Fruchtsaftindustrie. Der frühere CSU-Fraktionschef Alois Glück hat die Treffen moderiert; er nennt das Ergebnis "etwas ganz Besonderes", das es so noch nie gegeben habe.

Alle im Boot

Denn der Pakt erfasst die ganze Kette, vom Baumzüchter bis zum Obstvermarkter. Er schließt die Landwirte mit ein, die 400 Keltereien vor Ort, die Schulen, an denen für das Streuobst geworben werden soll. Selbst die 4500 Schnapsbrenner sind mit im Boot. Schulen, Vereine, Verbände können sich melden, wenn sie sich am Programm beteiligen wollen.

Demonstrativ pflanzen die Unterzeichner eine fränkische Süßkirsche neben die Staatskanzlei. Bis zu einer Streuobstwiese ist es allerdings noch ein weiter Weg. 

Demonstrativ pflanzen die Unterzeichner eine fränkische Süßkirsche neben die Staatskanzlei. Bis zu einer Streuobstwiese ist es allerdings noch ein weiter Weg.  © Peter Kneffel, dpa

Richard Mergner vom Bund Naturschutz ist zufrieden. Die Streuobstwiesen seien "Paradiese aus Menschenhand und Lebensraum für eine Vielzahl von Tieren, die wir sonst kaum noch in unserer ausgeräumten Kulturlandschaft finden". Weil der Anbau arbeitsintensiv sei, sei das Förderprogramm der richtige Weg. "Mich erschreckt, dass 40 Prozent des in Deutschland verarbeiteten Apfelsaftkonzentrats aus China kommt", sagt Mergner.

Rodungsprämien

In den 1960er Jahren zählte Bayern noch rund 20 Millionen Bäume auf den Streuobstwiesen; heute sind es nur noch zwischen fünf und sechs Millionen. Der Staat hatte Rodungsprämien ausgelobt und mit der Flurbereinigung zahllose Streuobstwiesen preis gegeben. Geschützt sind sie auch weiter erst ab einer Stammhöhe von 1,80 Metern, so wie das bisher schon vorgesehen war. Doch mit dem Programm hofft die Politik auf die Zustimmung der Landwirte.

Viele, sagt Ministerpräsident Söder, seien jetzt tatsächlich mit im Boot, wenn auch noch nicht alle. Doch für Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber, wie Söder von der CSU, ist das schon ein Erfolg. Endlich habe "die Stigmatisierung der Landwirtschaft ein Ende", sagt sie. Und es gelinge nun, "regionale Strukturen wieder zu beleben". Umweltminister Thorsten Glauber von den Freien Wählern, in dessen Forchheimer Heimat etliche der schützenswerten Wiesen liegen, spricht gar "von einem der schönste Tage als Umweltminister". Was für die Australier die Korallenriffe seien, "das sind für uns unsere Streuobstwiesen".

Grünes Lob

Selbst die Grünen im Landtag räumen "offen ein, dass der Pakt sehr fortschrittlich ist", wie Fraktionschef Ludwig Hartmann sagt. Ihm fehlt allerdings ein Ansatz, wie bestehende Streuobstwiesen erfasst und geschützt werden können. Es zeige sich wieder einmal, sagt er, "wie wichtig es ist, die Staatsregierung unter Druck zu setzen, damit etwas erreicht wird."

https://www.nordbayern.de/region/bad-windsheim/streuobstwiesen-wissen-deshalb-sind-schafe-wichtig-1.10297461

Und Söder? Pflanzt gleich neben der Staatskanzlei fotogen und symbolträchtig eine fränkische Süßkirsche zwischen lauter Kastanien. Es könnte der Anfang der ersten Münchner Streuobstwiese sein. Einen Apfelbaum wollte Söder übrigens nicht, Der hätte ihn zu sehr an Hubert Aiwanger erinnert, den "Mister Opfeschorle".