Medizin und Gesundheit

Was der Placebo-Effekt ist - und warum er sogar bei Haustieren wirkt

Isabel Pogner

Online-Redaktion

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12.2.2023, 17:50 Uhr
Auch Hunde können sich nach Placebo-Behandlungen besser fühlen. 

© Ilike / shutterstock.com Auch Hunde können sich nach Placebo-Behandlungen besser fühlen. 

Placebos sind Stoffe, die die Beschwerden der Patienten lindern. Naja, zumindest bei jedem dritten. Allerdings nicht, weil sie einen Wirkstoff enthalten, erklärt das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Warum die falschen Medikamente trotzdem wirken können, hat verschiedene Gründe.

Beispielsweise kann sich der Gesundheitszustand des Patienten verbessern, weil der die Erwartung hat, dass die Behandlung wirkt, erklärt die Bundesärztekammer. Denn die hoffnungsvollen Gedanken setzen Endorphine im Gehirn frei. Die funktionieren wie natürliche Schmerzmittel, also wie eine körpereigene Variante von Morphium. Das Gehirn behandelt die Schmerzen also selbst.

Placebos funktionieren aber auch unbewusst - nämlich, wenn der Organismus gelernt hat, dass Medikamente eine bestimme Wirkung entfalten. Das nennt sich dann Konditionierung. Wer beispielsweise regelmäßig Aspirin gegen Kopfweh schluckt, dem hilft vielleicht auch eine Brausetablette ohne Wirkstoff. Einfach deswegen, weil das Gehirn gelernt hat, dass der Geschmack und das sprudelnde Wasser schmerzlindernd wirken.

Placebos wirken auch, wenn der Patient davon weiß

Das Verrückte: Der Placebo-Effekt kann auch dann wirken, wenn der Betroffene weiß, dass es sich um Placebos handelt. Das Universitätsklinikum Freiburg hat dazu 2021 eine Metaanalyse im Fachmagazin Scientific Reports veröffentlicht. Den Studienteilnehmern wurde gesagt, dass sie Placebos erhalten, außerdem haben die Forscher die Probanden darüber aufgeklärt, wie Placebos wirken. Trotzdem haben die falschen Medikamente bei manchen Patienten Symptome wie von Rückenschmerzen, Reizdarmsyndrom, Depression, Fatigue und ADHS bis hin zu Heuschnupfen und Hitzewallungen gelindert.

Wie das genau funktioniert, ist noch nicht ausreichend erforscht. Aber auch hier könnte die Konditionierung eine Rolle spielen: Der Organismus verknüpft die Einnahme einer Tablette mit einer positiven Wirkung und reagiert darauf. Das läuft automatisch ab, jenseits unserer bewussten Erwartungen.

Nocebo - krank sein ohne Grund

Der Nocebo-Effekt ist quasi das Negativ des Placebo-Effekts, erklärt das Umweltbundesamt. Bedeutet: Wenn Menschen davon ausgehen, dass ihnen etwas schadet, können sie Symptome entwickeln, die ihre Befürchtungen bestätigen. Und das nicht nur in Bezug auf Medikamente, sondern etwa auch bei den vermeintlich negativen Auswirkungen des Infraschalls, den Windräder auslösen oder bei dem vermeidlich schädlichen elektromagnetischen Feld, das Handys erzeugen.

Für den Nocebo-Effekt gibt es laut Umweltbundesamt die gleichen Erklärungsansätze wie beim Placebo: Die unbewusste Konditionierung und die bewusste Erwartungshaltung. Was sich auf neurobiologischer Ebene dabei genau im Körper abspielt, ist noch nicht abschließend erforscht. Belege für den Nocebo selbst gibt es aber einige. Zum Beispiel ist erwiesen, dass Menschen, die den Beipackzettel eines Medikaments lesen, eher Nebenwirkungen entwickeln als Menschen, die den Zettel nicht gelesen haben.

Eine Untersuchung aus dem Jahr 2021 legt nahe, dass viele der Impfreaktionen nach der Corona-Spritze auf den Nocebo-Effekt zurückgehen könnten. Die Forscher der Harvard Medical School und der Philipps-Universität in Marburg erklären im Fachmagazin „Jama Network Open“: In verschiedenen Studien mit insgesamt rund 45.380 Teilnehmern hat die Hälfte einen Placebo-Impfstoff erhalten. Trotzdem haben rund ein Drittel der Patienten über Kopfschmerzen und Müdigkeit geklagt. Bei den Gruppen mit dem echten Präparat waren es 46 Prozent nach der ersten und 61 Prozent nach der zweiten Dosis. Daher gehen die Forscher davon aus, dass insgesamt rund drei Viertel (76 Prozent) aller nach der ersten Impfung gemeldeten systemischen Impfreaktionen auf den Nocebo-Effekt zurückzuführen sind. Bei der zweiten Impfung waren es noch rund die Hälfte (52 Prozent).

Die vielen Scheinreaktionen erklären sich die Forscher so: Über die Corona-Impfung wurde vorab sehr viel debattiert. Vor der Spritze hatten viele Menschen deutlich mehr Angst als vor andere Impfungen. Aber auch die vermehrte Aufklärung über den Impfstoff kann zum Nocebo geführt haben, glaubt Ted J. Kaptchuk, einer der Studienautoren: "Symptome wie Kopfschmerzen und Fieber, die besonders häufig Nocebo-Effekte sind, werden in Informationsbroschüren besonders häufig als mögliche Folgen einer Corona-Impfung gelistet."

Placebo kann auch bei Tieren wirken

Homöopathie-Anhänger führen gerne als Argument für die Wirkkraft ihrer Kügelchen auf, dass die positive Wirkung auch bei Tieren spürbar sei. Ob Tiere verstehen, was Medizin ist und dass Tabletten und Spritzen helfen sollen, damit es ihnen besser geht, ist noch nicht untersucht, erklärt das WDR-Wissensformat Quarks. Davon hängt ab, ob der Placebo-Mechanismus, der über die Erwartungshaltung funktioniert, bei Tieren überhaupt funktionieren kann.

Der Placebo-Mechanismus "Konditionierung ist bei Haustieren hingegen recht gut untersucht. Bekommt ein Hund zum Beispiel immer wieder eine Spritze mit einem Medikament, das ihm die Schmerzen nimmt, kann auch eine Spritze mit Kochsalzlösung dazu führen, dass das Tier sich besser fühlt. Den Nocebo-Effekt gibt's bei Tieren übrigens auch. In einem Versuch, berichtet Quarks, erhielten Hunde über mehrere Tage hinweg Morphin-Spritzen. Die sorgten dafür, dass sich die Tiere übergeben mussten. Irgendwann bekamen die Hunde dann Spritzen mit Kochsalzlösung - und mussten trotzdem erbrechen.

Dass Homöopathie vermeintlich auch bei Tieren wirkt, lässt sich über eine andere Form des tierischen Placebos erklären, berichtet Quarks. Haustiere, besonders Hunde, sind sehr gut darin, die Gemütszustände ihrer Besitzer zu erkennen. Sie nehmen wahr, ob das Herrchen bei einer Therapie traurig und hoffnungslos oder glücklich und zuversichtlich ist. Gut möglich also, dass sich der Pacebo-Effekt über das Herrchen auf das Tier überträgt. Also über motivierendes Verhalten oder besonders intensive Fürsorge. Denn gerade Berührungen scheinen sich positiv auf die Tiergesundheit auszuwirken. Nicht nur bei Hunden, sondern auch bei Kaninchen, Kühen oder Pferden - beispielsweise sinkt die Herzfrequenz.

Und dann gibt es noch den "Caregiver-Placebo-Effekt", auch bekannt als "Placebo by Proxy". Trifft der ein, denkt der Besitzer, dass es dem Tier besser geht, erklärt Paul Enck, Professor für Medizinische Psychologie im Interview mit dem Spiegel. Nach objektiv messbaren Kriterien leidet das Tier aber genauso stark, wie vorher. Das birgt die Gefahr, dass Tierbesitzer oder auch Tierärzte das Leid des Tieres nicht ernst genug nehmen.