Mit 292 PS und Heckantrieb

Fahrbericht Mercedes EQE 350+

Ulla Ellmer

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23.12.2022, 14:02 Uhr
Mercedes EQE 350+: Technisch gibt es keine Gemeinsamkeiten mit der E-Klasse, die speziell für E-Fahrzeuge entwickelte EVA-II-Plattform ist eine ganz andere.

© Mercedes-Benz AG Mercedes EQE 350+: Technisch gibt es keine Gemeinsamkeiten mit der E-Klasse, die speziell für E-Fahrzeuge entwickelte EVA-II-Plattform ist eine ganz andere.

Wie er aussieht: Sehr elegant, von fließender Linienführung, mit bündig versenkten Türgriffen und einem prominent im geschlossenen „Kühlergrill“ platzierten Mercedes-Stern. Das Gesamtpaket haben Aerodynamiker und Designer auf einen cW-Wert von 0,22 zurechtgeschliffen.

Formal verkörpert der 4,95 Meter lange EQE eine Limousine, anders als es die coupéhafte Silhouette vermuten lassen könnte, öffnet die Kofferraumklappe nicht mitsamt der Scheibe, sondern klassisch separat. Auch das markiert einen Unterschied zum großen Bruder, dem 27 Zentimeter längeren EQS. Der EQE soll in der anbrechenden elektrischen Ära jene Rolle ausfüllen, die als Verbrenner noch die E-Klasse innehat, die eines Business-Class-Akteurs der gehobenen Mittelklasse also. Auf einen Kombi (T-Modell) muss der Kunde allerdings verzichten, dafür bietet Mercedes ein EQE SUV an.

Wie er eingerichtet ist: Das Interieur unseres Testwagens empfängt uns licht und sehr hell, das sieht ungemein edel aus und passt perfekt zur Außenfarbe, könnte aber unter Einwirkung kleckernder Kinderhände oder feuchter Hundepfoten mit der Zeit an Reiz verlieren. Die Freundin auf dem Beifahrersitz ist nach einer halben Stunde mit verkrampften Oberschenkeln ausgestiegen, weil sie es nicht gewagt hat, das Schuhwerk in Kontakt zur Velours-Auslegeware zu bringen.

Edel auch ohne Hyperscreen: Verarbeitung und Materialauswahl entsprechen der hohen Mercedes-Qualität.

Edel auch ohne Hyperscreen: Verarbeitung und Materialauswahl entsprechen der hohen Mercedes-Qualität. © Hersteller

Den spektakulären und über 8500 Euro teuren Hyperscreen, eine aus drei Bildschirmen bestehende Digitallandschaft, die sich praktisch über die gesamte Breite des Armaturenträgers zieht, gibt es für die Modellvariante 350+ nicht. Hier bleibt es bei der Standard-Disposition, die aber, wie wir finden, auch schon reichlich Eindruck schindet und sich aus einem digitalen Fahrerdisplay im Tablet-Stil sowie einem hochkant installierten Zentralmonitor mit gestochen scharfer Auflösung zusammensetzt. Die auf verschiedene Kacheln verteilte Informationsfülle ist detailreich und hoch, das verdient Lob, doch für das autodidaktische Einarbeiten in die an sich logisch aufgebauten Menüs, Untermenüs und Unteruntermenüs sollte man Zeit mitbringen. Gehadert haben wir mit der Vielzahl der teils fummeligen (Touch-)flächen am Multifunktionslenkrad, die einen ebenso sensiblen wie zielgenauen Daumen erfordern. Und ein paar klassische Knöpfe für Standardfunktionen wie Klima und Lautstärke könnten das Leben an Bord eindeutig einfacher gestalten.

Immerhin: Als wir uns ergeben in die Digitalisierung gefügt und im Menü nach der elektrischen Sitzverstellung gesucht haben, fanden wir selbige an der Innenseite der Tür, ganz wie von einem Mercedes gewohnt. Und auch die Fahrstufen werden über den typischen Lenkstockhebel eingelegt. Glückhafte Momente!

Nicht vergessen wollen wir zudem, uns bei der ebenso verständigen wie kompetenten Sprachassistentin mit einer Eins im Zeugnis zu bedanken, sie ist uns eine große Hilfe gewesen.

So reist es sich im Fond: Viel Platz für die Beine, aber etwas eingeschränkte Kopffreiheit.

So reist es sich im Fond: Viel Platz für die Beine, aber etwas eingeschränkte Kopffreiheit. © Hersteller

Wie viel Platz er hat: Angenehmerweise sitzt man leicht erhöht, die Sitze bieten maximale Bequemlichkeit und auf Wunsch diverse Massageprogramme, zumindest vorne herrscht platztechnisch das pure Wohlfühlklima. Auch die Rücksitzpassagiere finden relaxten Beinraum vor, müssen aber – sofern sie zu den größeren Zeitgenossen zählen – mit einer eher subopulenten Kopffreiheit klarkommen. Keine Meriten erntet auch das überschaubar dimensionierte 430-l-Gepäckabteil, zumal die Ladeöffnung verhältnismäßig schmal ausfällt. Die Ladekabel sind aber unterm doppelten Ladeboden gut aufgeräumt. Und die Rücksitzlehne lässt sich dreifach geteilt umklappen, was praktische Durchlademöglichkeiten eröffnet. Ein zusätzliches Staufach unter der Fronthaube (Frunk) gibt es nicht, denn dort haust ein voluminöser Hepa-Filter, der unerwünschte Störenfriede wie Pollen und Feinstaub aussortiert.

Nicht jeder Stromer kann einen Hänger auf den Haken nehmen, der EQE schon, allerdings ist mit der Anhängelast von 750 Kilogramm nicht viel Staat zu machen.

Was ihn antreibt: Ein 215 kW/292 PS starker Elektromotor, der ein Drehmoment von 565 Newtonmetern entwickelt und dessen Kräfte auf die Hinterachse wirken. Innerhalb der EQE-Hierarchie besetzt der EQE 350 die zweite von insgesamt fünf Ausbaustufen. Darunter angesiedelt ist das Basismodell EQE 300 mit 180 kW/245 PS, darüber geht es immer mit Allrad weiter und hinauf bis zu einer AMG-Leistung von 460 kW/625 PS. Gegen gut 3000 Euro Aufpreis gibt es die 4Matic auch für den 350er.

Als Energiespeicher dient ein Lithium-Ionen-Akku mit 89 kWh nutzbarer Kapazität.

Coupéhaft zugeschnitten: EQE-Heck mit schrägem Rücken.

Coupéhaft zugeschnitten: EQE-Heck mit schrägem Rücken. © Hersteller

Wie er sich fährt: So elegant wie er aussieht, und ganz wie ein Mercedes. Wunderbar leise zunächst, die exzellente Geräuschdämmung verbannt auch Abrollgeräusche in die Außenwelt, den synthetischen Motorsound haben wir in unserem Ruheraum lieber zum Schweigen gebracht. Wozu man zusätzliche Leistung bestellen sollte, erschließt sich uns nicht, das Gebotene reicht mehr als aus. Das adaptive Dämpfungssystem und die Luftfederung (Airmatic, 1750 Euro) neutralisieren Tücken im Straßenbelag sanft und souverän, gleichzeitig bleibt der EQE selbst beim ambitionierten Serpentinen-Slalom kontrolliert und sicher, die Hinterachslenkung (1300 Euro) hilft beim Einlenken mit und sorgt auch in der Stadt und beim Einparken für erstaunliche Handlichkeit, ihr Lenkwinkel beträgt maximal zehn Grad, der Wendekreis verringert sich so von 12,5 auf bis zu 10,7 Meter, das ist VW-Polo-Niveau.

Auch die Fahrassistenten erledigen ihren Job mit großer Hingabe und Versiertheit, vom Digital Light, dessen Fernlicht andere Verkehrsteilnehmer zuverlässig abblendet und das in Baustellen Führungslinien auf die Fahrbahn projizieren kann bis hin zum Abstandsassistenten, der um bevorstehende Tempolimits weiß und die Geschwindigkeit vorausschauend anpasst. Noch nicht erlebt haben wir bis dato, dass uns ein Auto den Warnhinweis „Achtung, Fahrbahnschwelle“ vermittelt. Und dann ist da noch die intelligente Rekuperation, umgesetzt vom sogenannten Eco-Assistenten: Er erkennt vorausfahrende Fahrzeuge und verzögert dann mithilfe der Motorbremse, das funktioniert gegebenenfalls bis zum Stillstand. Auch vor Kurven oder Kreuzungen wird das System aktiv, die benötigten Daten bezieht es vom Navi. Ansonsten kann mithilfe der Lenkradwippen auch manuell und dreistufig rekuperiert werden, die Segelfunktion lässt sich ebenfalls auf diese Weise anwählen.

Weil auch das unter die Rubrik „Fahren“ fällt: Die schmale Heckscheibe eröffnet nur sehr begrenzte Ausblicke, ohne die (serienmäßige) Rückfahrkamera würden Rangiermanöver ziemlich spekulativ bleiben.

Der EQE sortiert sich unterhalb des größeren Mercedes EQS ein.

Der EQE sortiert sich unterhalb des größeren Mercedes EQS ein. © Hersteller

Wie weit er kommt: Die WLTP-Norm beziffert die elektrische Reichweite auf 556 bis 645 Kilometer. Das ist schon etwas vermessen. Um die 450 Kilometer sind nach unserer Erfahrung aber gut möglich, immer abhängig natürlich vom Fahrstil, der Geschwindigkeit und nicht zuletzt von äußeren Bedingungen wie der Temperatur.

Was er verbraucht: Bei mildem Spätherbst-Wetter und freundlichen Temperaturen um die 15 Grad haben wir im Schnitt 21,6 kWh/100 km bilanziert, Ladeverluste eingerechnet. Das ist für ein Auto dieser Leistung und Größenordnung ein ordentlicher Wert. Eine Langstreckenfahrt bei Autobahn-Richtgeschwindigkeit 130 kostete uns 24,4 kWh, die sehr achtsam zurückgelegte Sparrunde 18,1 kWh.

Wie er lädt: Wechselstrom aus der Wallbox zapft der EQE serienmäßig mit 11 kW, sollen es 22 kW sein, muss ein Aufpreis von knapp 1200 Euro bezahlt werden. Weiter an die Gleichstrom-Schnellladestation: Ein 800-Volt-Ladesystem, wie es beispielsweise der Kia EV6, der Hyundai Ioniq 5 oder die Edel-Stromer Porsche Taycan und Audi e-tron GT bieten, hat Mercedes seiner elektrischen Business-Class nicht mitgegeben. Es bleibt bei 400 Volt und 170 kW. In der Praxis konnten wir maximal 150 kW abrufen, sobald 80 Prozent Füllstand erreicht waren, sank die Ladeleistung wie üblich deutlich ab.

Was das Stromfassen betrifft, macht der EQE zwei Dinge bemerkenswert gut. Punkt eins: An Ionity- und Aral-Ladesäulen beherrscht er „Plug & Charge“. Das bedeutet, dass er sich automatisch anmeldet, eine Ladekarte oder einen QR-Code braucht es dann nicht. Punkt zwei: Das Navi ist nahezu perfekt auf die Bedürfnisse des E-Mobilisten eingestellt. Die Routenführung kalkuliert sinnvolle Ladestopps mit ein, gleichzeitig wird die Batterie vorkonditioniert. Mithilfe einer ideal platzierten Suchfunktion poppt auf dem Touchscreen eine Liste der Ladestationen in der Umgebung oder entlang der Route auf, zu entnehmen ist, wie viele Ladepunkte frei sind und welche Ladeleistung sie besitzen, letztere lässt sich auch filtern. Die Navi-Karte zeigt zudem ganz grundsätzlich die Strom-Tankstellen auf, wiederum inklusive Leistung. Selten sind wir ladetechnisch so komfortabel unterwegs gewesen.

Laden leicht gemacht: An der Ionity-Säule meldet sich der EQE via Plug & Charge an.

Laden leicht gemacht: An der Ionity-Säule meldet sich der EQE via Plug & Charge an. © Hersteller

Was er bietet: Serienmäßig unter anderem 19-Zoll-Leichtetallräder, LED-Scheinwerfer, 10,25-Zoll-Fahrerdisplay plus großes 11,9-Zoll-Zentraldisplay inklusive Navi, außerdem Rückfahrkamera, Sitzheizung vorn sowie Zweizonen-Klimaautomatik.

Was er kostet: Mindestens 70.210 Euro muss der Kunde investieren, die ab 2023 gültige Umweltprämie in Höhe von 4500 Euro netto (4785 Euro brutto) fällt da unter die Kategorie der sprichwörtlichen Peanuts. Unser Testwagen mit zahlreichen Extras kam auf den enormen Preis von sage und schreibe 105.130 Euro.

Was wir meinen: Elektrisches Fahren in Perfektion, feiner Luxus, hochintelligentes Navi, erstklassiges Lademanagement – es gibt eine ganze Menge, wofür man den Mercedes EQE 350+ preisen kann und muss. Ein paar Minuspunkte hinsichtlich Bedienbarkeit, Platzangebot oder Übersichtlichkeit müssen aber auch Erwähnung finden, und nicht zuletzt der sündhaft hohe Preis.


Die Daten des Mercedes EQE 350+

Antrieb: Elektromotor, Eingang-Automatik, Hinterradantrieb

Leistung: 215 kW/292 PS

Drehmoment: 565 Nm

Batterietyp: Lithium-Ionen

Batteriekapazität: 89 kWh netto

Ladeanschluss: AC 3-phasig bis 11 kW, optional bis 22 kW und CCS bis 170 kW

Höchstgeschwindigkeit: 210 km/h (abgeregelt)

Beschleunigung 0 auf 100 km/h: 6,4 sec

Reichweite WLTP: 567 - 654 km

Normverbrauch WLTP: 18,7 – 15,9 kWh/100 km

Testverbrauch: 21,6 kWh/100 km

CO2-Emission: 0 g/km

Energie-Effizienzklasse: A+

Länge: 4,95 m

Breite: 1,96 m ohne, 2,10 m mit Außenspiegeln

Höhe: 1,51 m

Gepäckraum: 430 l

Leergewicht: 2355 kg

Zulässiges Gesamtgewicht: 2880 kg

Zuladung: 525 kg

Anhängelast: 750 kg gebremst/ungebremst

Versicherungs-Typklassen: 21 (HP), 29 (TK), 28 (VK)

Preis: Ab 70.210 Euro

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