Crossover mit Elektroantrieb

Im Fahrbericht: Kia Niro EV

Ulla Ellmer

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3.2.2023, 14:45 Uhr
Der Kia Niro EV wird von einem 204 PS starken Elektromotor angetrieben.

© Hersteller Der Kia Niro EV wird von einem 204 PS starken Elektromotor angetrieben.

Wie er aussieht: Formal verkörpert der Kia Niro einen Crossover-Mix, wie er derzeit populär ist, die Zutaten kommen vom SUV, vom Minivan und vom Kombi. Mit einer kompakten Länge von 4,42 Metern sortiert sich der Südkoreaner zwischen VW ID.3 und ID.4 ein, um die aus deutscher Sicht wohl bekanntesten Mitbewerber zu nennen. Die Unauffälligkeit seines Vorgängers, der noch e-Niro hieß, hat das aktuelle Modell zugunsten einer selbstbewusst-kantigen Optik aufgegeben, die Front bleibt elektroautotypisch geschlossen, die Seitenansicht zeigt auf Wunsch kontrastierend eingefärbte C-Säulen, die uns nicht wirklich gefallen haben. Optisch betont hat Kia sie wahrscheinlich deshalb, weil sie – als besondere Aero-C-Säulen – Luftkanäle beherbergen, welche die Strömung optimieren und somit die Aerodynamik auf einen cW-Wert von 0,29 verbessern.

Wie er eingerichtet ist: Das moderne, „cleane“ Kia-Cockpit mit seinen beiden großen Displays ist immer wieder eine Augenweide und tröstet im Falle des Niro auch über das schnöde Hartplastik an der einen oder anderen Stelle hinweg. Positiv zu vermerken ist neben der über jeden Zweifel erhabenen Verarbeitungsqualität der Umstand, dass die umfassende Digitalisierung bedienungsfreundliche Direkttaster nicht vertrieben hat. Um es dem Fahrer beziehungsweise der Fahrerin leicht zu machen, hat Kia die doppelt belegte Multi-Mode-Leiste ersonnen, die auf Tastendruck zwischen zwei Ebenen wechselt, die eine widmet sich den Klimatisierungsfunktionen, die andere dem Infotainment. Mit dem Switch ändert sich auch die Aufgabe des runden Drehknopfs von Temperatur- zu Lautstärkeregelung. Gegen Aufpreis gibt es ein Head-up-Display, ebenso wie den Premium-Relaxion-Sitz, der sich im Stand in Liegeposition bringen lässt, was ein entspanntes Schläfchen während der Ladepause begünstigt, allerdings nur auf der Beifahrerseite.

Cockpit: Dem Ansteuern der Fahrstufen dient ein runder Drehregler.

Cockpit: Dem Ansteuern der Fahrstufen dient ein runder Drehregler. © Hersteller

Gerne wird der Tierfreund hören, dass die Inneneinrichtung komplett vegan ist; im Dachhimmel wurden aufbereitete Papierfasern verarbeitet, und in den Kunstledersitzbezügen steckt Bio-Polyurethan aus Eukalyptusblättern.

Wie viel Platz er hat: Raumtechnisch gibt sich der Niro EV als Familienfreund mit Qualifikation für die Urlaubsreise. Sieht man einmal vom obligatorisch knapp geschnittenen hinteren Mittelplatz ab, steht für alle Passagiere ein komfortables Maß an Bewegungsfreiheit bereit, auch über dem Scheitel wird es nicht eng. Der Kofferraum packt 475 Liter weg und lässt sich durch Umklappen der im Verhältnis 60:40 geteilten Rücksitzlehne bis auf 1392 Liter erweitern, und zur Aufbewahrung der Ladekabel bietet sich ein 20-Liter-„Frunk“ unter der Fronthaube an. Die sensorgesteuerte elektrische Heckklappe zählt zum serienmäßigen Lieferumfang, die faltbare Kofferraumabdeckung findet alternativ eine Bestimmung als Sonnenschutz.

Schleppen darf der Niro 750 Kilogramm, das ist nicht berühmt, doch viele Kunden dürften die Anhängerkupplung ohnehin eher zum Aufsetzen eines Fahrradträgers nutzen.

Der Niro EV kann fünfstufig rekuperieren.

Der Niro EV kann fünfstufig rekuperieren. © Hersteller

Was ihn antreibt: Ein 150 kW/204 PS starker Elektromotor mit 255 Newtonmetern Drehmoment, der vorne verbaut ist und auf die Vorderräder wirkt. Eine Allrad-Alternative stellt Kia für den Niro EV nicht bereit. Die im Wagenboden verbaute Lithium-Ionen-Polymer-Batterie besitzt eine Nennkapazität von 64,8 kWh.

Wer sich noch nicht bereit fühlt für ein reines Elektroauto, bekommt den Niro auch als Hybrid oder Plug-in-Hybrid.

Wie er sich fährt: Den Sport lässt der Niro EV nicht hochleben, aber das wird auch niemand von ihm erwarten. Er tut das, was er in seiner Eigenschaft als elektrischer Crossover tun soll: Angenehm leise, sanft und betont komfortabel dahinstromern. Straßenschäden werden kaum weitergegeben, störende Poltergeräusche sind nicht wahrzunehmen, Stress hat keinen Zutritt an Bord. Nur beim zackigen Beschleunigen auf regennasser Fahrbahn verliert der Niro seine sonstige Gelassenheit und muss gegen Traktionsprobleme ankämpfen.

 Den Niro EV gibt es ausschließlich als gut ausgestattetes "Inspiration"-Modell.

 Den Niro EV gibt es ausschließlich als gut ausgestattetes "Inspiration"-Modell. © Hersteller

Die drei Fahrmodi heißen Eco, Normal und Sport, ergänzend hilft „Snow“ auf winterlichem Untergrund voran. Rekuperieren funktioniert fünfstufig, also von gar nicht bis maximal, das wäre dann der i-Pedal-Modus, der das Fahrzeug ohne Bemühen des Bremspedals zum Stehen bringt. Angewählt wird die Intensität bequem über Schaltpaddles am Lenkrad, an die Spielerei gewöhnt man sich schnell und gern.

Von der Startlinie beschleunigt der Niro EV in 7,8 Sekunden bis auf Tempo 100, die Höchstgeschwindigkeit beträgt 167 km/h.

Wie weit er kommt: 460 Kilometer, wenn man den Herstellerangaben glaubt. Wir fuhren den Niro bei Temperaturen um die zehn Grad, realistisch waren unter diesen Bedingungen etwa 360 Kilometer.

Was er verbraucht: Unser Minimalwert betrug 15,5 kWh/100 km, das Maximum – erreicht bei einer Autobahnfahrt mit Richtgeschwindigkeit 130 km/h – belief sich auf 23,1 kWh. Als Schnitt standen 19,2 kW/100 km im Fahrtenbuch. Daran gibt es angesichts der zum Testzeitpunkt vorherrschenden Witterung nichts auszusetzen.

Wie er lädt: Die Ladebuchse trägt der Niro vorn im Gesicht, das ist praktisch, weil sich die „Stromtanke“ direkt und ohne Rangiermanöver ansteuern lässt. Doch jetzt kommt das Aber, und es betrifft die Schnellladeleistung: Sie beschränkt sich auf wenig renommierfähige 80 kW, der VW ID.3 beispielsweise bringt es auf 120 kW. Selbst besagte 80 kW wollten bei uns nicht fließen, unser Testwagen holte sich maximal 54 kW aus der DC-Ladesäule. Somit ist in der Praxis auch jene Dreiviertelstunde hinfällig, die der Niro laut Herstellerangabe „unter optimalen Bedingungen“ braucht, um von 10 auf 80 Prozent Ladestand zu kommen. Es hat uns auch nicht viel gebracht, die Ladestation ins Navi einzuprogrammieren und so eine Vorkonditionierung der Batterie zu organisieren. Langstrecken können sich also ziehen, weil man verhältnismäßig viel Zeit an der Ladesäule verbringt.

Nasenlader: Der Niro EV trägt den Ladeanschluss an der Front.

Nasenlader: Der Niro EV trägt den Ladeanschluss an der Front. © Hersteller

Bei der Ladeplanung unterstützen verschiedene Filter, mit deren Hilfe sich der E-Mobilist beispielsweise Stationen entlang seiner Route, in der Nähe seiner Position oder nahe des Zielorts auflisten lassen kann, auch die Fokussierung auf Schnellladestationen (DC) beziehungsweise High-Power-Charger (HPC) ist möglich. Allerdings haben wir festgestellt, dass nicht alle Stationen angezeigt werden. Und es lässt sich nicht erkennen, welche Ladesäulen gerade belegt sind und welche verfügbar.

Strom kann der Niro EV übrigens nicht nur nehmen, sondern auch geben. Dies ist einer Funktion zu verdanken, die sich V2D (Vehicle to Device) nennt und bedeutet, dass mithilfe eines Adapters externe Verbraucher wie Laptops oder E-Bikes geladen werden können, konkret mit bis zu 3 kW.

Was er bietet: Über diversen Ausstattungslinien wird sich der Kunde nicht den Kopf zermartern, denn es gibt nur eine einzige namens „Inspiration“. Auszug aus der Liste der serienmäßigen Mitbringsel: 17-Zoll-Leichtmetallfelgen, Panoramadisplay, Navi, Rückfahrkamera, Zwei-Zonen-Klimaautomatik, Lenkradheizung, dazu Assistenzsysteme wie Fernlichtautomatik, Frontkollisionswarner mit Abbiegefunktion, adaptiver und navigationsbasierter Tempomat mit Stop&Go-Funktion, dazu Spurfolge- und Spurhalteassistent.

Da geht aber schon noch was. Wer eine Wärmepumpe will, zahlt einen Tausender extra, das DriveWise-Paket – unter anderem mit V2D-Funktion, Totwinkelassistent, Autobahnassistent samt Spurwechselunterstützung sowie Querverkehrswarner mit Notbremsfunktion kommt auf 1590 Euro, das Technologie-Paket mit Auspark-Kollisionsvermeidung, Head-up-Display und Remote-Parkassistent zum ferngesteuerten Ein- und Ausparken auf 1290 Euro.

Die Siebenjahres-Garantie schließt auch die Antriebsbatterie mit ein.

Was er kostet: Ab 47.590 Euro. Netto sind das exakt 39.991,60 und hält den Niro EV haarscharf im Rahmen des 40.000-Euro-Rahmens, der den maximalen Umweltbonus in Höhe von 6750 Euro (netto) sicherstellt.

Was wir meinen: Der Kia Niro EV ist gut gemachtes Elektroauto, dessen Alltagstauglichkeit nicht nur von dem großzügigen Platzangebot und der unproblematischen Bedienbarkeit herrührt, sondern sich auch in vernünftiger Reichweite sowie verhältnismäßig niedrigem Verbrauch manifestiert. Wünschenswert wäre aber eine bessere Schnellladeleistung.


Die Daten des Kia Niro EV

Antrieb: Elektromotor, Eingang-Reduktionsgetriebe, Frontantrieb

Leistung: 150 kW/204 PS

Max. Drehmoment: 255 Nm bei 0 – 6000 U/min

Batterietyp: Lithium-Ionen-Polymer

Batteriekapazität: 64,8 kWh

Ladeanschluss: Typ 2, 3-phasig, bis 11 kW und CCS, bis 80 kW

Höchstgeschwindigkeit: 167 km/h

Beschleunigung 0 auf 100 km/h: 7,8 sec

Reichweite WLTP: 460 km

Normverbrauch WLTP: 16,2 kWh/100 km

Testverbrauch: 19,2 kWh/100 km

CO2-Emission: 0 g/km

Energie-Effizienzklasse: A+++

Länge: 4,42 m

Breite: 1,83 m (ohne Außenspiegeln)

Höhe: 1,57 m (mit Dachreling)

Gepäckraum: 457 - 1392 l plus 20 l („Frunk“)

Leergewicht: 1757 – 1814 kg

Zulässiges Gesamtgewicht: 2200 kg

Zuladung: 443 kg

Anhängelast: 300 kg ungebremst, 750 kg gebremst

Versicherungs-Typklassen: 16 (HP), 21 (TK), 23 (VK)

Preis: Ab 47.590 Euro

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