Herbstliches Risiko

Wildunfall: Was zu tun ist – und wer zahlt

13.10.2022, 19:17 Uhr
Wildunfall: Was zu tun ist – und wer zahlt

© Benjamin Nolte, NNZ

Kommen Wildunfälle tatsächlich so oft vor?

Laut Statistik ja. „Rein rechnerisch stoßen täglich fast 800 Wildtiere mit kaskoversicherten Pkw zusammen“, sagt Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). 2021 ist die Zahl der beim GDV aktenkundig gewordenen Wildunfälle sogar gestiegen, im Vorjahresvergleich von rund 272.000 auf 284.000. Das dürfte darauf zurückzuführen sein, dass sich nach dem restriktiven Pandemie-Jahr 2020 die Fahrleistungen wieder erhöht haben. Entsprechend mussten die Autoversicherer auch mehr bezahlen. Im Durchschnitt hat ein Wildunfall über 3300 Euro (2020: 3100 Euro) gekostet. Den Grund für die Mehrausgabe sieht Asmussen aber auch in den „höheren Preisen für Karosserieteile“, die nach einem Crash ausgetauscht werden müssen.

Warum ist ein Wildunfall so gefährlich?

Hier hilft ein Ausflug in die Physik. Schon bei einem Aufprall mit der verhältnismäßig niedrigen Geschwindigkeit von 60 km/h entwickelt ein 20 Kilogramm schwerer Rehbock die Wucht von 800 Kilogramm, rechnet der Automobilclub von Deutschland (AvD) vor. Wenn diese Masse auf die Windschutzscheibe knallt, hat dem auch Verbundglas nicht mehr viel entgegenzusetzen. „Das Tier schießt mit Wucht in den Innenraum hinein und landet nicht selten auf der Rückbank oder im Kofferraum des Autos“, warnt der Club. Nicht nur für das Wild selbst, sondern auch für die Fahrzeuginsassen bedeutet das Lebensgefahr.

Wieso ist das Risiko jetzt besonders hoch?

Wildtiere sind in der Dämmerung besonders aktiv. Jetzt, im Herbst, setzt sie am Morgen wieder später und am Abend früher ein. Damit fällt sie in die Zeit des Berufsverkehrs, wenn besonders viele Autofahrer unterwegs sind, die obendrein schlechte Sichtverhältnisse vorfinden. Eine ähnliche Situation ergibt sich in den Frühlingsmonaten April und Mai.

Wo muss ich besonders aufpassen?

In Waldstücken und im Umfeld von Wiesen und Feldern. Aber nicht nur da. Weil es Wildtiere zunehmend in die Städte zieht, ist auch in der Nähe von Parks und Grünanlagen Vorsicht geboten.

Wie kann ich vorbeugen?

Zunächst, indem Schildern, die vor Wildwechsel warnen, Beachtung geschenkt wird. In den genannten Risikolagen sollten die Straßenränder gut im Auge behalten werden, außerdem gilt es, Geschwindigkeit und Fahrweise der Situation mitsamt der Sicht- und Witterungsverhältnisse anzupassen. Nicht nur eine Faustregel, sondern auch vom Sichtfahrgebot der Straßenverkehrsordnung StVO vorgeschrieben: Das Tempo ist so zu wählen, dass innerhalb der sichtbaren Strecke angehalten werden kann. Bei Dunkelheit ist das diejenige, die vom Lichtkegel der Scheinwerfer ausgeleuchtet wird.

Sofern der Gegenverkehr dadurch nicht geblendet wird, empfiehlt es sich, bei Nacht das Fernlicht einzuschalten.

Wie reagiere ich, wenn ein Tier auftaucht?

Sofort abblenden, bremsen und am besten hupen. Wenn möglich, sollte dies kontrolliert und ohne Panik geschehen. „Riskante Ausweichmanöver sind nicht ratsam“, sagt GDV-Chef Asmussen. Die Kollision mit einem anderen Auto oder einem Baum sei in aller Regel gefährlicher als die mit einem Wildtier. Wichtig: Mit dem Verschwinden des Tieres ist die Gefahr oft nicht gebannt. Gerade Rehe und Wildschweine sind zumeist im Rudel unterwegs, einem Tier könnten also weitere folgen.

Und wenn es doch zu einem Zusammenstoß gekommen ist?

Dann muss zunächst das getan werden, was bei jedem Unfall obligatorisch ist: Warnblinkanlage einschalten, Warnweste überstreifen, vorsichtig aussteigen und die Unfallstelle mit dem Warndreieck sichern. Dann die Polizei informieren (Telefonnummer 110) und, sofern Personen zu Schaden gekommen sind, den Rettungsdienst (112) rufen.

Getötete oder verletzte Tiere nicht anfassen, der Tollwutgefahr wegen, speziell verwundetes Wild könnte sich wehren. Flüchtet das Tier, sollte man sich merken, in welche Richtung es gelaufen ist, das kann dem Jagdpächter beziehungsweise Förster helfen, der im Übrigen grundsätzlich für die Bergung zuständig ist.

Fotos von der Unfallstelle und vom Fahrzeug, die auch Spuren wie Blut oder Haare dokumentieren, unterstützen die Versicherung bei der Schadenregulierung. Dazu braucht es im Übrigen auch eine Wildunfallbescheinigung, die wiederum von der Polizei, vom Jagdpächter oder Förster ausgestellt wird.

Darf ich einfach weiterfahren?

Auch wenn Tierfreunde das nicht gerne hören: Rein rechtlich gelten Tiere als Sachen und speziell Wildtiere – im Unterschied zu Haustieren – obendrein als herrenlos. Wer nach einem Zusammenstoß weiterfährt, begeht somit keine Unfallflucht. Allerdings kann man von eventuellen Zeugen wegen Tierquälerei angezeigt werden.

Kann ich das Tier mitnehmen?

Nein. Das würde den Tatbestand der Wilderei erfüllen und kann entsprechend bestraft werden.

Wer bezahlt den Schaden?

Für Schäden am eigenen Auto, die durch Unfälle mit Haarwild wie Rehen, Wildschweinen oder Füchsen entstanden sind, ist die Teilkasko zuständig. Manche Assekuranzen zahlen auch bei Kollisionen mit anderen Tieren (das können etwa Vögel, Pferde, Kühe oder Haustiere sein), hier muss im Zweifel in der Versicherungspolice nachgesehen werden. Wichtig: Wildspuren am Auto erst dann beseitigen, wenn die Versicherungen angerufen worden ist und gegebenenfalls grünes Licht gegeben hat. Auch Reparaturen, ein Verkauf oder die Verschrottung des Fahrzeugs sollten nicht vorher angegangen werden.

Und was ist, wenn ich nur ausgewichen bin?

Immer wieder kommt es vor, dass der Autofahrer beziehungsweise die Autofahrerin im Bestreben, einen Zusammenstoß zu vermeiden, ausweicht und dann mit einem Baum kollidiert oder im Straßengraben landet. „Auch in solchen Fällen zahlt die Teilkaskoversicherung“ heißt es vonseiten der HUK-Coburg-Versicherung. Allerdings geschieht dies nicht so ohne weiteres. Der Unfallhergang muss von einem Augenzeugen bestätigt werden. Deshalb ist es wichtig, sich noch vor Ort die Kontaktdaten solcher Personen zu notieren. Wer keinen Zeugen benennt, kann nur dann mit Schadensausgleich rechnen, wenn er eine Vollkaskoversicherung abgeschlossen hat.

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