Der linke Fuß in Portugal, der rechte in Spanien
Wie die Schmuggler durchs Alentejo: Extreme Grenzerfahrung im entlegensten Winkel Portugals
12.8.2023, 06:00 Uhr
"Mit Schmuggeln ließ sich zehn Mal mehr verdienen als mit einem Tag Arbeit", sagt Alfonso Melara Nunes. Der 26-Jährige hat das zwar nicht mehr selbst erlebt, doch das Wissen darüber, wie beschwerlich das Leben im entlegensten Winkel Portugal einst war, gehört in dem kleinen Nest Marvao an der Grenze zu Spanien zum Genpool der Menschen.
Geschmuggelt wird hier schon lange nichts mehr, doch das Leben hier im Alentejo ist noch immer beschwerlicher als in anderen Regionen des Landes. Alfonso etwa ist einer der wenigen, der seinem Dorf nicht den Rücken gekehrt hat. Während seine Freunde in der Hauptstadt Lissabon im Anzug hinterm Schreibtisch sitzen, läuft er mit fest geschnürten Wanderschuhen, kurzen Hosen und einem Rucksack zwischen den Zeitzonen hin und her.

Nach einem knappen Kilometer, vorbei an Olivenbäumen, einem plätschernden Bach und alten Trampelpfaden, ist die Grenze in Sicht. Auf der anderen Seite schlägt die Uhr nicht nur eine Stunde früher. Hier wird auch eine andere Sprache gesprochen. Direkt an der Grenze steht ein Café. "Abierto", wie die Spanier sagen, ist es noch nicht. Es öffnet erst am Mittag.
Niemand interessiert sich für die Grenzgänger
Im vereinten Europa ist die Grenze heute nicht mehr sichtbar. Niemand interessiert sich für die Grenzgänger. Es ist überhaupt nur ein kleiner Stein am Wegesrand, der die Staatsgrenze markiert. Vor wenigen Jahrzehnten noch schleppten Schmuggler heimlich Kaffee, Wein, Olivenöl oder Fahrräder auf die andere Seite.
Alfonso verdient mit der alten Schmuggel-Route auch heute sein Geld. Für knapp 35 Euro taucht er mit Touristen in die Vergangenheit ein. Wandern, klettern, Kajak fahren und vielleicht ein Escape-Room-Spiel zwischen den Olivenplantagen und den beiden Zeitzonen: Alfonso will sich und damit auch seinem Ort eine Zukunft ermöglichen.
Das will auch António Manuel Grincho Ribeiro, Bürgermeister aus der kleinen Nachbarstadt Castelo De Vide. "Es reicht nicht aus, nur ein schöner Ort zu sein. Man muss den Unterschied machen", sagt er. Gerade mal 3400 Menschen leben hier zwischen engen Gassen auf einer kleinen Anhöhe. Der Bürgermeister denkt international.
Ein jüdisches Museum für die Touristen aus der ganzen Welt
"Die jüdische Tradition ist wichtig für Touristen." Selbst bis in die Vereinigten Staaten sei das von Lissabon zweieinhalb Autostunden entfernte Städtchen dafür bekannt. Neben dem jüdischen Viertel mit seiner renovierten Synagoge soll das geplante jüdische Museum internationale Standards setzen. Der Bürgermeister spricht von gewaltigen Investitionen.

Die Kultur ist im Alentejo der große Wirtschaftsfaktor. Und Touristen das Rückgrat. Große Industriebetriebe gibt es hier nicht. Die Landschaft wirkt hier unberührt, natürlich. Wer sie sehen will, erlebt im Auto einen Road-Trip im Kleinformat: mit scheinbar endlosen Weiten, Abschnitten ohne Zivilisation und zur Abwechslung kleinen Orten für eine Pause in einem typischen Restaurant.
Mitten durch die Küche in den Gastraum
Locker und lecker geht es auch bei Hélder Pires zu. Er ist der Chef des Restaurants Mil-Homens am Fuße der auf einem über 800 Meter hohen Felsplateau gelegenen historischen Stadt Marvao. Unzählige Mauersegler führen dort an den steilen Felswänden rund um die opulente Burganlage ihre Kunststücke vor. Jede Ecke bietet einen anderen ungleich schönen Blick in die Gassen und auf die Berglandschaft. Touristisch wirkt hier nichts – und das macht den Charme aus.

Zur Speisekarte gibt es den Freundes-Schlag auf die Schulter. So versteht der kleine Familienbetrieb seit Jahrzehnten seine Aufgabe. Wer sich hier an einen der dunklen Holztische mit der weiß-blau-bestickten Tischdecke setzt, muss zuvor die Küche durchqueren. Dort dampft es aus allen Töpfen. Die Frauen des Hauses kochen natürlich traditionelles Essen, heute gibt es fein gegartes Hühnchen in hausgemachter Zitronensoße, dazu Wein und Oliven.
Die Wurzeln hat schon der Ur-Großvater gelegt
Oliven sind es, die auch Alfonso auf der Schmuggel-Route wieder nach Hause führen. Die Tour endet vor seinem Wohnhaus und dem gegenüberliegenden Olivenöl-Museum. Sein Ur-Großvater hat das Land um die heutige Mühle gekauft, sein Opa die Olivenbäume gepflanzt, die sein älterer Bruder António wieder nutzt. Für über eine Million Euro habe er die alte Mühle zum Museum um- und eine neue Anlage eingebaut.

António will in Generationen denken. Seine Olivenbäume sollen weder Dünger noch Insektizide erhalten. Auch eine künstliche Bewässerung gibt es hier nicht. Wasser kommt nur von oben, wenn es regnet. Das ist ein immer seltener werdendes Ereignis. Doch die Bäume seien Trockenphasen gewöhnt, weil sie es seit Jahrzehnten nicht anders kennen.
Seine Mission: Gesundes Essen
Künstlichen Dünger oder Giftstoffe, um gegen Schädlinge vorzugehen, kommen für António nicht in Frage. Er ist davon überzeugt, dass das seine seit Generationen gestärkten Bäume auch nicht brauchen. Er setzt auf das natürliche Wachstum und hat eine Mission: Gesundes Essen: "Wenn wir so weiter machen wie bisher, dann werden wir in 100 Jahren teures Essen mit schlechterem Inhalt haben." Qualität braucht Zei, und für Qualität müsse man Abstriche machen.

Mehr Informationen:
Tourismus Alentejo
Visitalentejo - Turismo do Alentejo (www.visitalentejo.pt/de/)
Anreise:
Flug von Frankfurt oder München nach Lissabon, von dort rund zwei Stunden, bis Sie im Alentejo sind.
Ein Quartier kann, muss aber nicht zwingend genannt werden – evtl. ist es ja Teil der Einladenden. Wenn Quartier, dann:
Wohnen:
Pousada de Arraiolos (www., im ehemaligen Kloster nächtigen
Tel.: (+351)266419340
Beste Reisezeit:
Frühling und Herbst, im Sommer kann es sehr heiß werden.

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