Staus und Autofahrer-Frust

Aktivisten kleben sich fest: Klima-Protest löst Chaos in Nürnbergs Innenstadt aus

Tobi Lang

Redakteur

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16.11.2022, 09:07 Uhr
Exakt 100 Sekunden vor zwölf Uhr klebten sich die ersten Klima-Aktivisten mit handelsüblichem Sekundenkleber fest.

© Tobias Lang Exakt 100 Sekunden vor zwölf Uhr klebten sich die ersten Klima-Aktivisten mit handelsüblichem Sekundenkleber fest.

Nichts ging mehr zwischen dem Nürnberger Hauptbahnhof und dem Plärrer. Der Frauentorgraben, eine der Hauptverkehrsadern, die sich durch die Stadt zieht, blieb am Dienstag über Stunden blockiert. Am Vormittag klebten sich hier Klima-Aktivisten auf dem Asphalt fest - sie wollten die Straße den Menschen zurückgeben, sagten die Demonstranten. Und den Verkehr stören.

Das hat geklappt. Innerhalb weniger Minuten bildete sich ein langer Stau, Autofahrer hupten, so mancher pöbelte. Nur Minuten nach Beginn des Protestes rückte ein Großaufgebot der Polizei an. Der Verkehr wurde an allen Seitenstraßen rund um den Hauptbahnhof abgeleitet, um einen Infarkt zu verhindern. Auch der Straßenbahnverkehr in Nürnberg war von dem Protest beeinträchtigt. Mehrere Linien konnten nur eingeschränkt fahren.

Weitere Hintergründe zum Protest lesen Sie in unserer Hintergrundgeschichte auf NN.de.

Exakt 100 Sekunden vor zwölf Uhr klebten sich die ersten Klima-Aktivisten mit handelsüblichem Sekundenkleber fest. "Das ist symbolisch", erklärt Florian Hening, Sprecher des regionalen Ablegers von "Extinction Rebellion". "Das ist exakt die Zeit, die die Weltuntergangsuhr anzeigt." Überhaupt ist der Protest voller Symbole, Anspielungen und Analogien. Zudem stellten die Klima-Aktivisten Sofas, Tische und Stühle auf die Fahrbahn. Eilig bauten Demonstranten sogenannte Tripods auf, eine Art Ständer, auf dem Transparente befestigt wurden. "Jetzt retten, was zu retten ist" stand auf einem, "Entschuldigen Sie die Störung, aber es geht um's Überleben" auf einem anderen. Untermalt wurde der Klima-Protest von einem Pianokonzert. Erst gegen 15 Uhr floss der Verkehr wieder.

Klima-Aktivisten setzen auf Blockaden und Hungerstreiks

Hinter der Aktion steckten unter anderem die Organisationen "Extinction Rebellion" und "Der Aufstand der letzten Generation", die als radikaler gelten als etwa "Fridays for Future". Zwar lehnen die Klima-Aktivisten Gewalt strikt ab - ziviler Ungehorsam, also die Auflehnung gegen den Staat, gehört aber ebenso zum Repertoire wie Hungerstreiks und Blockaden wie am Dienstagvormittag in Nürnberg.

Die Aktion könnte Folgen haben, besonders für die Festgeklebten. "Wir prüfen den Tatbestand der Nötigung", erklärt Polizeisprecher Michael Konrad. Noch am Dienstag nahmen Beamte die Personalien von Autofahrern auf, die im Stau standen. Sie gelten grundsätzlich als Geschädigte. Konrad spricht von einer friedlichen Atmosphäre während des Protests. "Gewalt oder übermäßige Anfeindungen gab es nicht."

Insgesamt rechneten die Organisatoren mit rund 50 Teilnehmern. "Sie kommen aus Süddeutschland, größtenteils aus Bayern", erklärt Zoë Ruge, Sprecherin von "Aufstand der letzten Generation", die mit radikalen Protesten in ganz Deutschland Schlagzeilen machten. "Bayern ist ein Symbol für das Klimaversagen", sagt sie. "Deshalb wollen wir der politischen Blockadehaltung mit Blockade begegnen."

Die Aktion sei notwendig, ist Ruge überzeugt. "Wir brauchen eine jetzt eine Störung des Alltags, um noch größere Störungen in der Zukunft zu verhindern." Dann, wenn die Natur weiter zerstört wird, ist die Aktivistin überzeugt, werden die Einschnitte noch größer werden - und für jeden spürbar. "Das zeigen Waldbrände und Überflutungen."

Hinter der Aktion stecken unter anderem die Organisationen "Extinction Rebellion" und "Der Aufstand der letzten Generation"

Hinter der Aktion stecken unter anderem die Organisationen "Extinction Rebellion" und "Der Aufstand der letzten Generation" © Tobias Lang

Zimperlich mit sich selbst ist Ruge nicht. Immer wieder schließt sie sich Protesten in ganz Deutschland an, zuletzt einer Straßenblockade in Berlin. "Ich saß fünf Tage in Gewahrsam", sagt die Aktivistin. "Warum, weiß ich selbst nicht. Ich war gar nicht auf der Straße."

Erst im Februar klebten sich vier Mitglieder des "Aufstand der letzten Generation" am Frankenschnellweg fest und lösten damit stundenlanges Chaos aus. Das Unterstützungskommando (USK) der Polizei rückte an, Autofahrer standen im Stau, die Auswirkungen waren massiv. Auch damals ermittelte die Polizei wegen des Verdachts der Nötigung. Noch läuft das Verfahren.

"Die Reaktionen sind positiver als gedacht", sagt einer der Menschen, die sich direkt vor dem Hauptbahnhof festgeklebt haben. Schweiß rinnt ihn von der Stirn, die Sonne knallt. "Die Menschen spüren wohl, dass sich etwas ändern muss." Wenige Sekunden später beglückwünscht ein Passant die Aktivisten, sagt: "Schön, dass es euch gibt."

Das sieht längst nicht jeder so. "Ich würde sie kleben lassen", sagt eine Frau, die seit einer halben Stunde im Stau steckt. "Die haben doch selbst keine Alternativen oder bessere Ideen." Mit den Demonstranten reden will sie trotzdem nicht. "Wenn das die letzte Generation ist, dann weiß ich auch nicht."

Für die Demonstranten gibt es dennoch keine Alternative, sagen sie selbst. Auch der Jesuitenpater Jörg Alt, der mit seinen Aktionen bundesweit für Schlagzeilen sorgte, nahm am Dienstag an den Protesten teil. Er setzt sich seit Jahren für ein Lebensmittelrettungsgesetz ein, will, dass das sogenannte Containern entkriminalisiert wird. Erst kürzlich verteidigte Alt die "Radikalisierung der Szene" gegenüber unserer Redaktion. Der Sozialwissenschaftler sagt: "Wir wollen stören, nicht zerstören."

OB: "Keine geeigneten Formen des Protests"

Seit Monaten kündigen die Klimaaktivisten eine Ausweitung ihrer Blockaden an, Flughäfen könnten demnach ebenso wie große Autobahnen in den Fokus rücken. Für den Herbst erwarten Beobachter der Szene deutlich schärfere Proteste.

Die Kritik an den radikalen Demonstrationen wächst. "Für mich sind das keine geeigneten Formen des Protests", sagte etwa Nürnbergs Bürgermeister Marcus König (CSU) nach der Frankenschnellweg-Blockade im Februar. "Wo kommen wir hin, wenn jeder für seine politischen Ziele Rechtsbrüche in Anspruch nimmt?"