Seltene alte Aufnahme

Als Nürnbergs Vorstädte in den Kinderschuhen steckten: Das Schicksal der Bäckerei an der Rosenau

23.4.2024, 19:00 Uhr
Das Häuser-Ensemble Praterstraße 28 mit Untere Turnstraße 1/3 (von links), um 1930.

© Ansichtskarte: unbekannt Das Häuser-Ensemble Praterstraße 28 mit Untere Turnstraße 1/3 (von links), um 1930.

Obwohl sich unser Projekt "Stadtbild im Wandel" vor allem mit den Bauten und Straßen beschäftigt, stellen auch wir uns diese Frage hin und wieder. Unser heutiges historisches Foto hat uns ebenfalls berührt, und das, obwohl die Menschen darauf nur klitzekleines Beiwerk zu sein scheinen. Doch die gestochen scharfe Fotografie und die hohe Reproqualität der Fotokarte erlauben uns, jene Menschen aus einer fernen Vergangenheit in Detail erkennen, ihnen geradezu in die Augen blicken zu können.

Vor dem Eckhaus posiert wohl die Familie Frischmann mit ihren Mitarbeitern und Nachbarn.

Vor dem Eckhaus posiert wohl die Familie Frischmann mit ihren Mitarbeitern und Nachbarn. © Ansichtskarte: unbekannt

Da sehen wir zwei Frauen, die eine an der Ladentür, die andere mit weißer Schürze lässig am Geländer der Treppe lehnend, daneben ein Mädchen von vielleicht zwölf Jahren, mit Mittelscheitel, Zöpfen und kariertem Kleid, die Hände hinterm Rücken verschränkt, etwas schüchtern dem Fotografen entgegenlächelnd, neben ihr der Familienhund.

Am Fuße der Treppe dann ein Junge im Teenager-Alter im Ausgehanzug, die rechte Hand auf der Schulter des kleinen Bruders und neben ihnen an der Gartenmauer der kleinste Protagonist des Bildes, schlummernd im Kinderwagen an der Seite seiner Mama. Es ist wohl die Familie Frischmann mit ihren Mitbewohnern, die wir hier um 1930 vor ihrem Zuhause in der Praterstraße 28 sehen.

Bäckermeister war NSDAP-Mitglied und Blockwart

Bäckermeister Leonhard Frischmann hatte sich 1919 mit Elisabeth Schimmel vermählt und zwei Jahre später seine eigene Bäckerei eröffnet. Nach dem Zweiten Weltkrieg musste er bei der US-amerikanischen Militärverwaltung um die Erlaubnis bitten, seinen Betrieb wiederaufzunehmen. Obwohl Frischmann Mitglied der NSDAP gewesen und als Blockwart fungiert hatte, wurde ihm – was durchaus nicht ungewöhnlich war – die Konzession erteilt.

Neu erschlossen, schnell bebaut

Das Haus, das Bäckerei und Wohnung der Frischmanns beherbergt hatte, entstand in einer Zeit, da das Wachstum der Nürnberger Vorstädte noch in den Kinderschuhen steckte. Der umtriebige Maurermeister und Bauunternehmer Matthäus Schätz hatte die neu erschlossenen Parzellen Praterstraße 28, Untere Turnstraße 1 und 3 im Jahr 1863 gekauft und sogleich mit der Bebauung begonnen: Schon 1864 waren die beiden nahezu identischen Mietshäuser an der Unteren Turnstraße vollendet, die Putzfassaden mit rundbogig geschlossenen Fenstern, eine Gesimsgliederung und Zwerchhäuser mit begleitenden Giebelgauben erhielten. Das Eckhaus folgte bald darauf.

Der Baumeister mochte Klassizismus und Symmetrie

Nicht nur bei den Entwürfen für diese Häuser bediente sich der aus Lauf gebürtige Baumeister den Formen des modischen Rundbogenstils, der meist symmetrische Fassadenaufrisse im Sinne des Klassizismus mit Dekorformen im Stil der Romanik und Gotik verbindet.

Obschon alle drei Häuser eine verwandte Gestaltung zeigen, sticht – wie in der Städtebaulehre der Zeit Usus – das Eckgebäude besonders hervor, zumal es durch die Hanglage beim Blick vom Kontumazgarten herauf besonders auffiel: Neben einem Erker mit Rundbogenfries an der Brüstung und einem Balkon, dessen Geländer in Vierpässen durchbrochen war, spendierte Schätz dem Zwerchhaus schlanke Fialen und dem geschieferten Dach Giebelgauben in klassizistischen und romanisierenden Formen.

Leider wissen wir nicht, was aus den Menschen auf unserem alten Foto wurde. Was wir wissen, ist, dass ihr Zuhause heute nicht mehr existiert: Nachdem die schmucke Bäckerei am 2. Januar 1945 im Bombenhagel vernichtet worden war, trat an ihre Stelle ein viergeschossiger Neubau, dessen Ecklösung mit Balkonfront, Ladenzugang und vitrinenartigem Schaufenster im Vergleich zum Vorgängerbau ein wenig ungelenk wirkt.

Der viergeschossige Nachkriegsneubau besitzt interessante Details seiner Bauzeit, wirkt aber im Gesamtentwurf ein wenig täppisch. Das üppige Grün der Vorgärten von einst ist heute passé.

Der viergeschossige Nachkriegsneubau besitzt interessante Details seiner Bauzeit, wirkt aber im Gesamtentwurf ein wenig täppisch. Das üppige Grün der Vorgärten von einst ist heute passé. © Sebastian Gulden

Erhalten haben sich indes die beiden Nachbarhäuser in der Unteren Turnstraße samt ihren später ergänzten Rückgebäuden. Obschon wegen Kriegsschäden, der Straßenverbreiterung und ungeschickten Renovierungen der Nachkriegszeit ihrer Kranzgesimse, Zwerchhäuser und Vorgärten beraubt, legen sie noch immer Zeugnis ab von jener Zeit, als die Rosenau und die Kleinweidenmühle zum Großstadtquartier wurden. Die Youngsters auf unserem alten Foto, so sie noch unter uns sind, würden sich auch heute hier bestimmt gut zurechtfinden.

Obwohl arg gerupft, verraten die Häuser Untere Turnstraße 1/3 (von links) noch immer ihre Entstehungszeit. Das Haus rechts hat sich zudem ein wunderschönes Eisengittertor bewahrt.

Obwohl arg gerupft, verraten die Häuser Untere Turnstraße 1/3 (von links) noch immer ihre Entstehungszeit. Das Haus rechts hat sich zudem ein wunderschönes Eisengittertor bewahrt. © Sebastian Gulden

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