Baugeschichten aus der Bucher Straße

Altbauten in Nürnberg-Nord: Die schönen Häuser des Herrn Tischbein

3.11.2021, 11:17 Uhr
Wie die Türme eines Stadttores rahmen der Erker und der Schweifgiebel der Häuser Bucher Straße 70 und 72 (von rechts) die Einmündung der Kressenstraße. Fast alle Gebäude auf dem Foto gehen auf die Firma Tischbein zurück.  

© Boris Leuthold Wie die Türme eines Stadttores rahmen der Erker und der Schweifgiebel der Häuser Bucher Straße 70 und 72 (von rechts) die Einmündung der Kressenstraße. Fast alle Gebäude auf dem Foto gehen auf die Firma Tischbein zurück.  

"Private Quartiersentwicklung" - das ist einer dieser sperrigen Fachausdrücke aus der Stadtplanung, der dazu geeignet ist, jeden einigermaßen interessierten Normalbürger vom Weiterlesen abzuschrecken. Aber bitte, lesen Sie trotzdem weiter, denn jetzt wird’s spannend: Dass private Bauträger die Planung und Gestaltung eines Straßenzuges oder gleich mehrerer Karrees in die Hand nahmen, das gab es in Nürnberg schon vor über 100 Jahren.

Er hatte eine gute Spürnase für den Markt

Zum Glück, muss man sagen, denn die kommunalen Stadtplaner hatten zumindest in der Nordstadt kein sonderlich glückliches Händchen und vergeigten so manche Chance. In der Regel waren es Bauunternehmer - gelernte Maurermeister oder Kaufleute -, die sich mit kundigen Architekten und Investoren zusammentaten, um ihre ehrgeizigen Projekte verwirklichen zu können.

Ein besonders findiger Vertreter dieser Spezies war Georg Tischbein, der seit 1899 ein Maurergeschäft im Kirchenweg 25 betrieb. Schon bei seinem Coup in der Roritzerstraße (Nr. 22–28 und 34) bewies er um 1900 eine gute Spürnase für das Potenzial, das sein Viertel St. Johannis und die benachbarten Gärten hinter der Veste auf dem Immobiliensektor bereithielten.

Von Tucher abgekauft

In der Regel kaufte Tischbein gleich mehrere zusammenhängende Parzellen und bebaute sie mit Mietshäusern gehobenen Standards, die er anschließend vermietete oder, so sich ein Interessent fand, weiterverkaufte. Zusammen mit seiner Frau Babette kaufte er dem Großgrundbesitzer und Brauereiinhaber Karl Theodor von Tucher 1903 gleich zehn Parzellen am östlichen Ast der Kressenstraße (Haus-Nr. 1–6) und an der Bucher Straße (Nr. 70, 72, 74 und 76) ab.

1906 posierte Familie Fürst stolz auf dem Balkon ihrer Wohnung im dritten Stock der Bucher Straße 74. Das Hoftor fiel 1911 dem Neubau der Bucher Straße 89 zum Opfer.  

1906 posierte Familie Fürst stolz auf dem Balkon ihrer Wohnung im dritten Stock der Bucher Straße 74. Das Hoftor fiel 1911 dem Neubau der Bucher Straße 89 zum Opfer.   © Adolf Fürst (Privatsammlung)

Es war ein Stück Land mit langer Geschichte: In reichsstädtischer Zeit erstreckte sich dort der Hesperidengarten der Familie Scheurl von Defersdorf; im Norden nahe der Juvenellstraße verlief bis ins 19. Jahrhundert die "Circumvallationslinie", Festungswerke, die die Nürnberger und ihre schwedischen Verbündeten im Dreißigjährigen Krieg als Bollwerk gegen Wallenstein und seine Truppen errichtet hatten.

Nürnberger Stil und Jugendstil

Als Sponsor gewannen die Tischbeins Franz Adami, gelernter Uhrmacher und Inhaber eines Automatenrestaurants an der Königstraße. Der Architekt Hans Ebert, der auf die Planung von Mietshäusern spezialisiert war, lieferte den Tischbeins die Entwürfe für die Häuser, insbesondere für die malerischen und reich in Formen des Nürnberger Stils und des Jugendstils geschmückten Fassaden.

An den meisten Häusern seines Projektes hinterließ Georg Tischbein als Ausdruck des Stolzes an gut sichtbarer Stelle sein Monogramm, so auch an der Erkerkonsole der Bucher Straße 74.  

An den meisten Häusern seines Projektes hinterließ Georg Tischbein als Ausdruck des Stolzes an gut sichtbarer Stelle sein Monogramm, so auch an der Erkerkonsole der Bucher Straße 74.   © Boris Leuthold

Am Haus Bucher Straße 72 verewigte er sich mit seinem Monogramm, ebenso wie Georg Tischbein an den Häusern Bucher Straße 72, 74 und 76 sowie Kressenstraße 5 und 6. 1910 trat dann noch Emil Hecht auf den Plan, nach dessen Zeichnungen die Häuser Kressenstraße 1 und 3 ergänzt wurden.

Wer genau hinschaut, erkennt, dass die Häuser gewisse Gestaltungsmerkmale teilen – etwa die in abgeänderter Form wiederkehrenden Kasten- und Runderker, die großen Segmentbogenfenster und selbst Details des Bauornaments. Dieses Vorgehen war wirtschaftlich und sorgte für einen gewissen Wiedererkennungswert.

Und auch dass Tischbein die Bauten vorne an der Hauptstraße mit Vollsandsteinfassaden versah, die Häuser an der Kressenstraße aber größtenteils Putzfassaden mit Erdgeschosszone, Erkern und Gliederung aus Sandstein erhielten, drückte die Kosten, ergab städtebaulich aber durchaus Sinn.

Von merklich anderem Charakter als der Rest des Tischbein’schen Projektes sind die Häuser Kressenstraße 1 und 3 (Bildmitte), die erst 1910 im Spätjugendstil ergänzt wurden. Der Garten links fiel unlängst einem Neubau zum Opfer.  

Von merklich anderem Charakter als der Rest des Tischbein’schen Projektes sind die Häuser Kressenstraße 1 und 3 (Bildmitte), die erst 1910 im Spätjugendstil ergänzt wurden. Der Garten links fiel unlängst einem Neubau zum Opfer.   © Boris Leuthold

Trotz der Wiederholungen im Detail wirkt jedes Gebäude als Unikat, denn weder wünschten die Bewohner für die durchaus happige Miete in Bauten "von der Stange" zu hausen, noch lag das Wiederkäuen ein- und desselben Fassadenentwurfes im Interesse der Stadt, die eine ihrer bedeutendsten Einfallstraßen mit Architektur von hoher Qualität bebaut sehen wollte.

Nur ein einziges Haus, nämlich die Bucher Straße 74, verkaufte Tischbein noch während der Bauarbeiten an den Oberlehrer Adolf Fürst. Allein, der Kauf eines Mietshauses war auch 1906 schon eine gewaltige Investition, und so mussten Fürst und seine Frau Margarethe, die aus einer recht wohlhabenden Wirtsfamilie stammte, ihre gesamten Ersparnisse zusammenkratzen und sich hie und da in der Verwandtschaft ein paar Tausend Mark borgen, um den Neubau abbezahlen zu können.

Die Investition zahlte sich aus, und so ist das Haus noch heute im Familienbesitz. Die bekannteste Bewohnerin des Hauses war die Mundartdichterin Elisabeth Fürst, die bis zu ihrem Tode 1995 in der Beletage lebte. Zu ihren prominenten Nachbarn zählten ihr Dichterkollege "Pausala" (ebenfalls Bucher Straße 74, zuletzt Kressenstraße 3) und die Kunstanstalt Serz & Co. (Bucher Straße 76), bekannt für ihre Andachtsbilder und Kartenwerke.

Das "TG" über der Tür erinnert noch daran

Wie es für das rührige Baumeisterehepaar weiterging, wissen wir nicht genau. 1925 lebten die Tischbeins als "Kleinrentner" in der Kressenstraße 3. Alle Gebäude ihres Projektes – bis auf ihr Wohnhaus – hatten sie verkaufen müssen, vermutlich in Folge der Wirtschaftskrise nach dem Ersten Weltkrieg. Ein bescheidenes Ende also für zwei Persönlichkeiten, die unser Stadtbild um ein ganzes Ensemble großbürgerlicher Prunkarchitektur bereichert haben.

Ein Trost immerhin: Ihr Werk ist geblieben. Und sollten Sie mal des Weges kommen, dann erinnern Sie sich jetzt vielleicht, für wen jenes "TG" hoch oben an den prächtigen Fassaden der Häuser steht.

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