Fall 25 der Weihnachtsaktion

Ärztliche Hilfe, warmes Essen und warme Worte: Die Straßenambulanz hält der Pandemie stand

11.12.2021, 12:00 Uhr
Patrick Phillips (re.) und Roland Stubenvoll (Mi.) versorgen Stefan L., der wegen einer gefährlichen Entzündung am Bein behandelt werden musste.

© Eduard Weigert Patrick Phillips (re.) und Roland Stubenvoll (Mi.) versorgen Stefan L., der wegen einer gefährlichen Entzündung am Bein behandelt werden musste.

Aus einem Mückenstich Anfang August wurde für Stefan L. ein Desaster. Sein Bein entzündete sich und schwoll dick an. Drei Tage später stand er kurz vor der Blutvergiftung, eine überschießende Immunreaktion, er musste ins Krankenhaus. Jetzt sitzt er mal wieder auf der Behandlungsliege im Klosterbau von St. Ludwig. Die Wunde ist immer noch rot und feucht.

Krankenpfleger und Wundmanager Patrick Phillips verbindet den Unterschenkel neu. Meist sehen sich die beiden Männer dreimal die Woche, sie duzen sich und scherzen. Stefan L. ist heilfroh, dass ihn die Arztpraxis der Straßenambulanz Franz von Assisi aufnahm. Denn: Im Sommer hatte er noch keine Krankenversicherung. Der 43-Jährige war kurz zuvor aus dem Gefängnis entlassen worden.

Ämtergänge erschwert

Er wohnt seitdem bei einer Freundin. Mangels Wohnsitz verkomplizieren sich seine Amtsformalitäten zwischen Arbeitsagentur und Jobcenter; er knapst mit altem Urlaubsgeld und Geliehenem herum und ist erleichtert, wenn sie ihm in der Ambulanz mit den Rezeptgebühren aushelfen. "Ich hätte schon längst Arbeit finden können, wenn das mit dem Bein nicht passiert wäre", ist der Maurer und Stahlbetonbauer überzeugt.

Sie servieren mit einem Lächeln Resteküche: Die Mitarbeiterinnen Sonja (l.) und Sophia geben im Tagestreff der Straßenambulanz Mahlzeiten aus gespendeten Lebensmitteln aus - derzeit mit der 2G-Regel.

Sie servieren mit einem Lächeln Resteküche: Die Mitarbeiterinnen Sonja (l.) und Sophia geben im Tagestreff der Straßenambulanz Mahlzeiten aus gespendeten Lebensmitteln aus - derzeit mit der 2G-Regel. © Isabel Lauer

Am Beispiel Stefan L.s zeigt sich, warum Nürnberg diese Einrichtung der Caritas in Gibitzenhof braucht: Er zählt zu den mehreren Hundert Menschen, die in der Straßenambulanz medizinisch versorgt werden, obwohl sie nicht krankenversichert sind. "In so einer undurchsichtigen Lage wie Stefan will man nicht zum Arzt gehen. Oder man wird gleich abgewimmelt", beschreibt Patrick Phillips. "Jetzt kommt Corona dazu, in den Behörden geht vieles nur mit Termin und langem Verzug."

Quarantäne trotz Sucht

Ja, der zweite Corona-Winter, wie läuft er so? Straßenambulanz-Leiter Roland Stubenvoll antwortet mit Galgenhumor: "Die Pandemie hat uns im Würgegriff." Zäh ist der Betrieb geworden. "Es kommen weniger Menschen zu uns, gerade aus dem Ausland. Oder sie kommen aus Angst zu spät, mit verschleppten Problemen. Und alles, was man so plant, geht irgendwie den Bach runter." Die 20 Haupt- und Ehrenamtlichen vermissen das unbeschwerte Miteinander. Durch soziale Vereinsamung gehe auch bei den Klienten gerade viel kaputt, stellen sie fest.

Das Team betreute im zu Ende gehenden Jahr 1000 Menschen, etwa 15 Prozent weniger als gewohnt. Sie können sich das Notwendigste nicht leisten, sind oft wohnungslos. Einen kleineren Teil machen Drogenabhängige aus; die Praxis bietet rund 120 Substitutionsplätze. Neben der allgemeinärztlichen und psychiatrischen Sprechstunde bekommen die Besucher Lebensmittel und Kleider, Duschgelegenheiten, Frühstück und Mittagessen – und auch mal ein warmes Wort.

Der Tagestreff hat wieder offen, mit 2G-Regel, immerhin das. Kirsten mit den dunklen Locken und dem traurigen Blick, "alle nennen mich Chrissie", sitzt da noch eine Weile am Fenster nach dem Fisch mit Nudeln. Auf die Straßenambulanz lässt sie nichts kommen. "Die geben sich alle viel Mühe hier. Wer hier schimpft, soll in der Gosse landen", sagt sie leise.

Sonst kommt sie meist mit ihrem herzkranken Vater, mit dem sie sich ein Zimmer in einer Obdachlosenpension teilt. "Survival" besagt das Markenetikett ihres Rucksacks, "Überleben". Chrissie ist 56 und hätte einen Wunsch zu Weihnachten: "Eine schöne Ein-Zimmer-Wohnung für uns beide. Wir waren dreimal auf dem Wohnungsamt und haben keinen einzigen Vorschlag erhalten."

Es lasse sich schwer messen, ob die Corona-Krise die Armut in der Stadt vertieft habe, überlegen Roland Stubenvoll und Dr. Jörg Seiler, der Allgemeinarzt der Ambulanz. Sie sehen die Fakten: Schon morgens um sieben stehen jetzt Leute für die Lebensmittelausgabe vor der Tür, die um neun öffnet. Was man sagen könne: Freilich hätten die Lockdowns Flaschensammeln und Betteln erschwert – das größere Problem stelle aber die eingeschränkte Erreichbarkeit von Ämtern und Beratungsstellen dar.


Paritätischer-Chef in Nürnberg: "Armut in Deutschland ist gewollt"


Zu welch ungeahnten Verwicklungen Corona führt, erleben die beiden Mitarbeiter täglich selbst. Masken unterliegen Preissprüngen wie an der Börse, Impfstoff-Bestellungen laufen wie eine Lotterie, Medikamente oder Spritzen sind plötzlich nicht lieferbar. Suchtpatienten, die corona-positiv sind, müssen in Quarantänequartiere vermittelt werden, immer wieder ändern sich die Testvorgaben für Notschlafstellen. Vereinzelt stranden kranke Reisende aus Osteuropa in Nürnberg, weil ihre Heimatländer spontan die Grenzen schließen.

Spender decken das Minus

Ohne Spendengelder, etwa von den "Freude für alle"-Lesern, liefe die Gesundheitsversorgung der Straßenambulanz nicht auf so hohem Niveau, sagt Stubenvoll. Der Caritasverband und die Stadt Nürnberg finanzieren den Betrieb, "aber es bleibt doch jährlich ein Minus von 70.000 oder 80.000 Euro". Spenden schließen vor allem bei Medikamenten und Behandlungsmaterial die Lücken – ein Beispiel sind die kostspieligen Abdeckungen für chronische Wunden wie bei Stefan L.

Der Mehraufwand durch die Pandemie strapaziert die Nerven. "Es gibt Tage, da denkt man, es geht nicht mehr", erzählt Jörg Seiler. Aber dann: "Für unsere Klientel ist das jetzt einfach doppelt eine Notwendigkeit. Das Team ist hochmotiviert und geht an die Belastungsgrenze, weil: Was wir hier machen, funktioniert."


Die Spendenkonten von „Freude für alle“:

Sparkasse Nürnberg: DE63 7605 0101 0001 1011 11;

Sparkasse Erlangen: DE28 7635 00 00 0000 0639 99;

Sparkasse Fürth: DE96 7625 0000 0000 2777 72;

Postbank Nürnberg: DE83 7601 0085 0400 0948 54.

Jeder gespendete Euro kommt ohne Abzug für Verwaltungskosten Hilfebedürftigen in unserer Region zugute. Für die Ausstellung von Spendenbestätigungen bitte vollständige Adresse bei der Überweisung mit angegeben. Alle Spendernamen werden veröffentlicht (außer bei dem Vermerk "anonym"). Sachspenden können aus organisatorischen Gründen leider nicht angenommen werden. Barspenden nehmen gerne die Geschäftsstellen der Zeitung in Nürnberg (Mauthalle), Fürth (Schwabacher Str. 106) und Erlangen (Hauptstr. 38) an.

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