Hasskriminalität

Bayern macht ernst: Wer im Netz hetzt, muss mit Haft rechnen

12.7.2021, 06:00 Uhr
Bayern macht ernst: Wer im Netz hetzt, muss mit Haft rechnen

© imago images/Steinach

Kritische Äußerungen muss jeder Politiker aushalten. Doch werden Sie auch persönlich beleidigt? Bekommen Sie Hassbotschaften?

Georg Eisenreich: Politikerinnen und Politiker dürfen nicht empfindlich sein. Politik bedeutet immer auch Debatten und Kontroversen. Das ist das Fundament unserer Demokratie. Aber niemand muss sich beleidigen oder bedrohen lassen. Jede Politikerin und jeder Politiker wurden vermutlich schon zur Zielscheibe von Hassreden. Bislang hielt es sich für mich persönlich in Grenzen. Vielleicht sind die Hemmungen größer, ausgerechnet den Justizminister anzugehen.

Ist deshalb die Bekämpfung von Hasskriminalität ein Herzensthema von Ihnen? Um die Meinungsfreiheit zu wahren?

Georg Eisenreich: Ich finde die Chancen, die uns die Digitalisierung bietet, einfach großartig. Hass und Hetze sind aber eine Schattenseite – sie gefährden mittlerweile in ihrer Dimension unsere Demokratie. Aus Hass kann Gewalt werden. Hetzer im Netz vergiften nicht nur das gesellschaftliche Klima. Hate Speech schränkt auch die Meinungsfreiheit in unserem Land ein. Es gibt Menschen, die sich aus Angst vor hasserfüllten Reaktionen im Netz nicht mehr äußern. Auch deshalb muss der Staat handeln.

Sie haben vor eineinhalb Jahren Sonderdezernate bei allen 22 Staatsanwaltschaften in Bayern eingerichtet, eben weil Worten auch Gewalttaten folgen können. Können Sie eine Bilanz ziehen?

Georg Eisenreich: Neben den Sonderdezernaten habe ich zentral für die bayerische Justiz zum 1. Januar 2020 Deutschlands ersten Hate Speech-Beauftragten bei der Generalstaatsanwaltschaft München berufen. Für das Jahr 2020 gibt es erstmals eine gesonderte statistische Auswertung. Die Spezialisten haben insgesamt 1648 Verfahren wegen Hasskriminalität im Internet geführt, 1251 Verfahren gegen namentlich bekannte Beschuldigte und 397 gegen Unbekannt. Weitere Maßnahmen kommen hinzu: Im Netz bedrohte oder beleidigte Journalisten, Kommunalpolitiker und Abgeordnete können in einem Online-Verfahren direkt Anzeige erstatten. Geprüft werden die Meldungen von unserem Hate Speech-Beauftragten. Es geht darum, unsere Demokratie zu schützen. Im vergangenen Jahr war Kommunalwahl und wir erleben, dass Bürgerinnen und Bürger nicht mehr bereit sind, für politische Ämter zu kandidieren. Unsere Gesellschaft braucht aber auch künftig Frauen und Männer, die bereit sind, sich auf kommunaler Ebene politisch zu engagieren.

Sie haben Strukturen geschaffen, um die Kräfte für die Strafverfolgung zu bündeln – sprich, die Täter überhaupt zu erwischen. Sie treten auch für schärfere Strafen ein.

Georg Eisenreich: Ich habe schon im Jahr 2019 vorgeschlagen, das Beleidigungsstrafrecht zu modernisieren. Es ist im Kern 150 Jahre alt – entstand also weit vor der Digitalisierung – und kann deshalb die heutigen Dimensionen nicht ausreichend erfassen. Im Netz geht es weit enthemmter zu als in einem persönlich geführten Streit. Die Anfeindungen verbreiten sich schneller und das Netz vergisst nichts. In diesem Jahr wurde das Gesetz verschärft: Wer im Netz beleidigt, muss mit bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe rechnen. Ein weiteres, entscheidendes Instrument ist das Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Die sozialen Netzwerke müssen Mord- und Vergewaltigungsdrohungen und andere schwere Hassdelikte nicht mehr nur löschen, sondern auch dem Bundeskriminalamt melden. Dies soll zu schnellen und konsequenten Ermittlungen gegen strafbare Hasskriminalität führen. So wollen wir auch verhindern, dass sich engagierte Bürgerinnen und Bürger aus der öffentlichen Diskussion zurückziehen.

Bayern macht ernst: Wer im Netz hetzt, muss mit Haft rechnen

© Roland Fengler, NNZ

Doch bislang geht dabei ausgerechnet Telegram, eine der populärsten Chat-Apps der Welt, beliebt bei Kriminellen und Terroristen, den Ermittlern durch die Lappen. Sie wollen auch diesen Messenger-Dienst besser kontrollieren.

Georg Eisenreich: Das 2017 in Kraft getretene und kürzlich nachgeschärfte Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) ist ein wichtiger Baustein bei der Bekämpfung strafbarer Inhalte im Netz. Das NetzDG ist hervorragend. Es erfasst aber nicht rechtssicher Messenger-Dienste mit großen Gruppen. Dabei ist z.B. Telegram längst ein Massenmedium. Der Messenger-Dienst zieht auch Reichsbürger, Rechtsradikale und Rechtsextreme an, er darf deshalb künftig nicht mehr unter dem Radar bleiben. Telegram muss künftig auch unter das NetzDG fallen und die Anzeige- und Löschpflicht erfüllen.

Sie fordern auch einen besseren Schutz vor so genannten Deep-Fakes. Also falsche, aber realistisch aussehende Videoclips, die mit Techniken der künstlichen Intelligenz angefertigt wurden. Hier geht es nicht nur um Verunglimpfung, sondern vor allem um Fake News – etwa mit Hilfe gefälschter Videos von Spitzenpolitikern.

Georg Eisenreich: Ein Phänomen, das sich gerade entwickelt und tatsächlich besorgniserregend ist. Deep-Fakes können die öffentliche Meinungsbildung manipulieren und die Demokratie gefährden. Die Videos betreffen vor allem Politiker, denen gefälschte Statements in den Mund gelegt werden. Sehen die Videos täuschend echt aus, kann man sich deren Sprengkraft vorstellen. Auch bekannte Frauen, immer in Verbindung mit Nacktdarstellungen oder Pornografie, sind betroffen. In der Justizministerkonferenz habe ich dieses Thema deshalb auf die Tagesordnung gebracht. Wenn Menschen, die heute hemmungslos hetzen, künftig auch mit Deep- Fakes agieren, wird dies für die Debattenkultur in unserem Land schwerwiegende Folgen haben. Deshalb müssen wir zu einer angemessenen Strafverfolgung kommen.

Sie treten auch für die Verkehrsdatenspeicherung ein. Das klingt, als sollten Autos oder Fußgänger gezählt werden. Tatsächlich ist dies nur ein neues Wort für die durchaus strittige Vorratsdatenspeicherung. Soll das Wort ablenken?

Georg Eisenreich: Das Wort soll darauf hinweisen, dass hier nicht der Inhalt, sondern Verkehrsdaten – wie IP-Adressen – gespeichert werden.

Die Kritik ist dieselbe wie bei der Vorratsdatenspeicherung. Daten werden generell auf Vorrat gespeichert, um sie später abrufen zu können. Damit wird die Bevölkerung unter Generalverdacht gestellt.

Georg Eisenreich: Nein. Ich will weder einen Überwachungsstaat noch den gläsernen Bürger. Mir geht es insbesondere um den Kampf gegen sexuellen Missbrauch von Kindern und Kinderpornografie. Damit werden über das Internet und das Darknet weltweit Geschäfte gemacht. Die Strafverfolgungsbehörden arbeiten daher international zusammen. Unser Problem ist, dass unsere Strafverfolgungsbehörden Hinweise auf schwere Straftaten erhalten, zum Beispiel auf noch laufenden sexuellen Kindesmissbrauch, und trotzdem nicht einschreiten können. Ohne die Verbindungsdaten sind unseren Ermittlern oft die Hände gebunden, weil die Täter nicht identifiziert werden können. Die Rechtslage ist momentan unklar. Derzeit werden die Verbindungsdaten faktisch nur bis zu sieben Tage gespeichert und sind daher bei behördlichen Anfragen häufig bereits gelöscht. Wir haben dann zwar eine IP-Adresse, können diese aber keinem Täter mehr zuordnen. Wir können die Kinder nicht herausholen, die Täter nicht bestrafen. Das ist schlimm. Der Europäische Gerichtshof hat die anlasslose Vorratsdatenspeicherung zwar grundsätzlich für nicht zulässig erklärt, aber ausdrücklich Spielräume für eine nationale oder europarechtliche Regelung der Verkehrsdatenspeicherung belassen. Diesen Spielraum sollte Deutschland nutzen. Nicht um den Einzelnen zu überwachen, sondern um schwerste Verbrechen aufzuklären und künftige Straftaten zu verhindern.

Ein anderes Beispiel: Menschen sind verreist, in ihrer Abwesenheit wird eingebrochen. Natürlich entdecken die Geschädigten den Einbruch erst nach ihrem Urlaub. Doch dann sind die Daten, etwa weil die Täter am Tatort mit ihren Handys eingeloggt waren, nicht mehr greifbar.

Georg Eisenreich: Das Thema sollte anhand von konkreten Straftaten diskutiert werden – ich bin davon überzeugt, dass die große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger der begrenzten und befristeten Speicherung von Daten zustimmen würde, wenn wir auf diese Weise schwere Verbrechen aufklären und Kinder vor Gewaltkriminalität schützen könnten. Es muss ganz deutlich gesagt werden: Die gesetzlichen Hürden, auf diese gespeicherten Daten dann als Strafverfolgungsbehörde auch zugreifen zu können, sind in Deutschland ohnehin sehr hoch.

Sollte nicht vor allem über Maßnahmen nachgedacht werden, die Kinder schützen, bevor sie zum Opfer werden? Die Diskussion dreht sich gern um Kinderpornografie im Darknet, doch häufig sind es doch Verwandte, die sich an den Jungen und Mädchen vergreifen.

Georg Eisenreich: Wir benötigen beides. Prävention und konsequente Strafverfolgung. Ich bin sehr froh, dass der Bundesgesetzgeber die Strafen für Kindsmissbrauch verschärft hat. Wir setzen in Bayern aber auch auf Prävention. Dazu haben wir in Nürnberg, München und Würzburg psychotherapeutische Fachambulanzen zur Nachsorge von Straftätern eingerichtet. Eine wichtige Maßnahme, wenn Sexualstraftäter aus der Haft entlassen werden. Daneben setzen wir in Bayern auf das Bundes-Projekt "Kein Täter werden" – es richtet sich an Menschen, die unter einer pädophilen Neigung leiden und eine Therapie bekommen möchten, bevor sie Straftaten begehen. Neben den Standorten Bamberg und München soll noch in diesem Jahr ein dritter Standort in Regensburg aufgebaut werden. Der beste Schutz eines Kindes ist, wenn es erst gar nicht Opfer einer Straftat wird.

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