Corona-Verstöße: Über 6000 Anzeigen in Nürnberg seit April 2020

27.3.2021, 05:53 Uhr
5000 Euro Bußgeld für das Mach1: Ein junge Mann hatte dort im August gefeiert, von seiner Corona-Infizierung wusste er nichts. Doch die Party war nicht erlaubt. Angesteckt wurde übrigens niemand.

© Eduard Weigert, NNZ 5000 Euro Bußgeld für das Mach1: Ein junge Mann hatte dort im August gefeiert, von seiner Corona-Infizierung wusste er nichts. Doch die Party war nicht erlaubt. Angesteckt wurde übrigens niemand.

Feiern auf öffentlichen Plätzen: 500 Euro. Verstoß gegen die Maskenpflicht: 250 Euro. Entgegen der nächtlichen Ausgangssperre unterwegs: 500 Euro. Die Wohnung ohne einen triftigen Grund verlassen: 250 Euro. Als Einzelhändler das Geschäft trotz Lockdown öffnen: 5000 Euro.

Diese Regelsätze schlägt der "Bußgeldkatalog Corona-Pandemie" des Bayerischen Gesundheitsministeriums vor, das Rechtsamt der Stadt Nürnberg orientiert sich an deren Höhen- und ebenso wie bei Strafzetteln, die Falschparker von der kommunalen Verkehrsüberwachung kassieren, geht es bei diesen Verstößen um Ordnungswidrigkeiten.

6389 Anzeigen gingen seit 1. April 2020 beim Rechtsamt der Stadt Nürnberg ein. Der Spitzenreiter: 4176 Verstöße gegen Kontaktbeschränkungen. 1251 Verstöße gegen die Maskenpflicht wurden gemeldet und im Bereich Betriebsuntersagung - gemeint sind Gastronomie und Freizeiteinrichtungen - wurden 94 Anzeigen erstattet. Seither wurden von der Stadt 4474 "Corona"-Bußgeldbescheide erlassen.

Böse Überraschung nach dem Urlaub

Die laute Party beim Nachbarn, Menschenmassen im Park, das Nichttragen von Masken im Bus oder in der Bahn - eine Pflicht, die Polizei zu alarmieren, gibt es nicht. Woher rühren die Anzeigen? Anrufe von besorgten Bürgern oder Racheakte? Denunziationen? In vielen Fällen fallen Kontaktverstöße eher nebenbei auf, ist aus dem Ordnungsamt zu hören, etwa weil sich ein Nachbar wegen Ruhestörung beschwert und sich dabei zeigt, dass auch gegen die Kontaktbeschränkung verstoßen wurde.

Im Sommer 2020 erfuhr Peter K. (Name des Betroffenen geändert) wie Corona plötzlich sein Leben veränderte - und dass, wer nicht folgsam ist, weniger die Ermittler als den Volkszorn fürchten muss. Er hatte in Spanien geurlaubt, am 15. August flog er zurück nach Nürnberg. Was er nicht wusste: Spanien war vom 14. auf den 15. August 2020 als RKI-Krisengebiet neu eingestuft worden, die Fluggäste wurden darüber nicht informiert. Als er am Albrecht-Dürer-Flughafen ausstieg, ging es per Shuttle-Bus zum Corona-Test-Center, dort machte er einen freiwilligen Test. Sollte er sich, bis er das Ergebnis erhalten würde, vorsorglich in häusliche Quarantäne begeben? Peter K. zeigte keinerlei Symptome, am Flughafen habe man damals abgewunken, versichert er heute über seine Rechtsanwältin Nicole Obert.

So spazierte er an jenem Abend in den Club "Mach 1", dort war eine Party mit 87 Gästen als Privatfeier deklariert worden. Als Peter K. Tage später erfuhr, dass sein Corona-Test positiv war, informierte er sich sofort bei den Behörden. Doch das Gesundheitsamt hatte keine Chance, alle Gäste zu informieren - denn einige hatten bei der nicht genehmigten Veranstaltung falsche Telefonnummern oder unleserliche Namen auf die Gästeliste gekritzelt.

Einspruch gegen Bußgeld kann jeder einlegen

Und während gegen Peter K. wegen versuchter Körperverletzung und versuchter fahrlässiger Körperverletzung noch ermittelt wurde, ihm drohten mehrere Tausend Euro Geldbuße plus Strafverfolgung, schäumten einige Kommentatoren bei Facebook und nordbayern.de vor Zorn, die informelle Moralüberwachung ätzte, schließlich brauchen Daumen-hoch-Daumen-runter-Drücker keine Hintergrundkenntnisse. Am Ende folgten die Ermittler der Argumentation von Nicole Obert: Die Gäste des "Mach1" hatten sich schon allein durch ihre Teilnahme an der illegalen Party selbst in Gefahr begeben. Angesteckt wurde übrigens keiner, bestätigt das Ordnungsamt, gegen die Club-Betreiber wurden 5000 Euro Bußgeld verhängt.

Rechtssicherheit ist kein Prinzip, das erst ab einem bestimmten Wert beginnt. Kein Bürger würde akzeptieren, würden sich Gerichte erst mit Forderungen nach Schadenersatz ab 1000 Euro befassen oder Diebstähle unter 50 Euro unter den Tisch fallen lassen. Und wer einen Strafzettel kriegt, kann gegen das Bußgeld Einspruch einlegen, im Amtsgericht streiten und sich im äußersten Fall via Rechtsbeschwerde an das Bayerische Oberste Landesgericht wenden.

Verhandlungen im Viertelstundentakt

Und dies gilt auch für die so genannten Corona-Verstöße. Hier, im Amtsgericht, im Erdgeschoss des Justizgebäudes an der Fürther Straße, werden kleinere Fälle verhandelt, aber auch Strafen bis zu vier Jahren verhängt: Schwarzfahrer, Exhibitionisten, Schlägereien oder Drogendelikte. Amtsrichter sind auch an Verhandlungen im Viertelstundentakt gewöhnt, und einen Verhandlungstag im Monat reservierte Amtsrichterin Claudia Bendick-Raum bisher für "Owis", Einsprüche gegen verhängte Bußgelder in Folge von Ordnungswidrigkeiten. Ein Verhandlungstag im Monat - das war vor Corona. Mittlerweile benötigt sie die doppelte Zeit, etwa acht Prozent der Betroffenen legen Einspruch ein. Und wie immer gilt: Jeder Fall ist anders. Hier bestreiten renitente Corona-Skeptiker jeden Sinn der Maßnahmen, selbst ernannte Reichsbürger zweifeln ohnehin an jeder Art staatlichen Handelns und einige Kläger bitten hilflos nur darum, ein Bußgeld zu mildern. Wie jener junge Mann, der seinen einsamen Vater besuchte - rechtlich ein Verstoß gegen die Kontaktbeschränkungen, menschlich verständlich. Das Bußgeld zu reduzieren ist Ermessenssache.

Wirt: 3,50 Euro Einnahmen, 2500 Euro Bußgeld

Am 6. Mai 2020 geriet ein Gastwirt in das Visier einer Polizeistreife. Vor seiner Kneipe hatte er die Tische und Stühle aufeinander gestapelt, Gäste durfte er nicht bewirten, gestattet war nur, Speisen außer Haus zu verkaufen, nicht aber, nur Getränke abzugeben. Dennoch, so versichert ein Polizist im Zeugenstand, habe er damals tagelang immer wieder Menschen vor dem Lokal beobachtet. "Aber es musste doch Geld ins Haus kommen", ruft der Wirt im Gerichtssaal, er schwört beim Leben seiner drei Kinder, das Getränke-Verbot nicht gekannt zu haben. Seine traurige Tagesbilanz: 3,50 Euro Einnahmen für zwei Kaffee und ein Wasser. Auf der Ausgabenseite: 2500 Euro Bußgeld für den Verstoß gegen die Betriebsuntersagung. Mittlerweile hat er seinen Betrieb aufgegeben. Er lebt vom Jobcenter und hofft im Frühjahr auf eine Stelle als Bauarbeiter. Schon aufgrund der geänderten finanziellen Lage wird das Bußgeld auf 350 Euro gemildert, in 20-Euro-Raten darf er es abstottern. "Wenn ich kann, zahle ich 50 Euro, Frau Richterin", sagt er im Hinausgehen, seine Dankbarkeit ist groß.

Weiter geht es mit einem Massendelikt: Ein Verstoß gegen die Maskenpflicht. Am 14. September 2020 wurde ein Mechaniker (28) per Bußgeld im Hauptbahnhof ermahnt, doch ein Attest befreit ihn von der Tragepflicht.

"Es ist natürlich auffällig, wenn sehr viele Leute ihre Atteste von einem bestimmten Arzt bekommen", erklärt die Richterin. In Passau soll ein Mediziner Atteste für mehrere Hundert Patienten ausgestellt haben, auch für Patienten außerhalb Bayerns. Und auch die Staatsanwaltschaft Bamberg hegt den Verdacht, dass Gefälligkeitsatteste ausgestellt wurden und ließ Ende November drei Arztpraxen im Raum Bamberg und Erlangen durchsuchen. Der Knackpunkt: Bei jedem Attest muss geprüft werden, ob die Person untersucht wurde, die Diagnose stimmt oder ob das Atteste pauschal angefertigt wurde.

Illegale Pokerrunde aufgelöst

Doch nach der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung müssen Personen keine Maske tragen, wenn ihnen das wegen einer Behinderung oder aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich oder unzumutbar ist - und auf dem Attest des Mechanikers wird die Diagnose genannt. Das Ordnungswidrigkeitengesetz lässt in § 47 zu, dass ein Verfahren eingestellt wird, und hier ist keine Ahndung geboten.

Eine 65-Jährige aus Kraftshof ringt schon um Fassung, als sie den Gerichtssaal betritt. Sie wartete am 5. September an einer Haltestelle im Knoblauchsland auf den Bus, und nahm, weil sie eine Semmel essen wollte, ihre Maske ab. Eine Polizeistreife stoppte, die Frau wurde belehrt. Eingeschüchtert verzichtete auf ihre Brotzeit. Doch als sie alleine in dem Bus saß, wagte sie eine neuen Versuch. Die Polizisten sahen durch die Fenster nur, dass sie erneut die Maske vom Gesicht zog - sie ließen den Bus stoppen und verhängten das Bußgeld. Die 65-Jährige weint vor Gericht. "Wissen Sie, mein Zucker war schon ganz unten, ich musste was essen". Die Richterin hört von den Polizisten, dass an der Haltestelle und im Bus kaum Menschen waren, und erklärt: "Die Maske für kurze Zeit zum essen und trinken abzunehmen, ist auch im Bus erlaubt." Das Verfahren wird eingestellt.

Doch bei Verstößen gegen das Infektionsschutzgesetz drohen nicht nur Bußgelder, bei Straftaten stehen Geld- und Freiheitsstrafen im Raum. Und eindeutig zu hoch pokerten zehn Männer am 5. Februar 2021 in einer Kneipe im Stadtteil Gostenhof in Nürnberg - sie ignorierten die Corona-Sperrstunde, beteiligten sich an einem illegalen Glückspiel und verklebten die Fenster der Kneipe, um nicht gesehen zu werden. Die Polizei beschlagnahmte Würfel, Spielkarten und über 60.000 Euro.

Arbeitsstunden für kriminelle Jugendliche kaum möglich

Derartige Verstoß gegen das Infektionsschutzgesetz werden mit mehreren Tausend Euro geahndet - gleichzeitig wird gegen den Betreiber wegen der Veranstaltung eines illegalen Glücksspiels ermittelt.

Doch ausgerechnet im Jugendstrafrecht ist die Ahndung, nicht nur von Corona-Verstößen, derzeit ein echtes Problem, wie Christine Wehrer, Leiterin der Jugendabteilung am Amtsgericht Nürnberg und zugleich Chefin der hiesigen Jugendarrestanstalt, bestätigt. Gerade hier soll die Strafe auf den Fuß folgen, schließlich zielt der Erziehungsgedanke nicht auf Vergeltung, sondern darauf, die Halbwüchsigen für die Gesellschaft zurückzugewinnen. Doch die häufig verhängten Sozialstunden sind in diesen Corona-geplagten Zeiten nur schwer zu vermitteln. Die Hygiene-Konzepte vieler Einrichtungen lassen es nicht zu.

Umstrittene 15-Kilometer-Regel

Für Verstöße gegen den Bewegungsradius wurden übrigens keine Bußgelder verhängt. Die obersten bayerischen Verwaltungsrichter, der Corona-Senat des Verwaltungsgerichtshofs sitzt in Ansbach, hatten die umstrittene 15-Kilometer-Regel für Bewohner von "Corona-Hotspots" bereits am 26. Januar 2021 vorläufig außer Vollzug gesetzt. Seit 11. Januar waren laut der Corona-Verordnung des Freistaats Ausflüge nur in einem Umkreis von höchstens 15 Kilometern um den Wohnort erlaubt, wenn das Robert Koch-Institut im betreffenden Landkreis oder in der kreisfreien Stadt mehr als 200 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen einer Woche meldet. Unter anderem hatten drei SPD-Landtagsabgeordnete, darunter der Fraktionsvorsitzende Horst Arnold aus Fürth, gegen die Regelung Eilanträge eingereicht.

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