Nürnberger Stadtteilgeschichte

Eine Villa zum kleinen Preis: So entstand die Kolonie Schoppershof

8.12.2021, 14:23 Uhr
1899 gab es in Schoppershof diese Ansichtskarte zu kaufen, die im Zentrum das Panorama der ersten Koloniehäuser Schoppershofstraße 42–52 (von rechts) zeigt. Drumherum erstreckten sich damals noch Äcker und Wiesen.  

© Erwin von Leistner (Sammlung Sebastian Gulden) 1899 gab es in Schoppershof diese Ansichtskarte zu kaufen, die im Zentrum das Panorama der ersten Koloniehäuser Schoppershofstraße 42–52 (von rechts) zeigt. Drumherum erstreckten sich damals noch Äcker und Wiesen.  

Eigenheim gegen Lebensversicherung – das war der Deal, den die Deutsche Volksbaugesellschaft ihren potenziellen Kundinnen und Kunden vor nunmehr 120 Jahren anbot. Das Ziel des Unternehmens, das eine Gruppe preußischer Adeliger unter Führung Helmuth Graf von Moltkes 1890 ins Leben gerufen hatte, war es, "Heimstätten für die kapitallosen Volksklassen zu gründen".

Nach Berliner Vorbild

Bei Interesse mussten die Häuslebauer eine Police über den Kaufpreis ihres neuen Heims abschließen, die Prämienzahlung wurde mit der Miete verrechnet. Spätestens mit dem 60. Geburtstag oder dem Tod des Versicherungsnehmers ging das Haus ohne weitere Verpflichtungen gegenüber der Gesellschaft in dessen volles Eigentum oder das seiner der Erben über.

Bürgerliches Vorstadtidyll wie aus dem Bilderbuch: die Lutzstraße um 1905 von der Einmündung Scharnhorststraße gegen Norden gesehen. Vorne links steht die Villa Schmidt (Nr. 5).  

Bürgerliches Vorstadtidyll wie aus dem Bilderbuch: die Lutzstraße um 1905 von der Einmündung Scharnhorststraße gegen Norden gesehen. Vorne links steht die Villa Schmidt (Nr. 5).   © unbekannt, Sammlung Sebastian Gulden

Zumindest in der Anfangszeit erfuhr das Geschäftsmodell mit sozialreformatorischem Anstrich einigen Zuspruch, und so konnte die Volksbaugesellschaft schon ein Jahr nach Gründung ihre erste Doppelhaussiedlung im Berliner Stadtteil Lichterfelde ins Werk setzen, weitere folgten alsbald in Hermsdorf und Neu-Rahnsdorf. 1898 geriet dann der im Jahr darauf nach Nürnberg eingemeindete Vorort Schoppershof ins Visier des Fürstenkonzerns. Die Gesellschaft sicherte sich im Südwesten des Herrensitzes Weigelshof an der Bismarckstraße ein großes Stück Ackerland.

Vom Acker zur Straßenbahn

Dort draußen fand man günstiges Bauland vor, das dennoch gewisse Standortvorteile bot: Bis zur nächsten Straßenbahnhaltestelle mit Verbindung zum Ostbahnhof und zur Innenstadt waren es gerade sieben Minuten Fußweg. In der gleichen Zeit gelangte man ins wachsende neue Stadtteilzentrum am Olof-Palme-Platz mit Volksschule und Geschäften des täglichen Bedarfs.

Seit Beginn des 20. Jahrhunderts sind in der Lutzstraße ein paar neue Gebäude hinzugekommen, darunter die gestalterisch besonders prominente Nr. 3 (zweites Haus von links). Der ursprüngliche Charakter ist aber noch immer erlebbar.  

Seit Beginn des 20. Jahrhunderts sind in der Lutzstraße ein paar neue Gebäude hinzugekommen, darunter die gestalterisch besonders prominente Nr. 3 (zweites Haus von links). Der ursprüngliche Charakter ist aber noch immer erlebbar.   © Boris Leuthold

Bis 1901 errichtete die Gesellschaft auf ihrem Land eine kleine Wohnkolonie aus acht Doppelhäusern. Alle Bauten folgten Entwürfen des Nürnberger Architekten Leonhard Bürger. Trotz des knappen Budgets gelang es ihm, der Siedlung durch wiederkehrende Gestaltungsmotive wie dem einfachen Bauschmuck und den Wechsel von Putzflächen und Burgsandstein ein einheitliches Gepräge zu verleihen.

Verziert mit Erkern und Giebeln und Türmchen

Sandsteinerker, mit Schnitzwerk und Sichtfachwerk geschmückte Söller, Balkone und Zwerchhäuser verliehen den Bauten zusammen mit Schlepp- und Giebelgauben, den Spitzhelmen und Welschen Hauben der Erker- und Treppentürme mit ihren Wetterfahnen einen malerischen, ja märchenhaften Charakter.

Die Gesellschaft und ihre Erwerber waren denn offenbar ziemlich stolz auf die schmucke Siedlung vor der Stadt. So stolz, dass sie 1899 bei der Nürnberger Stadtverwaltung beantragten, den vormals privaten Erschließungsweg "Villenstraße" zu benennen. Die Stadt indes sortierte diesen Vorstoß in die Kategorie "netter Versuch" ein und gab der Trasse den Namen des bayerischen Ministerratsvorsitzenden Johann Freiherr von Lutz (1826–1890). Ganz unrecht hatte die Obrigkeit damit nicht.


Die Bismarckstraße in Schoppershof im Wandel der Zeit


Mögen Bürgers Doppelhäuser auch den Eindruck einer Villensiedlung erwecken, beweist ein Blick auf Grundrisse und Ausstattung, dass die Gebäude genau das waren, als was sie der Stuttgarter Architekt Erwin Großmann zu ihrer Bauzeit in einem Tafelband bezeichnet hatte: "Billige Wohnhäuser" – wobei "billig" hier im Sinne von "preiswert" zu verstehen ist. Die Raumaufteilung war günstig, aber weit entfernt vom repräsentativen Anspruch eines noblen Einfamilienhauses. Zudem besaßen sämtliche Gebäude anfangs keine Bäder, das Häuserpaar Bismarckstraße 50/52 gar nur jeweils eine von außen zugängliche Toilette.

Wohntraum für den schlankeren Geldbeutel: Die verspielten Doppelhäuser Bismarckstraße 50/52 (von rechts) wirkten 1899 ein wenig wie zeitgenössische Villen.  

Wohntraum für den schlankeren Geldbeutel: Die verspielten Doppelhäuser Bismarckstraße 50/52 (von rechts) wirkten 1899 ein wenig wie zeitgenössische Villen.   © Boris Leuthold

Wohnhäuser, die sich mit Fug und Recht als "Villen" titulieren dürfen, entstanden in der Lutzstraße erst später und ohne Zutun der Volksbaugesellschaft in Gestalt des Anwesens Nr. 5, das Architekt Georg Schmidt 1900 nach eigenem Plan errichten ließ sowie der Mietsvillen Nr. 1 (1901 von Leonhard Bürger) und Nr. 3 (1910 von Johann Hertlein), die im Jugend- und Heimatstil gehalten sind.

Manche Eigentümer engagieren sich für Wiederbelebung

Apropos preiswert: Mit Baukosten von 17.000 bis 25.000 Mark (nach heutiger Kaufkraft etwa 117.000 bis 171.000 Euro) ohne Grundstück waren die Häuser in der Tat ein Schnäppchen. Für die "kapitallose" Zielgruppe war das aber immer noch unerschwinglich, denn das Finanzierungskonzept der Volksbaugesellschaft krankte an den hohen Bauneben- und Instandhaltungskosten, die man auf die Kunden abwälzte. So wundert es nicht, dass die ersten Mieter beziehungsweise Eigentümer im Jahre 1900 durchwegs der gehobenen Mittelschicht angehörten.

Noch heute ist das Hauspärchen klar zu erkennen, wenngleich leider viele reizvolle Details verlorengegangen sind oder – wie das Zierfachwerk – überputzt wurden.  

Noch heute ist das Hauspärchen klar zu erkennen, wenngleich leider viele reizvolle Details verlorengegangen sind oder – wie das Zierfachwerk – überputzt wurden.   © Boris Leuthold

Wie es halt so ist bei ehemals einheitlichen Ensembles, sind einige Häuser durch wenig einfühlsame Umbauten und Modernisierungen mittlerweile arg gerupft. Umso erfreulicher ist da, dass die Eigentümer der Lutzstraße 6 ihr Haus 2017 liebevoll restaurieren und wieder dem originalen Zustand annähern ließen.

Und auch sonst vermitteln die Bauten der Kolonie Schoppershof mit ihren grünen, gepflegten Vorgärten und malerischen Fassaden noch heute jene bürgerliche Wohnidylle, die sich die Häuslebauer der Deutschen Volksbaugesellschaft einst erträumt hatten. So schön kann Vorstadt sein!

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Unter den Koloniehäusern in der Lutzstraße sticht die Nr. 11 mit ihrem vorwitzigen Eckturm heraus. Das Gebäude gehört zu jenen, die sich weitgehend im Originalzustand erhalten haben.  

Unter den Koloniehäusern in der Lutzstraße sticht die Nr. 11 mit ihrem vorwitzigen Eckturm heraus. Das Gebäude gehört zu jenen, die sich weitgehend im Originalzustand erhalten haben.   © Boris Leuthold

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