Freude für alle Fall 36

Erzwungene Trennung: Wenn das Geld nicht mal für den Besuch der Tochter im Heim reicht

Silke Roennefahrt

Lokalredaktion

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23.12.2022, 17:55 Uhr
Es ist ein Trauma, das die Betroffenen lange begleitet: Sexueller Missbrauch innerhalb der eigenen Familie hinterlässt tiefe Spuren (Symbolfoto).

© Nicolas Armer, NNZ Es ist ein Trauma, das die Betroffenen lange begleitet: Sexueller Missbrauch innerhalb der eigenen Familie hinterlässt tiefe Spuren (Symbolfoto).

Nach außen hin wirkt Denise (Name geändert) wie ein ganz normales Mädchen. Die dunklen Locken zum Dutt hoch gesteckt, kommt sie ins Besprechungszimmer des Martin-Luther-Hauses geschlendert und unterhält sich ohne Scheu mit den fremden Besuchern. Wie es wirklich in der Zehnjährigen aussieht, das wissen nur die Therapeuten, die ihre schlimmen Erlebnisse behutsam mit ihr nach und nach aufarbeiten.

Keine Geborgenheit

Echte Geborgenheit hat die Kleine nie erlebt. Beide Elternteile haben als Heranwachsende selbst viel durchgemacht, ein stabiles Heim konnten sie Denise nicht bieten. Gewalt und die Drogensucht des Vaters prägten den Beziehungsalltag. Denise war noch ein Kleinkind, als die Mutter Mann und Tochter verließ. "Sie hat Angst vor ihm gehabt", sagt die zuständige Sozialpädagogin. Das Mädchen wuchs beim Vater auf, zu dessen Unterstützung kam eine Familienhilfe ins Haus.

Lange Zeit schien das gut zu funktionieren, die Betreuer stellten bei Denise lediglich eine leichte Entwicklungsverzögerung fest - und vermittelten sie deshalb in die heilpädagogische Tagesstätte des Martin-Luther-Hauses. Dort vertraute das Mädchen einer Mitarbeiterin eines Tages Schreckliches an. Es erzählte derart eindeutig von sexuellen Übergriffen, dass bei den Erwachsenen alle Alarmglocken schrillten.

Offenbar sei sie, sagt die Sozialpädagogin, über einen längeren Zeitraum hinweg vom Vater missbraucht worden. Warum das nicht früher aufgefallen ist? Die Familienhilfe sei nur für ein paar Stunden pro Woche präsent gewesen, sagt die Fachfrau. Der Vater habe die Unterstützung gut angenommen und stets mitgearbeitet, so dass die Maßnahme sogar beendet wurde. Auch Denise war nichts anzumerken, erst nach geraumer Zeit vertraute sie sich einer Erzieherin an.

Das Jugendamt griff ein

Das Jugendamt nahm die damals Sechsjährige sofort in Obhut, seitdem lebt sie im Martin-Luther-Haus. Der Vater wurde zu einer Haftstrafe verurteilt. Denise geht es relativ gut, sie hat Freunde gefunden, sogar zur Mutter konnte das Jugendamt wieder einen Kontakt herstellen. Nach den vielen Jahren ohne eine persönliche Begegnung sei das Wiedersehen zunächst sehr seltsam gewesen, sagt Doris K. (Name geändert). "Doch die Kleine hat sofort ;Mama' zu mir gesagt."

So gut es ihr möglich ist, versucht sich die 37-Jährige jetzt wieder um ihre Tochter zu kümmern. Doch dabei stößt sie immer wieder an Grenzen. Weil sie chronisch krank ist, kann sie Denise derzeit nicht übers Wochenende nach Hause holen, in der Regel findet der Kontakt im Kinderheim statt. Auch das klappt aber nicht so oft, wie es aus Sicht der Betreuer wünschenswert wäre. Denn Doris K. (Name geändert), die mit ihrem neuen Partner im Landkreis Fürth lebt, ist so knapp bei Kasse, dass sie sich das Ticket im Verkehrsverbund nicht regelmäßig leisten kann. Und weil sie kein Geld vom Jobcenter bezieht, erstattet auch niemand ihre Auslagen.

Kein Einzelfall, wie eine Mitarbeiterin des Martin-Luther-Hauses betont. "Die Fahrtkosten sind für viele Familien ein Problem." Hinzu kommt, dass Mütter und Väter die wenigen Stunden mit ihrem Kind oft schön gestalten wollen, doch für einen Tiergarten- oder Kinobesuch fehlt den meisten erst recht das Geld. Manche Familien nehmen die Besuchstermine dann ohne Erklärung nicht wahr, aus Scheu zuzugeben, dass es an den Finanzen scheitert. "Dabei würden wir Kindern und Eltern solche Highlights so sehr wünschen."

Die Weihnachtsaktion will das Martin-Luther-Haus dabei unterstützen und dafür sorgen, dass die familiären Kontakte nicht an finanziellen Problemen scheitern. Denn auch wenn die meisten Kinder in den Wohngruppen leben, weil sie zu Hause nicht so gut aufgehoben waren: Die Beziehung zu Mutter oder Vater ist aus Sicht der pädagogischen Fachkräfte immens wichtig, wenn nicht gravierende Fakten dagegen sprechen. "Eine Einrichtung kann das nicht ersetzen."


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