Kommentar zum Rechtsterrorismus

Gut, dass die neue Regierung das Netzwerk des NSU aufklären will

29.11.2021, 05:58 Uhr
Familien und Angehörige der Mordopfer des NSU haben zusammen mit ihren Anwälten bereits zur Urteilsverkündung im Prozess gegen Beate Zschäpe im Sommer 2018 eine vollständige Aufklärung der Terrorserie gefordert. Die ist bisher ausgeblieben.

© imago images/Michael Trammer Familien und Angehörige der Mordopfer des NSU haben zusammen mit ihren Anwälten bereits zur Urteilsverkündung im Prozess gegen Beate Zschäpe im Sommer 2018 eine vollständige Aufklärung der Terrorserie gefordert. Die ist bisher ausgeblieben.

Wird man jemals mehr Licht in diese beispiellose Mordserie bringen können, die vor 21 Jahren begann? Zehn Menschen mussten sterben, nicht etwa, weil sie irgendjemandem etwas getan hätten oder irgendwie aufgefallen wären, sondern einzig und allein deswegen, weil sie nicht in das krude Weltbild einer Gruppe junger Leute passten, die von Hass und Verachtung getrieben waren.

Der NSU gilt als die am längsten unentdeckt gebliebene Terrortruppe in Deutschland, schon deswegen wird man nicht mehr alle Fragen beantworten können, die sich in diesem Komplex stellen. Spuren sind verwischt, Beweise unwiederbringlich verloren; schlampige Ermittlungsansätze und die Blockadehaltung des Verfassungsschutzes haben die vollständige Aufklärung ohnehin von Anfang an vereitelt.

Dennoch, es gibt noch genug zu tun. Rund 20 Schießgeräte hat man beim NSU-Kerntrio gefunden, darunter Pumpguns, eine Maschinenpistole und diverse Revolver sowie über 1600 Schuss Munition. Woher stammte das ganze Arsenal? Bis heute ist die Herkunft nicht geklärt.

Womöglich wollten sich die Terroristen weiter aufrüsten. Recherchen des gemeinsamen Rechercheteams von Nürnberger Nachrichten und Bayerischem Rundfunk zeigen: Auf ihren Adress- und "Feindeslisten" hatten die Rechtsterroristen jede Menge Waffenhändler auch in der Metropolregion Nürnberg notiert. Nur hat man den meisten Geschäftsleuten bis heute nicht mitgeteilt, wer sie ins Visier genommen hatte.

Im Wohnhaus des NSU-Kerntrios hat man verkohltes Kartenmaterial von Nürnberg gefunden.

Im Wohnhaus des NSU-Kerntrios hat man verkohltes Kartenmaterial von Nürnberg gefunden. © BKA, NNZ

Ein Versäumnis, das empört: Die Gefahr von Überfällen, Anschlägen und Mordtaten ist längst nicht gebannt. Die Sicherheitsbehörden haben inzwischen den Rechtsterrorismus als die derzeit größte Bedrohung in Deutschland eingestuft. Die Szene, die sich immer weiter aufsplittert und zu der auch gewaltbereite Einzeltäter gehören, ist schlagkräftig und lebt in klandestinen Strukturen.

Will man sie in Schach halten, ist es unabdingbar, ihre Netzwerke zu durchleuchten, und damit endlich auch die des NSU. Erstens, weil die Familien der Opfer ein Anrecht darauf haben, zu erfahren, wer ihre Väter ausgespäht hat oder wer beim Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn noch mit am Tatort gewesen ist. Und zweitens, um zu sehen, wie die jüngeren Taten der Rechtsextremen mit der NSU-Mordserie zusammenhängen.

Kontakt zum engsten Zirkel

Susanne G., die als Rechtsterroristin verurteilte Frau aus dem Nürnberger Land, hat vor zwei Jahren genau jenem muslimischen Verein im Nürnberger Land und einer Flüchtlingsberatungsstelle in der Umgebung Briefe mit Morddrohungen geschickt, die auch auf der 10.000er Liste des NSU standen. Sie hatte guten Kontakt zu André Eminger und einem weiteren Mann aus dem engsten NSU-Zirkel. Fotos auf ihrem Handy von gemeinsamen Feiern belegen dies.

Der Generalbundesanwalt, der die Regie über die NSU-Ermittlungen führt, kann seit zehn Jahren kein Ergebnis über den Kreis der Hintermänner und -frauen vorlegen. Das könnte sich ändern. Die neue Ampel-Regierung, so steht es im Koalitionsvertrag, will die Aufarbeitung des NSU-Komplexes "energisch vorantreiben".

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