So funktioniert konduktive Förderung

Nürnberg ist Vorreiter: Wie trotz Behinderung die Selbstständigkeit möglich ist

9.9.2021, 09:59 Uhr
Bei der Konduktiven Förderung lernt der achtjährige Ferdinand mit Hilfe von Krisztina Desits, Bewegungsabläufe aufzubauen und im Alltag anzuwenden.

© Roland Fengler, NNZ Bei der Konduktiven Förderung lernt der achtjährige Ferdinand mit Hilfe von Krisztina Desits, Bewegungsabläufe aufzubauen und im Alltag anzuwenden.

Gehen kann der achtjährige Ferdinand nicht, aber das heißt nicht, dass er sich nur per Rollstuhl fortbewegen muss. Krabbeln geht, aufstehen - mit etwas Hilfe - funktioniert auch. Das Kind hat eine Sehbehinderung und eine Cerebralparese, das ist eine permanente Bewegungs- und Haltungsstörung.

Mobiler und selbstständiger

Beim Verein für Menschen mit Körperbehinderung Nürnberg lernt Ferdinand, trotz seiner Handicaps eigenständiger zu werden. Konduktive Förderung - abgeleitet vom lateinischen Verb conducere für ,zusammenführen‘ - heißt das ganzheitliche Konzept, mit dem der Verein in Gleißhammer schon seit 25 Jahren erfolgreich arbeitet.

So sagt Daniela Krump vom Vorstand des Vereins: "Wir wissen aus Erfahrung, wie gut die Konduktive Förderung funktioniert. Kinder werden viel mobiler und selbständiger, erlernen wichtige Alltagsfertigkeiten." Krisztina Desits, die für diesen Bereich zuständig ist, ergänzt: "Es geht darum, wie man mit seinem Ressourcen umgehen kann. Also: Wie kann ich meinen Körper trotz Beeinträchtigungen bewegen?"


Therapie per Computer: "Das funktioniert richtig gut."


Im Fall von Ferdinand heißt das: Der Junge ist auf den Rollstuhl angewiesen, doch er kann sich stehend festhalten und ist geschickt. Damit kann man schon einiges anfangen: Ferdinand kann sich dank der Förderung alleine vom Rollstuhl auf seinen Stuhl am Esstisch oder auch vom Rollstuhl auf den Toilettensitz bewegen. "Das ist grandios", sagt seine Mutter Heidi Grabner.

"Es macht mir Spaß"

Langsam und geduldig werden Bewegungsabläufe eingeübt: Ferdinand zieht sich mit Unterstützung von Krisztina Desits an einem Stuhl hoch, klettert auf eine Bank. "Halte dich gerade", sagt Desits — und der Achtjährige, der eben noch ziemlich gebückt gestanden ist, richtet sich auf. Der Junge muss nicht motiviert werden, er ist mit Eifer dabei. "Es macht mir Spaß", sagt Ferdinand.

Konzentration und Kommunikation, motorische Geschicklichkeit, Lernfähigkeit werden durch verschiedene Übungen eingeübt und ausgebaut. Kinder, die bislang gefüttert werden mussten, lernen im Laufe der Zeit, den Löffel zu halten und diesen sicher an den Mund zu führen.

Der Weg ist oft weit. Es kann dauern, bis sich ein Lernerfolg einstellt. Krisztina Desits berichtet von Kindern, die sagen: "Das kann ich! Das will ich!" Und eines Tages geht es dann voran: Das Kind kann selbst die Schuhe anziehen, es kleidet sich ohne Hilfe an, es kann sich alleine vom Rollstuhl zum Toilettensitz hangeln. "Das beflügelt mich auch!"


Hier ist jeder mittendrin: Besuch in einer integrativen Kinderkrippe


Entwickelt wurde das ganzheitliche Lernkonzept vom ungarischen Arzt András Pető: In Deutschland nimmt Nürnberg hier eine Vorreiterrolle ein. Denn an der Evangelischen Hochschule Nürnberg ist Konduktive Förderung seit dem Wintersemester 2017 Teil des Studiengangs Heilpädagogik - unter anderem unterrichtet auch Krisztina Desits hier.

Der Studienschwerunkt Konduktive Förderung wird bislang bundesweit nur in Nürnberg angeboten. Die zuständige Professorin Birgit Mayer-Lewis erläutert: "Der konduktive Förderansatz orientiert sich dabei immer an den Bedürfnissen des Individuums und setzt sich zum Ziel, alltagsrelevante Fertigkeiten so zu stärken, dass die betroffenen Personen ein möglichst großes Ausmaß an Autonomie und Selbstständigkeit erreichen können."

Schwierige Finanzierung

Die Methode ist nicht nur für Kinder mit Entwicklungsverzögerungen, Behinderungen, Auffälligkeiten in der Koordination oder Konzentrations- und Lernschwierigkeiten geeignet. Auch Erwachsene können etwa nach einem Schlaganfall oder Schädel-Hirn-Trauma hier unterstützt werden: Der Verein für Menschen bietet ihnen regelmäßig Kurse an.
Trotz der guten Erfahrungen ist die Finanzierung der heilpädagogischen Maßnahme nicht leicht gewesen.

Seit gut einem Jahr übernimmt der Bezirk Mittelfranken in vielen Fällen - vor allem bei Heranwachsenden von der Geburt bis zum Ende der Schule - die Kosten. Die 24 Jahre davor habe man bis zu 60 Prozent der Kosten selbst stemmen müssen.

Ferdinands Mutter Heidi Grabner ist von dieser Förderung, von der sie nur zufällig erfahren hat, überzeugt: "Als Mutter hoffe ich, dass Ferdinand so autonom wie möglich durchs Leben kommt. Bei der Konduktiven Förderung lernt er, wie er Alltagssituationen alleine meistert. Damit wird der Grundstein für ein möglichst selbständiges Leben gelegt."

Verwandte Themen


Keine Kommentare