Verkehrsplaner Frank Jülich im Interview

Radwegenetz in Nürnberg: Auch in Zukunft nur ein Kompromiss?

Alena Specht

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23.6.2022, 09:50 Uhr
Immer mehr Radwege sollen in den nächsten Jahren in Nürnberg entstehen. Doch an einigen STellen wird es auch kompromisse geben müssen.

© Friso Gentsch, dpa Immer mehr Radwege sollen in den nächsten Jahren in Nürnberg entstehen. Doch an einigen STellen wird es auch kompromisse geben müssen.

Im Jahr 2009 hat der Stadtrat die Radverkehrsstrategie unter dem Motto „Nürnberg steigt auf“ beschlossen. Wie fahrradfreundlich ist Nürnberg seitdem geworden?
Jülich: Damals waren wir mit der Kampagne der Zeit weit voraus. Richtig Dynamik hat die Verkehrswende in den letzten fünf Jahren bekommen. Es wurden 15 Kilometer Fahrradstraßen realisiert und in sechs Stadtteilen das Radständerprojekt umgesetzt. Am Hauptbahnhof steht das Fahrradparkhaus und viele Kilometer Radstreifen wurden neu gebaut. Aber der Mobilitätsbeschluss des Stadtrates vom Januar 2020 zeigt viele Maßnahmen auf, die in den nächsten zehn Jahren noch umgesetzt werden müssen.
Denn Anteil der Wege, die von den Nürnbergerinnen und Nürnbergern mit dem Fahrrad zurückgelegt werden, stieg von zehn Prozent in 2009 auf 15 Prozent vor der Pandemie. Insofern sind wir ein gutes Stück weitergekommen, aber es liegt auch noch ein langer Weg vor uns.

Frank Jülich ist Leiter des Verkehrsplanungsamts der Stadt Nürnberg. In den letzten Jahren hat sich schon viel getan, doch er sagt auch: "Es liegt noch ein langer Weg vor uns."

Frank Jülich ist Leiter des Verkehrsplanungsamts der Stadt Nürnberg. In den letzten Jahren hat sich schon viel getan, doch er sagt auch: "Es liegt noch ein langer Weg vor uns." © privat, NNZ

Wie viele Kilometer Radwege gibt es inzwischen und wie soll sich das in den nächsten Jahren weiterentwickeln?
Derzeit umfasst das Radverkehrsnetz in Nürnberg etwa 330 Kilometer. Dazu zählen Schutzstreifen, Radfahrstreifen, Radwege und Fahrradstraßen sowie weitere 50 Kilometer landwirtschaftliche Wege und 17 Kilometer Wasserwirtschaftswege.
Und die Planung geht weiter: Die zweite Stufe des Fahrradstraßenkonzeptes ist bereits in Planung. Der erste Bauabschnitt des Radschnellweges in der Nürnberger Nordstadt wird in diesem Jahr begonnen. Wichtige Lücken im Radwegenetz mit der Bayreuther Straße, der Ostendstraße, der Willstraße und Brettergartenstraße werden zeitnah geschlossen.

Wie viel Geld investiert die Stadt im Jahr dafür?
Der Radverkehrsetat wurde in den letzten Jahren deutlich erhöht. Bis vor wenigen Jahren standen jährlich 500.000 Euro zur Verfügung. Ab 2020 wurde der Etat stufenweise erhöht, ab 2023 stehen jährlich zehn Millionen Euro zur Verfügung. Dazu kommen Fördermittel von Bund und Land.

Welche Stellen stehen als Gefahrenhotspots für Radlerinnen und Radler ganz oben auf der Liste?
Es gibt zahlreiche Straßen in Nürnberg, bei denen der Platz nicht ausreicht, um zusätzliche Radwege anzulegen. Nicht selten muss der Stadtrat Kompromisse machen. Beispiele gibt es einige: Entlang des Altstadtrings ist der Radweg viel zu schmal für die wachsende Anzahl an Radfahrenden.
Ein anderes Beispiel ist die Landgraben- und Wölckernstraße – eine zentrale Achse für die Straßenbahn. Hier wird es auf absehbare Zeit keine separate Radverkehrsinfrastruktur geben. Hier müssen wir die Parallelrouten fahrradfreundlich machen, deshalb wurde die Humboldtstraße zur Fahrradstraße. Und im Pegnitztal-West ist der Rad- und Gehweg viel zu schmal. Um eine Entlastung zu bringen, wird in der Fürther Straße im Rahmen des vom Stadtrat beschlossenen Radvorrangroutennetzes zusätzliche Infrastruktur geschaffen.

Die Allersberger Straße wurde bei unseren Leserinnen und Lesern immer wieder als Problemstelle genannt. Ist hier ein Umbau geplant?
Auch hier sind planerische Kompromisse unvermeidbar, denn wir müssen die Belange der Straßenbahn berücksichtigen. Deswegen werden wir dort nur punktuell die Bedingungen für den Radverkehr verbessern.

Radwege sind ja schön, aber wenn die ständig zugeparkt werden und man auf die Straße ausweichen muss, wird das Radfahren eher gefährlicher. Wie wird das Parken auf Radwegen kontrolliert?
Die Kontrolle obliegt der Polizei und dem Zweckverband Kommunale Verkehrsüberwachung. Hier wird künftig auch sehr viel stärker kontrolliert und es werden Schwerpunktaktionen durchgeführt. Durch die Änderung des Bußgeldkatalogs kann das Parken auf dem Radweg seit November 2021 nun bis zu 100 Euro kosten und einen Punkt einbringen. Dadurch versprechen wir uns eine abschreckende Wirkung und eine bessere Einhaltung der Regelungen.

Wie steht Nürnberg in Bezug auf Fahrradfreundlichkeit im Vergleich zu anderen Städten da?
Alle Städte arbeiten derzeit daran, den Radverkehr zu fördern. Einige sind schon sehr lange dabei, andere haben später begonnen. In Deutschland müssen wir uns nicht verstecken, das haben wir auch 2019 bei der externen Evaluation von „Nürnberg steigt auf“ bescheinigt bekommen. Bei einigen Projekten sind wir Vorreiter, wie zum Beispiel bei dem prämierten Projekt „Radständer in den Stadtteilen“ oder bei der Erarbeitung des Radvorrangroutennetzes.
Der weitere Ausbau der Infrastruktur schreitet dagegen vielleicht noch zu langsam voran, weil hierfür Personal bei Planung und Bau fehlt und die finanziellen Mittel erst vor wenigen Jahren erhöht wurden. Die Fahrradfreundlichkeit ist zum Teil aber auch eine subjektive Wahrnehmung. Jede Stadt bringt andere Voraussetzungen bei Straßenbreiten, Bebauungsstrukturen und ÖPNV-Systemen mit.

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