Neue Verhandlungen mit Deutscher Bahn

Vergessener Bahnhof Märzfeld erinnert an NS-Opfer: Wann wird er zum würdigen Gedenkort?

Isabel Lauer

Lokalredaktion Nürnberg

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22.4.2022, 08:00 Uhr
Zugewachsen und für Besucher unsichtbar: Der Bahnhof Märzfeld in Langwasser wurde 1987 stillgelegt, dient heute nur noch als Durchfahrtsort im Güterverkehr.

© Nina Dworschak Zugewachsen und für Besucher unsichtbar: Der Bahnhof Märzfeld in Langwasser wurde 1987 stillgelegt, dient heute nur noch als Durchfahrtsort im Güterverkehr.

Wie es um die Erschließung dieses Ortes bestellt ist, zeigt sich an so einem entscheidenden Detail wie dem Schlüssel. Denn so genau weiß niemand, wer ihn eigentlich hütet. Der Schlüssel, mit dem man über den vergitterten Aufgang zum Bahnsteig gelangen könnte, bleibt auch bei Ortsterminen manchmal unauffindbar und das Gitter dann halt verschlossen, erzählen Beteiligte.

Durchgangsort für Deportierte und Zwangsarbeiter

Der Bahnhof Märzfeld in Langwasser ist ein wichtiger Schauplatz der Nürnberger Lokalgeschichte des Nationalsozialismus, als solcher aber kaum zu erkennen. Stattdessen gibt es Unkraut, Graffiti, Müll und zwei dunkle Unterführungen zu sehen. Das soll anders werden – diesmal vielleicht wirklich. Bis spätestens Frühjahr 2025, das haben die Stadtverwaltung und die Deutsche Bahn vereinbart, soll der denkmalgeschützte Ort am Ende der Groß-Strehlitzer-Straße endlich gepflegter aussehen. Es ist ein wiederholter Anlauf seit den ersten politischen Vorstößen vor zwei Jahrzehnten.

Die Fassade des Bahnhofsgebäudes ist denkmalgeschützt wie auch das übrige Reichsparteitagsgelände.

Die Fassade des Bahnhofsgebäudes ist denkmalgeschützt wie auch das übrige Reichsparteitagsgelände. © Nina Dworschak

2000 Jüdinnen und Juden aus Franken sind von diesem Bahnhof aus bei zwei Deportationen in den Tod geschickt worden. Vom ersten Transport am 29. November 1941 in das Konzentrationslager Riga-Jungfernhof überlebten nur 52 Menschen den Holocaust. Beim zweiten, am 24. März 1942 nach Izbica in Polen, überlebte niemand. Der kleine Bahnhof Langwasser war zur gleichen Zeit eine Durchgangsstation für viele Zehntausende Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter, die nach oder durch Nürnberg geschleust wurden. Tausende von ihnen, insbesondere aus der Sowjetunion, starben in den Lagern auf dem angrenzenden Reichsparteitagsgelände an Hunger, Krankheit und Misshandlung.

Keine Einigung über Kosten

Heute vergeht keine Woche, in der sich nicht Nachfahren dieser mit Nürnberg verbundenen Opfer der NS-Gewaltherrschaft im Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände melden. Dort betreut Historikerin Nina Lutz das Themengebiet. Warum ein würdiges Erinnern dringend nach einer Aufwertung des 1938 angelegten und nie fertiggestellten Märzfeld-Bahnhofs verlangt, zeigt sich bei ihrer Führung zum 80. Jahrestag der Deportation vom März 1942. Immerhin zehn Teilnehmer kommen, und das an einem Nachmittag unter der Woche.

Die Aufnahme aus dem November 1941 zeigt jüdische Bürger aus Nordbayern, die auf dem Weg ins Sammellager nahe dem Bahnhof Märzfeld im heutigen Langwasser sind.

Die Aufnahme aus dem November 1941 zeigt jüdische Bürger aus Nordbayern, die auf dem Weg ins Sammellager nahe dem Bahnhof Märzfeld im heutigen Langwasser sind. © Privatarchiv Ernst Gortner

Eine Besucherin, sie ist Geschichtslehrerin in Bamberg, erwähnt ihre Recherchen mit Schülern für ein Erinnerungsbuch zur jüdischen Gemeinde des Nachbarorts Trabelsdorf. Die neun letzten Trabelsdorfer Juden fanden nach dem Transport über Nürnberg nach Izbica den Tod. Nina Lutz kann der kleinen Gruppe von den quälenden Zuständen auf der Reise berichten – erst Schikanen im Sammellager in Langwasser, Stockhiebe, im Zug dann Enge, Hitze und Kälte, drei Tage kein Wasser.

Historikerin Nina Lutz führt Rundgangsteilnehmer zum Ort des provisorischen Sammellagers, in dem Juden aus ganz Franken auf ihre Deportation warten mussten. Heute ist auf der Wiese neben einem Firmengelände an der Breslauer Straße nichts mehr davon zu erahnen.

Historikerin Nina Lutz führt Rundgangsteilnehmer zum Ort des provisorischen Sammellagers, in dem Juden aus ganz Franken auf ihre Deportation warten mussten. Heute ist auf der Wiese neben einem Firmengelände an der Breslauer Straße nichts mehr davon zu erahnen. © Nina Dworschak

Dass hier Menschen solches Grauen widerfuhr, ist ausgerechnet nur auf der Rückseite der zwei Informationstafeln zu lesen. Die zugewachsene Böschung, Zäune und Mauern lassen keinen Blick auf die Gleise zu. Im Treppenaufgang liegt eine Sardinenbüchse im Laub. "Ich hoffe, dass ich Ihnen in ein, zwei Jahren einen Erinnerungsort zeigen kann, der den Opfern gerecht wird", sagt Nina Lutz.

Abgesperrt und verwahrlost, so zeigt sich das Bahnhofsgebäude Märzfeld schon lange.

Abgesperrt und verwahrlost, so zeigt sich das Bahnhofsgebäude Märzfeld schon lange. © Nina Dworschak

Seit vergangenem Herbst verzeichnet die Stadtverwaltung Fortschritte in ihren Verhandlungen mit der Deutschen Bahn. Ein inhaltliches Konzept legte das Kulturreferat schon 2016 vor. "Wir wollen den Zaun zurücksetzen, die Bahnhofsfassade sichern, die Informationsstelen versetzen, eine barrierefreie Fläche mit Sitzgelegenheiten schaffen", erklärt Martina Bauernfeind, Mitarbeiterin der Kulturbürgermeisterin. Doch das Verkehrsunternehmen lässt seitdem offen, wie man sich die Kosten teilen könnte. Der Gesprächsfaden reißt immer wieder ab, das nervt das Rathaus zunehmend. Regelmäßige Nachfragen von SPD, Grünen oder Guten im Stadtrat, von Historikern oder der Israelitischen Kultusgemeinde änderten nichts am Schweigen.

Der Kulturausschuss des Stadtrats hat die neue Hoffnung erfreut registriert und die Durchsetzung des alten Konzepts jetzt einstimmig beschlossen. "Die Bahn kommt der Sache nicht in dem Maß nach, wie wir es gern hätten", stellt SPD-Stadträtin Diana Liberova fest. "Der Bahnhof Märzfeld ist einer der wichtigsten Opferorte in der Stadt, und sehr viele Nürnberger kennen den Ort immer noch nicht." Von einer "nicht hinnehmbaren Lücke in der Erinnerungskultur" spricht die Guten-Rätin Alexandra Thiele. Helmine Buchsbaum (CSU) erinnert im Ausschuss daran, dass die Bahnhofsunterführung auch für die Fußgänger und Radfahrer nach Verbesserungen rufe. "Wenn man durch diesen Tunnel kommt, ist das manchmal schon gruselig."

Die Deutsche Bahn möchte sich nach Angaben einer Sprecherin zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht zu Einzelheiten äußern. "Wir sind mit allen Beteiligten im Gespräch."

Nina Lutz vom Doku-Zentrum wartet also weiter auf Klarheit: "Im Moment steht die Tür dafür wieder offen."

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