Bürokratie

Visa für Erdbebenopfer: Der Frust ist groß - "Es ist unheimlich kompliziert"

Sabine Ebinger

Lokales Nürnberg

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10.3.2023, 12:00 Uhr
Gebäudetrümmer in der türkischen Stadt Antakya: Erdbebenopfer sollen schneller nach Deutschland einreisen können - doch an dem Verfahren gibt es Kritik.

© -, dpa Gebäudetrümmer in der türkischen Stadt Antakya: Erdbebenopfer sollen schneller nach Deutschland einreisen können - doch an dem Verfahren gibt es Kritik.

Viele Menschen haben beim Erdbeben in der Türkei und in Syrien ihr Hab und Gut verloren, trauern um ihre Liebsten. Die Bundesregierung hat angekündigt, dass Betroffene mit schnellen Visaverfahren zeitweilig bei ihren Angehörigen in Deutschland unterkommen können - doch die Vorgaben erweisen sich als schwierig und zeitaufreibend.

"In der türkischen Community herrscht Unverständnis", berichtet der Nürnberger SPD-Landtagsabgeordnete Arif Tasdelen. "Dort hört man: Man hat uns Erleichterungen versprochen, doch die gibt es nicht." So kann man seine nahen Angehörigen - etwa Eltern, Kinder, Geschwister - mit dem schnelleren Verfahren aus dem Erdbebengebiet holen - dennoch müssen diverse Dokumente wie etwa ein gültiger Pass oder ein Wohnsitznachweis vorgelegt werden.

Bürokratische Fallstricke

Vor allem die so genannte Verpflichtungserklärung sorgt für Verdruss: In Deutschland lebende Menschen, die ihre vom Erdbeben betroffenen Verwandten zu sich holen wollen, garantieren damit, für alle Kosten, wie Krankenbehandlung oder die Rückreise, aufzukommen. Die deutsche Ausländerbehörde am Wohnort muss diese Erklärung ausstellen - doch das Verfahren ist bürokratisch. Arif Tasdelen nennt ein Beispiel: Er kennt einen Nürnberger, der seine Schwester aus dem türkischen Erdbebengebiet zu sich holen möchte. Als Ruheständler bekommt der Mann nur eine geringe Rente - es sei kaum vorstellbar, dass das Amt für Migration und Integration der Stadt Nürnberg ihm die Verpflichtungserklärung gewährt. Der Sohn des Rentners und seine Frau dagegen verdienen gut und würden gerne die Verpflichtungserklärung abgeben, doch diese sind eben nicht mehr die ganz nahen Angehörigen - sie können also bei einem schnellen Verfahren nicht helfen, obwohl sie finanziell gut gestellt sind. "Da wird die Problematik deutlich", sagt der SPD-Politiker.

Kritik kommt auch Lemia Yiyit, die für die Grünen im Nürnberger Stadtrat sitzt: "Es ist unheimlich kompliziert." Sie sagt, dass es beim Nürnberger Amt für Migration und Integration zum Teil lange Wartezeiten für die Verpflichtungserklärung gibt. Sie kennt eine Nürnbergerin, die einen türkischen Verwandten zu sich holen möchte und erst für Ende April einen Termin für die Verpflichtungserklärung ergattern konnte. Und sie sagt: "Für die Menschen in der Türkei, die zum Teil alles verloren haben, ist es unheimlich schwer, die erforderlichen Unterlagen zu beschaffen."

Auf Antrag der Stadtratsfraktion der Grünen wird das Thema am 16. März in der Sitzung der Kommission für Integration, dem zuständigen Fachausschuss des Stadtrats Nürnberg, behandelt. Die Grünen sehen Verbesserungsbedarf, setzten sich für eine schnelle Bearbeitung und eine eigene Hotline ein.

Nürnbergs Stadtrechtsdirektor Olaf Kuch weist darauf hin, dass "der Bund die Verfahren für die Visavergabe, somit auch für Besuchsaufenthalte türkischer Erdebenopfer/-betroffener" regelt. Die Stadt Nürnberg ist allerdings als Ausländerbehörde am Wohnort des Gastgebers zuständig für die Bearbeitung der Verpflichtungserklärungen. Die Stadt habe hier im Internet bereits Informationen zusammengefasst. Eine eigene Hotline für Angehörige von Erdbebenopfer, wie die Grünen es fordern, könne man nicht leisten. Kuch meint: "Dies erscheint aufgrund der guten Informationslage aber auch nicht nötig."

Grundsätzlich sagt der Stadtrechtsdirektor zum Thema Verpflichtungserklärung: "Bislang waren keine allzu hohe Nachfrage und keine Beschwerden erkennbar." Am 2. März verzeichnete die Stadt etwa 160 Terminwünsche für eine Verpflichtungserklärung zur Türkei: "Es ist aber unklar, wie viele davon Erdbebenbezug haben." Grundsätzlich bestehe hier eine Wartezeit - Erdbeben-Fälle werden aber vorgezogen und innerhalb weniger Tage bearbeitet.

Die Stadt hat sich vergeblich für ein unkomplizierteres Vorgehen eingesetzt. So habe die Stadt nach dem Erdbeben beim Bund "über die entsprechenden Kanäle dafür plädiert, die Verfahren zu vereinfachen, um die Ausländerbehörden vor Ort, die sich bundesweit in einer Überlastungssituation befinden, nicht noch zu einem weiteren ,Flaschenhals' werden zu lassen". So habe man dafür plädiert, statt der Verpflichtungserklärung vereinfachte Dokumente wie notarielle Erklärungen zu akzeptieren. Kuch: "Dies fand keine Berücksichtigung." Es bleibt also beim gewohnten Ablauf: Der Gastgeber in Deutschland organisiert die Verpflichtungserklärung und versendet diese ins Land seines Gasts. Sprich: Das Originaldokument muss ins Erdbebengebiet geschickt werden. Unter den extremen Umständen gibt es keine Erleichterungen. "Das wundert mich", sagt Kuch. So sieht es auch Arif Tasdelen: "Warum kann man das nicht beim Notar machen? Kann man nicht bei einer solchen Katastrophe einen Sonderweg gehen?"

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