Schluchzende Engel und verunfallte Gänse

Von herzzerreißend bis lustig: Die besonderen Weihnachtsgeschichten unserer Leserinnen und Leser

26.12.2021, 09:24 Uhr
Weihnachten läuft alles friedlich und harmonisch ab? Wenn Weihnachtsbäume beteiligt sind, nicht immer.

© Karl-Josef Hildenbrand, dpa Weihnachten läuft alles friedlich und harmonisch ab? Wenn Weihnachtsbäume beteiligt sind, nicht immer.

Fast 100 Mails und ein dicker Stapel an Briefen haben uns erreicht. Das Lesen und Sichten war eine Freude, es war lustig und berührend, und wir bedanken uns von Herzen bei allen, die ihre Erinnerungen mit uns geteilt haben. Hier können wir heute nur eine kleine Auswahl zeigen . Aber mit diesen Geschichten wünschen wir allen frohe und friedliche Weihnachten!

Es sind oft die kleinen Anekdoten, die anrühren oder in Familien jedes Jahr wieder für Lacher sorgen: Wie die Edeltraud Shahd, die als Fünfjährige in der Nachkriegszeit "ein Strom weihnachtlicher Güte durchströmte", als sie - von den Eltern unbemerkt - die wertvollen Butterplätzchen großzügig an die Tauben und Spatzen auf der Straße verfütterte. Wie die von Gerda Münzenberg, die sich bei den Sendern der Care-Pakete mit selbstgebastelten Rauschgoldengeln bedanken wollte - und für die Köpfe Schwarzbrot mit Spucke zu Kugeln formte.

Vergessener Kloßteig

Caroline de Boer berichtete von vergessenem Kloßteig, für den im letzten Moment noch Ersatz über eine Facebook-Gruppe organisiert werden konnte und von der Retterin auch noch kostenlos abgegeben wurde. Und da ist da noch Horst Bittner, der sich den Hintern an einer aufgeheizten Kirchenbank verbrannte. Hanne Kamolz setzte sich zum Bewundern des Weihnachtsbaums versehentlich auf den Hocker, auf dem das Kuchenblech mit dem ungebackenen Apfelkuchen abgelegt worden war.

Weihnachten in schwierigen Zeiten

Viele schrieben uns Erinnerungen aus der Zeit nach dem Krieg und nach der Flucht. Wie Erika Friedrich aus Buckenhof, deren Mutter 1945 alleine mit sieben Kindern flüchten musste und schließlich in Pretzfeld in der Fränkischen Schweiz in einem Schloss unterkam. Die Flüchtlingsfamilien saßen dort an Heiligabend im größten Raum alle auf Stroh zusammen. "Die Eltern erzählten Geschichten und es wurden Weihnachtslieder gesungen. Später hab ich dann begriffen, es war das schönste Weihnachten. Wir hatten alle nichts, aber wir hatten uns und keiner war allein", schrieb uns Friedrich.

Von den kleinen Wundern in einer entbehrungsreichen Weihnachtszeit berichtete uns auch Heinz Gruber aus Weißenburg: "Da lagen nun die Geschenke, die mir das Christkind gebracht hatte, sie waren nicht eingepackt. Das war nicht nötig, ich wusste doch, was ich bekam. Ein Fernlenkauto (nicht mit Funk, sondern mit Kabel), einen Autotransportlaster, ein Karussell, eine Berg-und Talbahn. Alles Blechspielzeuge, kein Plastik. Woher ich das schon vorher wusste?
Es waren jedes Jahr die gleichen Spielsachen. Da war nix Neues. Ich habe mich jedes Weihnachten wieder auf diese Spielsachen gefreut, sie waren besonders für mich, die gab es nur an Weihnachten. Nach dem 6. Januar waren die Spielsachen wie von Geisterhand verschwunden. Ich habe sie auch das Jahr über nicht gesucht. Denn die hat doch das Christkind wieder geholt, um sie mir nächstes Jahr wieder zu bringen."

Der schluchzende Engel

Doris Henninger war als kleines Flüchtlingsmädchen kurz nach dem Krieg bei einem Krippenspiel dabei. "Meine große Schwester war die Maria. Ich war vier Jahre alt und durfte Engel sein, gemeinsam mit einem anderen Mädchen. Wir sollten einfach nur ganz still dabei sein, weil es so zur Weihnachtsgeschichte gehört. Trotzdem war ich sehr aufgeregt. Wir waren mit weißen Gewändern bekleidet und sollten die Hände vor der Brust zusammenlegen, anbetend. ,Kalt ist es,‘ sagte Maria mit sanfter, klagender Stimme. ,Bitte gebt uns Raum in eurer Herberge.‘

In der Mitte links sitzt Doris Henninger als kleiner Engel. Das Krippenspiel war für das kleine Flüchtlingsmädchen zu emotional. 

In der Mitte links sitzt Doris Henninger als kleiner Engel. Das Krippenspiel war für das kleine Flüchtlingsmädchen zu emotional.  © privat, NN

Ganz still war es in der Kirche geworden. Jetzt zerschnitt die laute, harte Stimme des Wirtes die Stille: "Schert euch fort! Hier ist kein Platz für euch. Seht ihr nicht selbst, dass alles voll ist?" Das war zu viel für mich. Die Tränen kullerten einfach aus meinen Augen. Tapfer versuchte ich, sie runterzuschlucken. Aber es wurden immer mehr. Und dann musste ich auch noch richtig laut schluchzen. Ich konnte es wirklich nicht unterdrücken. Es bebte alles an mir. Einer der Hirten beugte sich zu mir und versuchte zu trösten: ,Aber es ist doch nur ein Spiel.‘ Unter Schluchzen antwortete ich ,Aber es ist wie in Wirklichkeit, und es ist so traurig.‘ Da ich gar nicht zu beruhigen war, holte man mich von meinem Posten. Die Tränen passten nicht in das Konzept des Spiels.

Eine Flut an Tannenbäumen

Viele Geschichten drehten sich um Weihnachtsbäume. Um hässliche, die doch noch ein gutes Zuhause fanden, vor allem aber um viele, die krachend umfielen. Eine besondere Baum-Erfahrung machte Klaus Wunschel. Er hatte vor einigen Jahren beim Händler M. für 150 Euro eingekauft und dafür einen Gutschein für einen Weihnachtsbaum erhalten, den die Firma T.T. liefern sollte. Man wartete und wartete, der Baum wurde trotz Nachfrage nicht angeliefert und schließlich, vier Tage vor dem Fest, wurde lieber ein Exemplar gekauft. Doch dann rollte die Welle heran: „Am nächsten Tag klingelte es bei uns an der Haustüre. Ein Baum war jetzt doch von T.T. per Express geliefert worden. Einen Tag später: Es klingelte, es wurde der nächste Baum geliefert, mit Karte von T.T.: Man bedauere die Widrigkeiten."

Die Geschichte ging noch weiter: "Zwischenzeitlich näherte sich der nächste Paketdienst. Es war die reguläre Anlieferung des bestellten Weihnachtsbaumes, mit freundlichen Grüßen von T.T. Auch Firma M. hatte offenbar mitbekommen, dass uns der zugedachte Baum nicht zugestellt wurde. Der Paketdienst lieferte die nächste Tanne. Es war die Karte der Fa. M. beigefügt. ,Wir entschuldigen uns für die erlittene Unbill.‘“ Die Auswahl im Tannenwald war am Ende groß, nur zum Schmücken blieb kaum mehr Zeit. „Deswegen: Lichternetz übergeworfen und fertig.“

Frostschutz im Eimer

Von drei besonders schönen und in der Kleinstadt begehrten Nordmanntannen an Weihnachten 2013 schrieb uns Heidrun Schwarz aus Dinkelsbühl. "Einen für meine Eltern, für die Familie meines Bruders und für mich. Unter einem Vordach, jeder in einem Eimer Wasser, sollten sie schön frisch bleiben für den großen Auftritt. Das böse Erwachen kam, als am 23.12. abends die Bäume in die Wohnungen verteilt werden sollten: Keiner der drei Bäume hatte auch nur noch eine Nadel, alle lagen wie ein brauner Teppich auf dem Boden - ein Anblick, der uns sprachlos machte. Meine Mutter war kurz vorm Nervenzusammenbruch."

Was war passiert? Lange Jahre war es der Familie ein Rätsel. Doch die Aufklärung folgte: "Viele Jahre später, meine Mutter war schon verstorben, saß ich allein mit meinem Vater zusammen. Und dann ließ er die Bombe platzen: ,Meinst Du, das lag daran, dass ich in die Eimer mit dem Wasser Frostschutzmittel getan habe?‘ Ich habe so herzhaft über sein Geheimnis gelacht! Was muss er all die Jahre still gelitten haben, wenn wir immer wieder über die Misere rätselten."

Wenn tote Gänse wieder fliegen

Hans Pfähler hatte als Zehnjähriger an Weihnachten 1950 ein besonderes Erlebnis. "Mein Vater hatte die Zusage erhalten, bei einem sehr einsam liegenden Bauernhof eine prächtige Weihnachtsgans zu bekommen. Also fuhren wir, mein Vater und ich, mit unserem einzigen Verkehrsmittel, einem 125er NSU-Motorrad, am 23. Dezember über die Lande. Es lag bereits sehr viel Schnee und es rieselte immer noch kräftig vom Himmel. Schon auf der Hinfahrt mussten wir jedoch einmal "absteigen", das heißt, wir kamen in einer Kurve ins Straucheln und stürzten.

Das Seefahrtsbuch von Rudi Suchanka beweist, dass er Weihnachten 1966 fernab der Heimat verbrachte. Auf dem Schiff verdiente er sich ein Extra-Eis an Weihnachten. 

Das Seefahrtsbuch von Rudi Suchanka beweist, dass er Weihnachten 1966 fernab der Heimat verbrachte. Auf dem Schiff verdiente er sich ein Extra-Eis an Weihnachten.  © privat, NN

Nach der Gansübergabe machten wir uns, bereits im Dämmerlicht, wieder auf den Heimweg. Ich hatte die Verantwortung für die gut eingepackte Gans und hielt diese mit beiden Armen vor meiner Brust.

Wir kamen nur wenige 100 Meter weit. Schon wieder entglitt uns das Motorrad und wir lagen im Schnee. Im Fallen ließ ich die wertvolle Gans vor Schreck los. Diese flog im hohen Bogen durch die Luft einen Abhang hinunter und entschwand. Wir standen wieder auf, unverletzt. Aber wo war unsere Gans? Beide suchten wir den Abhang sorgfältig ab – vergebens. Was war zu tun? Wir fuhren, noch vorsichtiger, zum Bauern zurück und baten diesen, mit seinem Schäferhund zur "Unfallstelle" mitzukommen. Dieser stürmte los, den Abhang hinunter. Er bohrte und wühlte mit sichtlichem Eifer im Tiefschnee und es dauerte nicht lange, bis er anschlug. Auch wir rutschten den Hang hinunter und nahmen das Ganspaket unversehrt wieder an uns. Der Hund wurde ausgiebig gestreichelt und gelobt. Leider konnten wir ihn nicht sofort belohnen. Dies holte mein Vater im Frühjahr nach mit einem großen, hundeappetitlichen Knochen."

Unfall im Klo

Ludwig Weber aus Wendelstein erinnert sich an Weihnachten 1967, als seiner Mutter Übles widerfuhr. "Bei der Verrichtung eines menschlichen Bedürfnisses hatte Mutter über dem Wasserspülkasten ein großes Spinnennetz entdeckt und beschlossen, es sofort zu entfernen. Sie war also mit einem Knäuel Papier bewaffnet auf den geschlossenen Klodeckel gestiegen und prompt mit dem rechten Fuß eingebrochen. Nun stand sie da: Einen Fuß auf den Boden, den anderen angewinkelt und umrahmt vom zerbrochenen Klodeckel in der Schüssel. Die Plastikzacken bohrten sich in das Fleisch und verhinderten jede Bewegung. Blut rann über die aufgerissene Haut, schnelle Hilfe war jedoch nicht möglich. Ich musste mich schließlich zwischen Mutters linkem Bein, Kloschüssel und Wand hindurchzwängen und mit einer kleinen Metallsäge die Deckelhalterungen abtrennen. Danach konnte Mutter mit Brille und Deckel ihr "Gefängnis" verlassen, und Vater im Hausgang die Beinfessel absprengen."

Weihnachten auf dem Schiff

Rudi Suchanka aus Uffenheim blieb Weihnachten 1966 besonders im Gedächtnis, das er fern der Heimat als junges Besatzungsmitglied auf dem Massengutfrachter "Adolf Leonhardt" erlebte. "Am Heiligen Abend passierten wir die Kapverden. Überraschenderweise rief mich am Tag vor dem Heiligen Abend der Kapitän auf die Brücke und erteilte mir die ,Order‘, zur Weihnachtsfeier ein Weihnachtsgedicht vorzutragen. ,Als Realschüler musste dat können, ming Jung!‘ Als Messejunge – rangmäßig noch unterhalb des Bordhundes angesiedelt – war es nicht unbedingt ,gesund‘ dem Kapitän eines deutschen Handelsschiffes zu widersprechen!

Postbeamte fanden 1951 den Wunschzettel von Manfred Seeler und erfüllten ihm nicht nur seinen Wunsch: Ein Postbeamte malte ihm auch noch diesen Weihnachtsgruß.

Postbeamte fanden 1951 den Wunschzettel von Manfred Seeler und erfüllten ihm nicht nur seinen Wunsch: Ein Postbeamte malte ihm auch noch diesen Weihnachtsgruß. © Manfred Seeler, NNZ

Glücklicherweise hatte ich einige Wochen zuvor in der Schule das Gedicht "Weihnachten" von Josef von Eichendorff gelernt, dass ich dann am Heiligen Abend vor einer dreißigköpfigen internationalen Besatzung relativ flüssig vortragen konnte. Der dicke Schiffskoch war so gerührt, dass er mir zum Abschluss des Weihnachtsmenüs eine große Portion Eis extra zukommen ließ!"

Manfred Seeler ging als Erstklässler 1951 für die Geschenke auf Nummer sicher und legte den Wunschzettel nicht auf die Fensterbank, sondern warf ihn direkt beim Postamt ein. "Diese Vorsicht zahlte sich aus: Am Heiligen Abend lag unter unserem Christbaum tatsächlich ein Päckchen mit dem von mir so heiß gewünschten Malkasten und mit dem nötigen Zeichenblock. Vor lauter Freude dachte ich gar nicht mehr an die Postboten, die bei jedem Wind und Wetter zu Fuß unterwegs waren und die meinen Brief zuverlässig zum Christkind in den Himmel befördert haben mussten. Den Malkasten malte ich nach und nach leer, und der Block füllte sich mit Bildern.

Den vom Christkind eigenhändig "unterschriebenen" Weihnachtsgruß habe ich noch heute: Der kunstbegabte Helfer in der "himmlischen Werkstatt" hatte drei Bilder in ein Heft gemalt. Den wahren Hintergrund meiner Weihnachtsbescherung erfuhr ich erst viele Jahre später. Die Cadolzburger "Posterer" hatten meinen Brief mit dem Wunschzettel zwischen all den anderen Briefen und Weihnachtsgrüßen gefunden und sich die gelungene Überraschung ausgedacht. Der Postbote Ferdinand Prexl hatte wohl auch die schönen Bilder gemalt, die mir eine liebe Erinnerung sind: So nahe wie damals erlebte ich das Christkind, das für mich immer noch in Cadolzburg zu Hause ist, nie mehr!"

Ein "feiner Zug"

Buchhändlerin Sabine Schmidt hatte ihr besonderes Weihnachtserlebnis an einem Spätnachmittag im Dezember, als sie geschafft, aber zufrieden, in den Zug nach Rückersdorf einstieg. In den falschen, wie sich nach einem netten Plausch mit dem Lokführer herausstellte, der Zug fuhr durch nach Lauf. In Ludwigshöhe, wo Sabine Schmidt aussteigen will, hält er gar nicht.

"Ich machte mich daran, wieder auszusteigen. ,Bleiben´S sitzen, junge Frau, da fällt mir schon was ein. Ist ja bald Weihnachten. Kurz vor dem Bahnhof Ludwigshöhe ertönte plötzlich eine Durchsage: ,Sehr geehrte Fahrgäste, aufgrund einer technischen Störung muss unser Zug heute außerplanmäßig am Bahnhof Ludwigshöhe halten. Wir bitten um Verständnis.‘

Was soll ich sagen? Die Bahn hielt an, die Tür öffnete sich und die "technische Störung” Sabine Schmidt stieg erfreut und verwirrt aus ihrem Abteil. Ich hob die Hand zum Gruß, um mich beim Lokführer zu bedanken. Er winkte zurück. Hatte er jetzt eine rote Mütze auf und trug einen weißen Bart? Das war auf jeden Fall mein ganz persönlicher Weihnachtsmann und ich werde ihn nie vergessen."

Gedicht für einen Fünfjährigen

Und nicht nur geschrieben wurde uns, auch gedichtet. Manfred Marr hat die Bescherung seines fünfjjährigen Sohnes augenzwinkernd in Mundart verarbeitet - ähnliche Situationen kennen wohl viele Eltern:

Lang vorm Fest hat mei Frau gsacht:
"Dou werd ka groußer Zirkus gmacht.
Unsern Boum dem schenk mer heier
net zu grouß und net zu teier,
denn für Kinder is net gout,
wemmer zu viel schenkn tout."
Schpielzeich braucht er net suviel
vielleicht a bissler Playmobil.
Er kröicht a poar Figurn derzou.
Dann ko er recht schöi schpieln der Bou.
"Ja, des langt", hob ich draf gsacht
und hob nu an Vurschloach gmacht:
"Kaaf mer aweng Lego a
denn des mocher gern der Kla.
Mei Frau hat a dou dro denkt
dass mern nuwos praktisch schenkt.
A Buch zum Maoln und a zum Schreim,
zum Bastln wos und a an Leim.
Ganz korz vor der Heiling Nacht
hat sei Paotin nuwos bracht.
A der Schwoacher und zwaa Tantn
und a poar vo die Verwandtn
hom an unsern Robert denkt
und dem Bärschler a wos gschenkt.
Vur der Bscherung, dass nix fehlt,
hob i schnell di Päckler zählt.
Sechzehn Schtück woarns , bunt und schöi
Döi wern doch untern Christbaum göih?
Di Bescherung, glabt mer des
woar für unsern Boum a Stress.
Der hat si af di Päckler gschmissn
ganz schnell is Papier rogrissn.
Gschtroahlt hat er und er is gflitzt,
er hat sugoar a bissler gschwitzt.
Beim letztn Päckler froacht mei Bou:
"Papa is sunst nix mehr dou?"

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