Weg vom Müll-Wahnsinn! Nürnbergerin zeigt, wie es geht

22.3.2021, 10:20 Uhr
Den nicht recyclebaren Müll, der bei ihnen anfällt, sammelt Anne Tieseler in einem Einmachglas. Dieser Beutel zeigt den Jahresmüll von 2020. Etwas mehr als ein Einmachglas, aber für eine vierköpfige Familie verschwindend gering.

© Michael Matejka Den nicht recyclebaren Müll, der bei ihnen anfällt, sammelt Anne Tieseler in einem Einmachglas. Dieser Beutel zeigt den Jahresmüll von 2020. Etwas mehr als ein Einmachglas, aber für eine vierköpfige Familie verschwindend gering.

Wie lebt jemand, der seinen gesamten Jahresmüll so reduziert, dass er in ein Einmachglas passt? Gemütlich, bunt und freundlich, stellt man fest, wenn man die Wohnung von Anne Tieseler mitten in der Nürnberger Altstadt betritt. Die 34-Jährige lebt hier auf 60 Quadratmetern mit ihrem Mann und ihren beiden Söhnen Lars und Marius, vier und ein Jahr alt.


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Auf Verzicht und Ungewöhnliches deutet im Zuhause der vierköpfigen Familien nichts hin. Jedenfalls nicht auf den ersten Blick: Im Wohnzimmer dominiert ein großer heller Holztisch, auf dem Sofa bunte Kissen, davor ein paar Kinderspielsachen. Zwei Mikrophone lassen vermuten, dass hier gerne Karaoke gesungen wird.

"Was landet da eigentlich bei uns so im Müll?"

Auf den zweiten Blick gibt es dann doch einiges, was sich in normalen Haushalten nicht so findet: Eine Seife an der Schnur in der Dusche, ein Einmachglas als Müllbehälter oder der lebendige Kompost in der Küche – mit Rotwürmern. "Unsere besten Haustiere", sagt Tieseler und lacht. Aus dem Garten ihrer Eltern in Zabo stammen sie. Sie zersetzen hungrig, was an Biomüll bei der jungen Familie anfällt. "Es klappt total gut", sagt Tieseler.

Die 34-Jährige mit den langen rötlichen Haaren ist eine zierliche Person mit einer bestimmten Haltung.

Ein Kompost mit Rotwürmern zersetzt die Bio-Abfälle.

Ein Kompost mit Rotwürmern zersetzt die Bio-Abfälle. © Michael Matejka

Seit acht Jahren praktiziert sie Zero-Waste (auf Deutsch: Null Müll, Anm. d. Red.), schreibt in ihrem Online-Blog "Grüner Alltag" regelmäßig über ihren nachhaltigen Lebensstil und gibt in Kursen – pandemiebedingt momentan online – Tipps für einen umweltbewussten Lebensstil. Und hat bei dem Nürnberger Umweltverein "Bluepingu" die "Zero-Waste-Gruppe"" mitgegründet.

Verbissen missionarisch kommt Tieseler nicht rüber. Dass sich der Jahresmüll ihrer Familie einmal auf die Größe eines Einmachglases beschränken könnte, dass sei nie das Ziel gewesen, betont die Nürnbergerin.
Peu à peu reduzierte sie mit ihrer Familie den Müll. Im Einmachglas sammeln sie, was nicht recyclebar ist. Also das, was nicht in Papiertonne oder gelber Sack oder in den Glascontainer wandern kann.

Fotos auf Papier

Den Inhalt von 2020 hat Tieseler noch in einem Beutel aufbewahrt: Medikamenten-Verpackungen sind darin, Sticker-Rückseiten, ein Laternen-Leuchtstab, Etiketten und Fotos. Letztere will sie deshalb künftig auf Papier statt auf Fotopapier ausdrucken. Der recyclebare Müll, den die Familie produziert, ist auch gering: drei gelbe Säcke im Jahr, alle ein bis zwei Monate ein Eimer Papierabfall. "Es geht nicht um einen Wettbewerb", betont sie. Nicht darum, wer am meisten einspart, sondern darum, dass man überhaupt beginnt, über Müllvermeidung nachzudenken.


Anne Tieseler gibt Kurse, wie sich (Verpackungs)-müll vermeiden lässt


Die studierte Innenarchitektin, die heute die Filialen eines bekannten Bio-Lebensmittelhändlers einrichtet, begann mit dem Nachdenken im Studium. Beim Thema "nachhaltiges Bauen" stieß sie auf eine Statistik, wie viel Müll in Deutschland jährlich anfällt. 2019 kamen laut statistischem Bundesamt pro Kopf 457 Kilogramm privater Hausmüll zusammen. Die Zahlen, die damals schon hoch waren, bewegten die Fränkin dazu, über ihr Konsumverhalten nachzudenken. Und damit über die Frage: "Was passiert mit meinem Geld und wem will ich es geben?", erzählt Tieseler. In Zerzabelshof aufgewachsen stammt sie aus keinem "Öko-Haushalt". "Aber meine Eltern waren schon Leute, die eher auf Qualität als auf Quantität geschaut haben".

Richtig Klick machte es bei der Fränkin dann aber ausgerechnet in den USA, in dem Land, das eher für Verschwendung und Konsum steht als für Nachhaltigkeit. Nach dem Studium war Tieseler mit ihrem Mann nach Atlanta gezogen, in den ersten Monaten war ihre Unterkunft noch spärlich möbliert.

Erst eine Notlösung, dann aber beibehalten worden: Die Seife an der Schnur ersetzt Duschgels.

Erst eine Notlösung, dann aber beibehalten worden: Die Seife an der Schnur ersetzt Duschgels. © Michael Matejka

In der leeren Wohnung fiel ihr der Müllberg dann so richtig auf. Der Moment der Erkenntnis, gepaart mit der Frage: "Was landet da eigentlich bei uns so im Müll?" Dinge, die sich leicht hätten vermeiden lassen. Plastikverpackungen, zu denen es eine Alternative im Supermarkt gegeben hätte zum Beispiel. "Manchmal steht die Verpackung aus Pappe direkt daneben im Regal", sagt Tieseler.

Müll entsteht vor allem außerhalb des Zuhauses, beim Einkaufen. "Statt sich hinterher zu ärgern, sollte man lieber vorher nachdenken", sagt Tieseler. Und zur Pappschachtel greifen oder zu Gemüse und Obst, das es lose gibt, statt in Plastikfolie verpackt.

Einfache Schritte

Es sind einfache Schritte, betont sie, die viel bewirken können. Schon in den ersten paar Wochen hatte sie den Hausmüll in Atlanta auf die Hälfte reduziert. Ihr Mann Daniel war erst skeptisch. Er befürchtete einen großen Kosten- und Zeitaufwand, beide arbeiteten Vollzeit damals. "Aber dann hat er festgestellt, dass es gar kein Stress ist", sagt Tieseler. Ganz langsam, Stück für Stück, stellten beide ihr Konsumverhalten um. "Die Gewohnheiten zu ändern, das ist das Schwierigste", weiß sie aus eigener Erfahrung und aus ihren Kursen.

Heute kaufen sie mit so wenig Verpackung und so nachhaltig wie möglich ein. In normalen Supermärkten, auf dem Wochenmarkt oder im Unverpackt-Laden, der praktischerweise gleich um die Ecke liegt. Statt spontan häufiger einzukaufen, erledigen sie den Wocheneinkauf seltener und geplanter. Sie ernähren sich überwiegend vegan. Kräuter pflanzen sie auf dem Mini-Balkon an oder im Sebalder Hofgärtchen. Dort haben sie sogar Hopfen angebaut. Tieselers Bruder, ein Hobbybrauer, hat daraus schon einige Kästen "Hopf Gärtchen" gebraut. "Das ist nur eine Spielerei", sagt Tieseler.

Links der nicht recycelbare Jahresmüll der Familie von 2020. Im Einmachglas rechts wird der neue Müll gesammelt.

Links der nicht recycelbare Jahresmüll der Familie von 2020. Im Einmachglas rechts wird der neue Müll gesammelt. © Michael Matejka

Auch wichtig, denn, darauf legt sie wert: Der nachhaltige Lebensstil soll kein Bürde sein, sondern auch Spaß machen. Ihr macht es Spaß, simple Lösungen zu finden. Die Seife an der Schnur in der Dusche etwa, die Duschgels ersetzt. Kastanien als Waschmittel (siehe Anleitung oben). Eine Lampe selber zu reparieren, statt eine neue zu kaufen. Oder eine einfache Olivenseife zum Abwasch zu nehmen. Alte Handtücher werden zerschnitten zum Spülschwamm. In der Handtasche hat sie immer einen Satz Besteck und ein Schraubglas. Darin lassen sich Salate oder Snacks transportieren, im Sommer kann man sich an der Eisdiele Kugel hineingeben lassen. Oder man kann unterwegs Wasser nachfüllen. Dinge, die jeder gut nachmachen kann.

"Anzufangen ist besser, als perfekt sein zu wollen"

Aus ganz normalen Kastanien kann man Waschmittel herstellen.

Aus ganz normalen Kastanien kann man Waschmittel herstellen. © Michael Matejka

Wer auch Müll reduzieren möchte, sollte sich nicht überfordern. "Es nützt mehr, wenn viele anfangen, als wenn es einer perfekt macht", sagt die Nürnbergerin. Bis zum Komposthaufen mit Würmern, Kastanien-Waschmittel und waschbaren Stoffwindeln statt Einweg-Hosenscheißer-Verpackungen war es auch bei ihr und ihrer Familie ein längerer Weg. Und auch sie sind nicht immer "perfekt". Auch sie kaufen ab und zu etwas, das sie auch selbst hätten herstellen können. Färbemittel zuletzt. "Klar, man hätte das auch aus roter Bete machen können, aber so war es bequemer", sagt Tieseler. Es geht nicht darum, perfekt zu sein, sondern darum, anzufangen.

Ein Nebenaspekt: Man lernt seinen eigenen Lebensstil besser kennen. Und erkennt: "Man kommt mit viel weniger aus, als uns die Werbung suggeriert", sagt Tieseler. Ihre Kinder dürfen übrigens selbst entscheiden, ob sie ein Spielzeug aus Plastik haben möchten. Ihre Eltern erklären ihnen dann, dass es nicht so lange hält wie etwas aus Holz. "Sie verstehen mehr, als man denkt", hat Tieseler die Erfahrung gemacht. Und ist auch hier nicht dogmatisch: Lego ist für sie okay. Für die Verwandtschaft war es in puncto Geschenke anfangs ungewohnt. Auch da rät Tieseler dazu, vorher mit den Verwandten zu reden. Inzwischen wissen bei ihnen alle, dass sie statt Gegenständen aus Plastik besser etwas Wertvolleres schenken: Zeit.

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