Ein Fest der Demokratie

Das Grundgesetz wird 75: Die nachdenklichen Töne kommen zu kurz

Michael Husarek

Chefredakteur Nürnberger Nachrichten

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21.5.2024, 06:30 Uhr
Bald wird gefeiert: 75 Jahre Grundgesetz sind auch ein guter Grund dafür.

© Presse- und Informationsamt der/obs Bald wird gefeiert: 75 Jahre Grundgesetz sind auch ein guter Grund dafür.

Sicher, man könnte einfach einstimmen in die Jubelgesänge, die in diesen Tagen landauf, landab zu hören sind. Die 75 Jahre Grundgesetz, das sagen viele Rednerinnen und Redner, kämen einer einzigen Erfolgsgeschichte gleich. Das Demokratiefest in Berlin zeugt von dieser Jubelmaschinerie.

Grundgesetz: Das Beste, was dem Land passieren konnte

Grundlegend falsch ist das nicht. Tatsächlich war der vom Parlamentarischen Rat verkündete Text das Beste, was in den Nachkriegsjahren hat entstehen können - noch dazu ist den Verfassungsvätern und -müttern ein Paradigmenwechsel gelungen, der Verfassungsgeschichte geschrieben hat.

Denn ganz vorne im Grundgesetz steht nichts über die Staatsorgane, dafür alles über die Grundrechte. Wenn man so will, ist das vom Kunden, sprich: Bürger, her gedacht. Ein moderner Ansatz und einer, der beispielgebend ist.

Und doch kommen die nachdenklichen Töne rund um den Geburtstag etwas zu kurz. Da ist zum Beispiel die nach wie vor nicht ganz so hohe Akzeptanz des Grundgesetzes im Osten der Republik.

Mit dem Wissen, dass sich mancher Ostdeutsche noch immer mit dem Gedanken trägt, er sei ja nie gefragt worden, wäre womöglich eine Volksabstimmung über eine gesamtdeutsche Verfassung seinerzeit die bessere, wenn auch langwierigere Option gewesen.

Höhere Akzeptanz mit einer neuen gesamtdeutschen Verfassung?

Ob ein solcher Schritt das rechtsextreme Wachstum in Sachsen und Thüringen gebremst oder gar verhindert hätte, bleibt spekulativ. Die Akzeptanz für die Verfassung, das ist nicht von der Hand zu weisen, wäre wahrscheinlich heute höher.

Der zweite Kritikpunkt gilt einer allzu großen Sorglosigkeit. Zu oft war in den vergangenen Jahren zu hören, mit diesem Grundgesetz im Rücken sei nun wirklich keine Gefährdung unserer freiheitlichen Grundordnung möglich. Die Erfolge der Rechtspopulisten und die nun eingesetzten Bestrebungen, etwa die Wahl der Bundesverfassungsrichter von den unkalkulierbar gewordenen politischen Entwicklungen frei zu halten, zeugen davon, dass die Zeiten sich geändert haben.

Es ist Gefahr im Verzug! Das Grundgesetz braucht den Schutz der Demokraten – und zwar mehr denn je. Unsere Verfassung ist immer noch die bestmögliche. Allerdings ist sie kein Selbstläufer. Sie muss, wie der Garten im Frühjahr, immer wieder aufs Neue gehegt, gepflegt und gegossen werden.

Und wie in jedem Garten muss auch über Neupflanzungen nachgedacht werden. In den vergangenen Jahren gab es etwa Vorstöße, inwieweit ein individuelles Recht auf intakte Natur und Umwelt eine sinnvolle Ergänzung der Grundrechte wäre. Das muss sorgsam debattiert werden, ein Tabu dürfen solche Initiativen jedenfalls nicht sein.

Freuen wir uns also über das Geburtstagskind Grundgesetz und vergessen dabei nicht, wie unser Umfeld sich wandelt. Die Verfassung ist leider keine Ewigkeitsgarantie für Freiheit. Sie braucht jeden von uns als Fürsprecher.

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