Zuwanderung: Es bewegt sich viel

Gescheiterter Migrationsgipfel: Merz hat überreizt - und das Desaster der Demokraten freut die AfD

Alexander Jungkunz

Chefpublizist

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11.9.2024, 07:21 Uhr
Er hätte die weitreichenden Zugeständnisse der Ampel-Koalition als seinen Erfolg vekaufen können: CDU-Chef Friedrich Merz.

© Kay Nietfeld/dpa Er hätte die weitreichenden Zugeständnisse der Ampel-Koalition als seinen Erfolg vekaufen können: CDU-Chef Friedrich Merz.

Es ist unfassbar: Friedrich Merz liefert im Schulterschluss mit Markus Söder den Populisten von AfD und Bündnis Sahra Wagenknecht genau jene Steilvorlage für den Wahlkampf-Endspurt in Brandenburg, der auch in diesem Bundesland diesen Parteien nutzen und die Regierungsbildung ähnlich schwer machen könnte wie in Sachsen und Thüringen.

Und zwar dadurch, dass der CDU-Chef die Gespräche mit der Ampel-Koalition zur Begrenzung der illegalen Zuwanderung platzen ließ, nach nur zwei Stunden. Das ist deshalb so unfassbar wie unnötig und auch gefährlich, weil die Regierung sich zu jahrelang unvorstellbaren Zugeständnissen bereiterklärt hat. Weil quasi über Nacht Schritte möglich wurden, die bisher als unmöglich galten.

Faesers Zugeständnisse sind ein Eingeständnis ihres Scheiterns

Dass ausgerechnet Innenministerin Faeser nun Grenzkontrollen anordnete - sehr zur Überraschung der überforderten Polizei übrigens -, das war eigentlich das Eingeständnis des Scheiterns des bisherigen Regierungskurses, der genau solche Kontrollen wieder zurückfahren wollte.

Merz hätte all das als seinen Erfolg darstellen können - zu Recht. Denn er war es, der mit ultimativen, harten Forderungen die Ampel tatsächlich vor sich hergetrieben und zum Handeln gedrängt hat. Aber die Unions-Spitze entschied sich für Konfrontation - und am Tag nach dem gescheiterten Gipfel erlebte der Bundestag in der Generaldebatte wieder mal, wie sich Demokraten gegenseitig beschimpfen statt gemeinsam zu handeln.

Der CDU-Chef macht die Grünen für das Scheitern der Gespräche verantwortlich. Das passt zur Verteufelung der Partei (die übrigens vor allem AfD und BSW betreiben, die in den Grünen die "gefährlichste Partei" sehen und so gut von sich ablenken; Merz hilft ihnen dabei). Was Merz da tut, ist anmaßend, unverschämt und fragwürdig.

Die Grünen pochen auf Recht und Ordnung - bisher Domäne der Konservativen

Denn die Grünen sind nahezu die einzigen, die auf das pochen, was bisher als Markenkern der Konservativen galt: auf Recht und Ordnung. Damit gehen viele, gerade CDU/CSU, derzeit erstaunlich salopp um. Ernst zu nehmende Einwände von Juristen gegen die pauschale Zurückweisung von Migranten an der Grenze - eine Kernforderung der Union - wischt man dort vom Tisch. Sehr zur Empörung der Nachbarstaaten, die angesichts des möglichen Alleingangs Deutschlands in Sachen Zuwanderung alarmiert sind.

Es sei Zeit, dass "wieder" das Volk entscheide statt der Gerichte, tönte Markus Söder beim Gillamoos. Ein gefährlicher Satz. Klar kann, muss man Gesetze ändern - aber bitte mit den dafür üblichen Verfahren einer Demokratie und eines Rechtsstaats, nicht mit Hau-Ruck-Vorhaben, die andere Staaten brüskieren. Ausgerechnet die Unionsparteien - die für die europäische Einigung stehen - legen nun die Hand an diese Errungenschaften, auf die sie bisher zu Recht stolz waren.

Regierung und Union setzen sich zusammen, haken ab, was machbar und sinnvoll ist, und bringen das als gemeinsamen Durchbruch rasch auf den Weg: Das wäre gegangen. Dass es nicht gelang, ist fatal.

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